Gerda Hasselfeldt im Interview Gerda Hasselfeldt im Interview: DRK-Chefin über das Rote Kreuz in Sachsen-Anhalt

Halle (Saale) - Und wieder reist Gerda Hasselfeldt durchs Land. Doch etwas ist anders. Wenn sie aus dem Wagen steigt, kommt die 67-Jährige nicht mehr als CSU-Politikerin, nicht als Abgeordnete, Ministerin oder Vize-Präsidentin des Bundestags. 2017 zog sie sich aus der Politik zurück - nun ist sie Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). MZ-Redakteur Jan Schumann hat sie getroffen.
Frau Hasselfeldt, nach Ihrem Rückzug aus dem Bundestag wollten Sie sich eigentlich auf Ihr Klavierspiel konzentrieren. Ihr Paradestück zur Zeit?
Gerda Hasselfeldt: Ich bin da noch am Einarbeiten. Als Schülerin habe ich drei Jahre lang Stunden genommen, bis jetzt auf diesem Niveau weitergeklimpert. Erst im vergangenen Herbst habe ich wieder Unterricht genommen, aber den muss ich jetzt wieder häufig verschieben. Ich mache immer noch Fingerübungen, dafür ist Bach sehr gut geeignet. Das ist eine Entspannungsbeschäftigung.
Da Sie nun doch nicht im Ruhestand sind: Was ist Ihre größte Aufgabe als neue DRK-Präsidentin?
Zum einen die Pflege, durch die demografische Entwicklung betrifft das immer mehr Menschen. Da ist das Rote Kreuz sehr stark, ambulant und stationär. Zum anderen die Integration der Flüchtlinge. Da hat sich der Schwerpunkt verschoben. 2015 ging es um Unterbringung und Versorgung. Jetzt geht es um jene, die eine Bleibeperspektive haben. Wir sind da sehr aktiv, etwa bei Sprachkursen. Zudem treibt uns die Notfallversorgung im ländlichen Raum um – aber eben nicht nur dort. Wir brauchen dringend mehr Rettungskräfte.
Welche besonderen Aufgaben sehen Sie in ländlich geprägten Ländern wie Sachsen-Anhalt?
Vor allem die großen Entfernungen für Krankentransporte und Rettungsdienst. Das bindet viele Kräfte, auch Autos. Immer wieder berichten mir Mitarbeiter vor Ort, dass der Rettungswagen geholt wird, obwohl es sich nicht um einen klassischen Notfall handelt.
Das hören wir seit Jahren. Woran liegt das?
Manche Leute sind unsicher. Sie wissen eben, dass mit dem Rettungswagen ausgebildete Menschen kommen, die mit großem Einsatz helfen. Zudem ist es für Patienten oft einfacher, zu Hause auf Fachpersonal zu warten, als sich auf den Weg in eine Arztpraxis zu machen…
…oder es gibt nicht genügend Praxen, etwa auf dem Land.
Auch das, möglicherweise müssen Sie nicht nur kilometerweit fahren, sondern auch Stunden auf einen Termin warten. Es ist ein Bündel von Gründen, bei dem man vielleicht am besten mit Appellen an die Bevölkerung weiterkommt. Aber man muss auch prüfen, wie man die ärztliche Versorgung auf dem Land sicherstellen kann. Das können wir nicht alleine lösen – auch die Ärzte und deren Kammern müssen daran arbeiten. Das ist ein Riesenproblem. Nicht nur in Sachsen-Anhalt, auch in Teilen Bayerns muss das angegangen werden.
Was muss als erstes passieren?
Es gibt in einzelnen Bundesländern Überlegungen, junge Ärzte in ländliche Räume zu holen. Etwa mit Förderungen. Auch Sachsen-Anhalt prüft das. Das DRK hat in einigen Regionen auch Ehrenamtliche, die kurz mit den Patienten abklären können, ob ein Rettungswagen wirklich nötig ist - oder eine andere Lösung genügt. Das halte ich für sinnvoll, das sollte ausgebaut werden.
Es fehlt also Personal. Vielen jungen Leuten, die im Bundesfreiwilligendienst zum DRK wollen, wird aber gesagt: Es gibt nicht genug Plätze.
