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Stammzellenspender gesucht! Landesweite Aktion soll auf bedrohliche Lücke aufmerksam machen

Mit Corona ist die Zahl der Stammzellenspender rapide gesunken. Größtes Problem: kein Zugang zu Jugendlichen. Jetzt soll eine landesweite Aktion helfen.

Von Lisa Garn 09.07.2021, 06:00
Die Blaulicht-Jugendverbände sollen die Krise bei den Stammzellspenden entschärfen. Der  16-jährige Julian Okon  will  dabei helfen.
Die Blaulicht-Jugendverbände sollen die Krise bei den Stammzellspenden entschärfen. Der 16-jährige Julian Okon will dabei helfen. Foto: Andreas stedtler

Dessau-Roßlau/MZ - Julian Okon aus Lützen (Burgenlandkreis) ist 16 und eher ein Zahlenmensch. Und doch klingt die Stimme gedämpfter, wenn er über Schicksalsschläge spricht. Sein Uropa starb an Darmkrebs, die Mutter eines Freunde hatte Krebs, ist aber inzwischen gesund. „Das ist schon schwierig, wenn einem das gesagt wird. Es fühlt sich wie ein Schlag an“, sagt er. So stellt er es sich auch vor, wenn die Diagnose Blutkrebs gestellt wird. „Und das passiert in Deutschland alle paar Minuten. Es kann einen immer treffen. Dann möchte man eine Chance auf ein zweites Leben. Ich will dabei helfen.“

Okon ist Mitglied der Jugendfeuerwehr in Granschütz (Burgenlandkreis). Mit der Aktion „Blaulicht gegen Blutkrebs“ werben jetzt Jugendverbände von Hilfsorganisationen in Sachsen-Anhalt mit der Deutsche Stammzellspenderdatei (DSD) um neue Spender. Darunter sind das Technische Hilfswerk, Deutsches Rotes Kreuz und die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft.

So soll eine eine dramatische Lage entschärft werden: Mit Corona hat in Sachsen-Anhalt die Zahl neuer Spender rapide abgenommen. Das betrifft alle Organisationen, die Stammzellenspenden verwalten. „Wir sind an einem Tiefpunkt. Das größte Problem ist, dass wir seit März 2020 nicht mehr in die Schulen und Jugendeinrichtungen konnten“, sagt Reinhild Hugenroth, DSD-Geschäftsführerin in Dessau-Roßlau. Der Standort ist einer von 26 DSD-Dateien in Deutschland und einer der größeren. Der Rückgang dort ist massiv: 2019 gab es noch rund 20.000 Stammzellenspenden, im vergangenen Jahr waren es etwa 7.500, fast zwei Drittel weniger. Um das Risiko von Vorerkrankungen auszuschließen, werden zudem Spender ab 61 Jahre aus der Datei gelöscht. Sollte deren Bestand weiter schrumpfen, sinken auch die Chancen vieler Patienten.

Standort in Dessau gefährdet

Mit dem Wegfall von Spendern ist auf lange Sicht auch die Existenz der Datei in Dessau bedroht. „Wir brauchen eine bestimmte Größe. Wenn wir zu wenig Anfragen mit passenden Zellen bedienen können, fehlt die Arbeitsgrundlage“, so Hugenroth Inzwischen gebe es auch immer mehr internationale Anfragen.

In Dessau umfasst der Bestand 180.000 Spender - der Bedarf ist aber weitaus höher. Für Menschen, die an Leukämie erkrankt sind und bei denen Chemo- und Strahlentherapie nicht anschlagen, ist die Transplantation von Stammzellen oft die einzige Hoffnung auf ein neues Leben. Sie sind quasi die Ursprungszellen des Körpers. Stammzellen können sich unendlich oft teilen und Körpergewebe entwickeln. Bei Leukämieerkrankungen bilden sie beispielsweise neue Blutzellen.

Jährlich erkranken in Deutschland rund 13.000 Menschen an Leukämie, darunter 600 Kinder. 2019 gab es laut Krebsregister in Sachsen-Anhalt 348 neue Leukämieerkrankungen (2018: 422). „Die Krankheit hat während Corona keine Pause gemacht. Wir müssen jetzt also verstärkt an Jugendliche ran kommen, die neue Matches werden können“, sagt Hugenroth.

Typisierungsaktionen vor Ort

Mit „Matches“ meint sie: Für eine Transplantation muss der genetische Zwilling gefunden werden. Übereinstimmen müssen dabei entscheidende Gewebemerkmale - die es in zigfacher Kombination gibt. Es gibt Fälle, in denen es den Gen-Zwilling nur einmal unter Millionen Menschen gibt. Deshalb brauchen die Dateien einen großen Bestand.

Rund 2.000 bis 3.000 Stammzelltransplantationen werden jährlich durchgeführt. Am häufigsten bei Leukämie, aber auch bei anderen Blutkrankheiten wie Anämien. Der jüngste Fall in Sachsen-Anhalt ist nicht lange her. Bei dem jetzt zweijährigen Moritz aus Zscherndorf (Anhalt-Bitterfeld) wurde eine Störung der Knochenmarksfunktion diagnostiziert. Über Monate wurde ein passender Stammzellenspender gesucht. Plakate hingen aus, Hunderte ließen sich registrieren. Schließlich gab es ein Match. Nach der Transplantation ist Moritz seit Mai wieder zu Hause.

Die Blaulicht-Jugendverbände wollen nun in sozialen Medien dafür werben, sich testen zu lassen und Stammzellen zu spenden. Vor Ort soll es Typisierungsaktionen geben. Julian Okon will sich im Januar registrieren lassen – gleich nach seinem 17. Geburtstag. Wenn er volljährig ist, will er Stammzellen spenden.