Pflegeheim in Sachsen-Anhalt Kostenschock: Bewohner müssen immer mehr für einen Platz zahlen
Die Eigenanteile für einen Pflegeheimplatz in Sachsen-Anhalt steigen auf ein Rekordniveau. Zuschüsse fangen die Steigerungen kaum auf. Das Armutsrisiko steigt. Der Bund gerät unter Handlungsdruck.

Halle/MZ/Dpa. - Für den Platz im Pflegeheim müssen Bewohner in Sachsen-Anhalt immer mehr zahlen. Die Kosten sind nach jüngsten Auswertungen des Verbands der Ersatzkassen (vdek) auf einen neuen Höchststand gestiegen: Zum 1. Juli waren im ersten Jahr im Heim im Schnitt 2.373 Euro fällig und damit 292 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Das ist eine Steigerung um 14 Prozent. Seit Jahren steigen die Beiträge in immer kürzeren Abständen massiv an“, sagt Klaus Holst, Leiter der vdek-Landesvertretung, auf MZ-Nachfrage. „Ging es früher um niedrigere Beträge, sind es jetzt jährlich mehrere hundert Euro mehr. Für die Bewohner ist das nicht oder immer schwieriger zu stemmen.“
Grund für die extremen Steigerungen sind neben gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel vor allem höhere Löhne. Pflegekräfte müssen seit Ende 2022 mindestens nach Tarif bezahlt werden. Vor allem in Ostdeutschland hat das zu großen Preissprüngen geführt. So mussten Bewohner laut VdEK im vergangenen Jahr 1.289 Euro für die reine Pflege, Betreuung und Ausbildung aufbringen – hinzu kommen rund 757 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 318 Euro Investitionskosten.
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Zwar zahlen Pflegekassen neben Zuschüssen für Pflegegrade Entlastungszuschläge je nach Wohndauer. Diese Zuschläge wurden zudem im Januar erhöht: Im ersten Jahr werden die Beiträge um 15 Prozent gedrückt, ab dem vierten sogar um 75 Prozent. Doch die Erhöhungen fangen die Kostensteigerungen nur zum Teil auf.
Studie des vdek:Wo Bewohner am meisten und am wenigsten zahlen
„Es gibt zunehmend Unverständnis und Verzweiflung bei Betroffenen“, sagt David Kröll, Sprecher des Biva-Pflegeschutzbundes. Er vertritt die Interessen von pflegebedürftigen Menschen. „Viele müssen auf Ersparnisse zurückgreifen. Und es ist oft eine besondere Härte, wenn sie ihr Haus doch noch verkaufen müssen.“ Oder wenn sie Sozialhilfe beantragen, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet hätten. „Wir kennen Angehörige, die ihren Eltern verschweigen, dass für sie Hilfe zur Pflege beantragt wurde, um sie in ihren letzten Lebensjahren nicht zu beschämen.“ Die Ausgaben für diese Hilfen sind in Sachsen-Anhalt stark gestiegen. 2023 wurden laut Sozialministerium 83 Millionen Euro ausgezahlt (2017: 40 Millionen Euro), davon 67 Millionen Euro für stationäre Pflege.
Die Pflegeversicherung kann die rasant steigenden Kosten langfristig nicht decken.
Petra Grimm-Benne, Sozialministerin Sachsen-Anhalt
Insgesamt bestehen große Unterschiede zwischen Ost und West. Im Schnitt am teuersten ist ein Platz im ersten Heimjahr in Nordrhein-Westfalen mit 3.200 Euro monatlich. In Sachsen-Anhalt ist die Eigenbeteiligung noch am niedrigsten. Ein Grund für die Unterschiede seien niedrigere Betriebskosten für Pflegeeinrichtungen, etwa durch geringere Immobilien- und Mietpreise, sowie Energiepreise, so Holst. Im bundesweiten Schnitt wurden 2.871 Euro im Monat fällig. Ausgewertet wurden laut VdEK Vergütungsvereinbarungen der Pflegekassen mit Heimen in allen Bundesländern.
Auch die AOK Sachsen-Anhalt hat auf MZ-Anfrage am Mittwoch aktuelle Zahlen veröffentlicht. Demnach waren zum 30. Juni im Schnitt 1.904 Euro Eigenanteil pro Monat fällig, sieben Prozent mehr als Ende 2023. Die Differenz erklärt sich so: Die AOK berücksichtigt alle Zuschusshöhen je Wohndauer, der VDEK bezieht sich auf das erste Heimjahr.
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Bund und Krankenkassen fordern, dass die Länder Investitionskosten tragen. Sachsen-Anhalts Sozialministerium erteilt dazu auf Anfrage eine klare Absage: Umfängliche Investitionsförderung laufe dem „Grundsatz ambulant vor stationär“ zuwider. Es würden „faktisch Wohnkosten“ übernommen, was bei einer häuslichen Versorgung nicht vorgesehen sei. So könne auch eine „Sogwirkung in Richtung stationär“ entstehen. Jedoch investiere das Land freiwillig im Sinne einer Objektförderung, wie zuletzt in Pflegeheime in Stendal und Osterwieck (Harz). Die Mittel stammen aus dem Corona-Sondervermögen. Landessozialministern Petra Grimm-Benne (SPD) hatte wiederholt auf die von der Ampel-Koalition angekündigte Reform der Pflegeversicherung gedrängt. Denn diese könne „die rasant steigenden Kosten langfristig nicht decken“.
Das Bundesgesundheitsministerium will im Herbst ein Konzept für die Reform vorlegen. Unter anderem geht es um mehr Kapazitäten beim Pflegepersonal, bessere Prävention von Pflegebedürftigkeit und das Schließen der Finanzlücke – die Pflegeversicherung erwartet für 2024 und 2025 rote Zahlen. Eine erste Reform brachte neben höheren Zuschlägen für Heimplätze eine Beitragsanhebung für 2023.