Ich würde es begrüßen, wenn der Bund die Stellen für den Bundesfreiwilligendienst und das Freiwillige Soziale Jahr erhöhen würde. Die Freiwilligen bekommen ja ein Taschengeld - aber es hängt eben auch an der pädagogischen Begleitung durch den Träger. Für ihren Aufwand erhalten die Träger eine Geldpauschale vom Bund, die moderat erhöht werden müsste, da diese die wachsenden Kosten nicht mehr auffängt. Hier laufen aktuell Gespräche mit Regierungsmitgliedern und Parlamentariern, um sowohl die Stellen als auch die pauschale Kostenerstattung zu erhöhen.
In welcher Größenordnung?
Derzeit haben wir 15.000 Freiwillige. Ich bin aber vorsichtig mit konkreten Forderungen. Das wäre ein Unter-Druck-Setzen. Eine Erhöhung könnte durchaus auch allmählich geschehen. Wir sind ja nicht allein betroffen, sondern alle Wohlfahrtsverbände. Der Bereich ist mir aber deshalb so wichtig, weil daraus oft ein langes ehrenamtliches oder hauptamtliches Engagement im sozialen Bereich wird. Das brauchen wir dringend.
Seit dem Flüchtlingszug 2015 sind mehr Ehrenamtliche im DRK aktiv. Geht das jetzt so weiter?
Viele Freiwillige sind damals zu uns gekommen und geblieben. Doch durch die demografische Entwicklung relativiert sich das. Die zu Betreuenden werden mehr, die jungen Mitarbeiter nicht. Außerdem erleichtern die bundesweiten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in den Familien aktuell nicht unbedingt das ehrenamtliche Engagement. Beruflich wird heute viel verlangt. Können wir das ehrenamtliche Engagement nicht aufrechterhalten, werden wir um ein Vielfaches ärmer in unserer Gesellschaft.
Ein Problem aus der Praxis: Sachsen-Anhalts Rettungswagen reißen überall die gesetzlichen Zeitlimits. Was tun?
Wir müssen daran arbeiten, dass es besser wird. Patentrezepte gibt es aber nicht. Mehr Ärzte auf dem Land und Helfer vor Ort wären eine Lösung.
Ein zweites Problem: Einsatzkräfte werden immer häufiger bei der Arbeit angegriffen. Ein Phänomen, das bisher völlig unterschätzt wurde?
Ich glaube, dass das mit der zunehmenden Zahl der Gaffer zusammenhängt. Per Handy werden heute sehr schnell Fotos vom Einsatzort verschickt. Das behindert Rettungskräfte, befeuert Nervosität, führt zu Aggressivität. Das muss geahndet werden. Deswegen wurden auch die Strafen verschärft.
Der Abschreckungseffekt blieb bislang jedenfalls aus. Wann greift er?
Ich weiß es nicht. Jede Vorschrift braucht ihre Zeit, um in den Köpfen verankert zu sein.
Die internationale Politik ist im Krisenmodus. Wo werden in Zukunft die Schwerpunkte der internationalen Arbeit des Roten Kreuzes liegen?
Wir werden international nicht weniger eingebunden sein – das ist eine gewaltige Aufgabe. Wir sind in rund 50 Ländern dieser Welt aktiv. Der größte aller laufenden Auslandseinsätze ist aktuell unsere Hilfe in der Syrienkrise. Bereits seit 2012 leistet das DRK in Syrien selbst und in den Nachbarländern humanitäre Hilfe. Wie in allen Ländern üblich, arbeiten wir auch in Syrien sehr eng mit unserer Schwestergesellschaft, hier dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond zusammen. In Syrien sind rund 13 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, um überleben zu können. Dramatisch ist die humanitäre Lage ebenso in Jemen, die Menschen leiden unter bewaffnetem Konflikt, Hungersnöten, Epidemien, Dürre, Choleragefahr. Viele Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Wir unterstützen dort unter anderem mit Nahrung Medikamenten, damit die Menschen überhaupt überleben können. Der Zugang zu diesen Menschen ist oft sehr schwierig.
Inwiefern verlagert sich aktuell die internationale Arbeit des DRK?
Der Einsatz im Jemen ist immer intensiver geworden, Syrien wird schwieriger. Auch im Irak ist wieder mehr humanitäre Unterstützung nötig. Insgesamt werden es mehr Einsätze, die Sicherheitslage ist oftmals sehr schwierig. In zwei Wochen bin ich in Genf, dort werde ich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften besuchen, um mir einen Überblick über die internationale Arbeit der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung zu verschaffen. (mz)