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Helden am Herd gesucht Helden am Herd gesucht: Ruhetag wegen Personalmangels wie ist das möglich?

Von Ralf Böhme 09.02.2018, 11:00
Etablieren ihr eigenes Köche-Paradies am Süßen See zwischen Halle und Eisleben: Alexander Mönch, Patrick Ohmert und Christian Zerban.
Etablieren ihr eigenes Köche-Paradies am Süßen See zwischen Halle und Eisleben: Alexander Mönch, Patrick Ohmert und Christian Zerban. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Ein Tag im Paradies. „Einfach nur super ist, wenn ich Dinge ausprobieren kann. Oder ein Gast für das Essen ausdrücklich dankt.“ Längst nicht alle Köche in Sachsen-Anhalt haben soviel Glück. Sie können sich nicht wie Alexander Mönch, Küchenchef der „Orangerie“ in Seeburg (Mansfeld-Südharz), mit Raffinessen befassen.

Steinbeißer-Bäckchen im exotischen Kataifi-Teig, französische Entenbrust auf Austernpilz und Rotwein-Feigen oder gestrudelte Halloren stehen bei ihnen gar nicht auf der Karte. Denn das Koch-Dasein kann, anders als in der TV-Show, auch so aussehen: 50 Schnitzel pro Stunde, dazu Bauernfrühstück in Serie und Bier vom Fass. Das ist dann ein Knochenjob.

Dass der harte Alltag am Herd nicht jedermanns Sache ist, stellen Sachsen-Anhalts Gastwirte zunehmend fest - auch jetzt im Aufschwung, wenn Gäste nicht mehr auf jeden Euro schauen. Kochen, Braten, Backen und Garnieren - dafür braucht es Multitalente, Helden an Topf und Pfanne. Zugleich müssen es Leute mit Nehmerqualitäten sein. Denn die Löhne sind meist nicht üppig und Arbeit gibt es meist überreichlich. Nicht immer bietet eine Küche die besten Arbeitsbedingungen.

Problem in der Gastronomie: Jobwechsel sind viel häufiger als in anderen Branchen

„Ein Königreich für einen guten Koch“. Was passiert, wenn dieser Hilferuf ergebnislos verhallt? Nichts Gutes. Wer sich nichts einfallen lässt, muss dann mitunter froh sein, wenn sich überhaupt irgendjemand in die Küche stellt und dort das Essen warm macht. Dann gewinnen Mikrowellen, die Vorgegartes und Halbfabrikate erhitzen, überlebenswichtige Bedeutung. Eine Empfehlung ist das aber nicht. Ernüchternd fällt die Bestandsaufnahme in vielen Häusern aus. Es fehlt nicht nur Personal, sondern auch Jobwechsel sind viel häufiger als in anderen Branchen.

Der Hotel- und Gaststättenverband bestätigt diese Beobachtungen und räumt ein, dass sich die Situation in den zurückliegenden fünf Jahren eher zugespitzt als entspannt habe. Wer da als Gastgeber keine Abstriche an der Qualität hinnehmen will, muss seine Jobs auf dem Arbeitsmarkt attraktiver anbieten. Einen Weg, wie das gut gehen kann, zeigt unter anderen das Traditionshotel „Zum Stein“ am Wörlitzer Park.

Der Ausgangspunkt der Überlegungen: Ohne geeignete, qualifizierte Arbeitskräfte läuft gar nichts, sie sind ein Wert an sich. Inhaber Michael Pirl zieht deshalb auch alle Register, auch im Internet. Eine Restaurantfachfrau, die auch in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt, wäre für ihn schon ein Hauptgewinn. Ebenso willkommen: Mitarbeiter für den Empfang. Auch das Wellness-Team sucht Verstärkung. Interessenten können sich bei ihm über eine mögliche Ausbildung informieren. Und Pirl will sich nicht lumpen lassen: Zuschläge, Tankgutscheine, mindestens 27 Urlaubstage, Erholungsbeihilfe, eine betriebliche Altersvorsorge... Dennoch, trotz dieser Verlockungen könnte die Nachfrage eigentlich größer sein.

Beschäftigten bekommen für ihre Arbeit oftmals zu wenig Respekt und Anerkennung

Am Geld allein scheint es wohl auch nicht zu liegen, wenn mögliche Bewerber zögern. Denn in puncto Löhne rangieren die Köche vielfach nicht mehr an der unteren Skala der Einkommen, eher schon im Mittelfeld. Michael Schmidt beschreibt die Ursachen des vielfach beklagten Personalmangels dann auch als „vielschichtig“. Dem Geschäftsführer des Gasthauses „Zur Henne“ in Naumburg und Präsidenten des Hotel- und Gaststättenverbandes in Sachsen-Anhalt zufolge erhalten die Beschäftigten für ihre Arbeit oftmals zu wenig Respekt und Anerkennung. „Nette Worte zwischen Gästen und Gastgebern werden seltener.“

Außerdem fehle der Nachwuchs, zuerst an Fachleuten und Vollzeitkräften. Der demografische Wandel habe, so Schmidt, die ganze Branche richtig erwischt: zu wenige Auszubildende, letztlich auch zu wenige Nachfolger für Gastronomen, die kurz vor der Rente stehen.

Aus der Not eine Tugend machen, so versucht man es im „Ratskeller“ in Sangerhausen. Mitinhaber Marcel Wunderlich bereut die Entscheidung nicht: „Wir haben einige alte Kollegen wieder zurückgeholt.“ Erfahrung zahle sich aus. Sie könnten verschiedene Arbeiten erledigen, so wie sie anfielen. Dass so eine Rechnung nicht immer aufgeht, meint Frank Lehmann, der örtliche Vertreter der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. „Fachkräfte können auswählen.“ Das sei eine Tatsache.

Und deshalb sollten Unternehmer sich seiner Meinung nach schon die Frage stellen, warum die von ihnen angebotenen Arbeitsplätze vielleicht nicht anziehend genug wirken? Eine der Ursachen benennt Uta Mayer von der Arbeitsagentur in Sangerhausen konkret: „Viele junge Frauen können den Job nicht machen, weil die Kinderbetreuung in Randzeiten einfach nicht gewährleistet ist.“

„Der Personalbedarf kann aus den eigenen Reihen nicht mehr gedeckt werden“

Die Folgen solcher Defizite sind nicht mehr zu übersehen. Von Zeitz bis Arendsee, ob in Halle, Dessau oder Magdeburg - unterwegs in Sachsen-Anhalt registrieren Restaurantkritiker eine bedenkliche Entwicklung. Besucher beklagen demnach immer häufiger, dass Gaststätten ihre Öffnungszeiten verkürzen und die Mittagsangebote streichen. Ruhetage wegen Personalmangels: Umfragen zufolge wollen zwischen 50 und 60 Prozent der Wirte qualifizierte Mitarbeiter werben.

Die Erfolgsquote ist gering, besonders hart trifft es den ländlichen Raum. Im Schnitt folgt dort auf zwei Arbeitskräfte, die in Rente gehen, nur ein Neuanfänger. Klartext dazu von Elena Herzel, Chefin der Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld: „Der Personalbedarf kann aus den eigenen Reihen nicht mehr gedeckt werden.“

Aussichtsreicher ist es, verstärkt ausländische Arbeitskräfte anzusprechen. Sie sind oft regelrecht begeistert, wenn sie erfahren, was ein Koch hierzulande schon in der Ausbildung verdient. Abhängig vom jeweiligen Bundesland und davon, ob der Betrieb tarifgebunden ist oder nicht, schwanken die Löhne im ersten Lehrjahr zwischen 479 und 586 Euro. Viele Einheimische überzeugt das nicht, angesichts der Aussicht auf anstrengende Lehrjahre am Herd, zumal mit gewöhnungsbedürftigen Arbeitszeiten.

Wolfgang Nickel, Geschäftsführer eines Freizeit- und Ferienhofes in Großpaschleben, setzt auf Auszubildende aus Indonesien. Inzwischen arbeiten fünf junge Leute aus Südostasien bei ihm. Weitere 20 Interessenten von dort habe er an Betriebe in Bitterfeld, Freyburg und Dresden vermitteln können. „Die Nachfrage ist riesig“, so Nickel. Auf beiden Seiten. Auch deshalb habe er bereits drei deutsche Schulen in dem Inselstaat gegründet. Dort sollen insgesamt 150 junge Menschen sprachlich, ein halbes Jahr lang, auf ihren Aufenthalt in Deutschland vorbereitet werden.

Einigen der ausländischen Jugendlichen fällt es erstaunlich leicht, sich in Sachsen-Anhalt zurecht zu finden. Ihre Ausbilder glauben, dass nicht mehr viel Zeit vergeht, bis sie sich auch Leistungsvergleichen stellen werden. Höhepunkte dabei sind die regionalen Jugendmeisterschaften, die im Frühjahr die 17. Auflage erleben werden. Dort bekommen Teilnehmer beispielsweise einen Warenkorb bereitgestellt, aus dem sie dann zum Beispiel ein leckeres Vier-Gänge-Menü zaubern sollen.

Material- und Energiekosten werden Preise ansteigen lassen

Die Jury bewertet streng, nicht anders als viele Gäste in den Restaurants. Und künftig werden die Erwartungen der Kundschaft wohl eher noch wachsen. Der Grund: Die Preise sollen steigen. Wegen gestiegener Material- und Energiekosten, so eine aktuelle IHK-Umfrage, wollen ungefähr 40 Prozent der Gaststätten und Hotels im südlichen Sachsen-Anhalt demnächst mehr verlangen. Danach könnten die Rechnungen im Schnitt um einen Euro höher ausfallen als bisher.

Wenn die Qualität stimmt, reagiert die Kundschaft meist überhaupt nicht knausrig. Das ist auch die überwiegende Erfahrung der Köche in der Seeburger „Orangerie“. Gleich drei ausgebildete Fachkräfte konkurrieren dort um die Gunst der Gäste. Das Sprichwort, wonach viele Köche den Brei verderben, haben sie außer Kraft gesetzt. Auch die traditionellen hohen Kochmützen bleiben ungenutzt in den Schränken. Ein erster internationaler Preis, gestiftet von einem britischen Luxus-Magazin, bescheinigt dem Team trotzdem höchste Qualität.

Mitinhaber Alexander Mönch ist wie sein Kollege Christian Zerban vom Fach. Nöte des Personals kennen sie aus fast 20-jähriger Berufserfahrung. Nun als ihre eigenen Chefs achten sie darauf, nicht an der falschen Stelle zu sparen. Ihr Know-how aus diversen Spitzenrestaurants zwischen Cottbus und Halle können sie am Süßen See bei Halle voll ausspielen. „Gutes Personal hat seinen Preis, genau wie gute Zutaten“, sagt Mönch. Zerban: „Das hat noch gar nichts mit Luxus zu tun.“ Zunächst gehe erst einmal um solides Handwerk.

Danach erst beginne der kreative Teil der Arbeit. Dann allerdings fühle man sich hier schon ein wenig wie im Köche-Paradies, wo vieles möglich sei. Kein Wunder, dass zahlreiche Prominente, die es sich hier wohl gehen ließen, ihre Unterschriften auf einem meterhohen symbolischen Besteck hinterlassen haben. (mz)