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Feuerattacke in Magdeburg Feuerattacke in Magdeburg auf syrische Familie: Opferanwalt macht Behörden schweren Vorwurf

Von Hagen Eichler 10.08.2019, 10:00
Zwei Kinder schliefen in dieser Magdeburger Wohnung, als der Brandsatz explodierte. Auch sechs Monate später ist der Fall noch nicht gelöst.
Zwei Kinder schliefen in dieser Magdeburger Wohnung, als der Brandsatz explodierte. Auch sechs Monate später ist der Fall noch nicht gelöst. Tom Wunderlich

Magdeburg - Es ist Nacht, flackerndes Blaulicht von Feuerwehr und Rettungswagen erhellt einen zehngeschossigen Plattenbau im Magdeburger Süden. Die Balkonfenster in der unteren Etage sind verrußt und geborsten, der Fensterrahmen ist verkohlt. Die Fotos, aufgenommen vor knapp einem halben Jahr, deuten die Verwüstungen im Inneren an, durch Feuer und giftigen Qualm. Die Wohnung war das Zuhause einer syrischen Familie: Mutter, Vater, ein Junge und ein Mädchen. Attackiert von Unbekannten in der Nacht zu Montag, 18. Februar.

Die Familie konnte sich retten in jener Nacht. Der Vater Hussam Y., seit der Amputation eines Beines auf Krücken angewiesen, versuchte noch hüpfend, den Brand zu löschen, bis ein Nachbar ihn und seine Frau aus der brennenden Wohnung holte. Es war ein Brandanschlag, so viel steht fest. Einen Täter allerdings kann die Polizei bis jetzt nicht vorweisen.

Der Landtag hakt jetzt nach

Der Angriff auf Familie Y. beschäftigt nun auch die Landespolitik. Der SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben hat den Fall auf die Tagesordnung des Innenausschusses gesetzt. Es geht um einen schlimmen Verdacht: Hat die Polizei alles getan, um den Fall zu lösen? Oder hat sie möglicherweise eine bestimmte Ermittlungsrichtung von vornherein nicht ernsthaft verfolgt?

Anlass des Eingreifens ist Kritik des Berliner Rechtsanwalts Sebastian Scharmer, der den syrischen Vater Hussam Y. vertritt. Im Prozess um die rechtsextreme Mörderbande NSU war Scharmer der Rechtsbeistand der Familie von Mehmet Kubaşık, einem der zehn Getöteten. Heute ist er überzeugt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in Magdeburg die verheerenden Fehler aus den NSU-Ermittlungen wiederholt haben. Stets hätten die Ermittler im privaten Umfeld der Toten gesucht, sagte Scharmer der „Süddeutschen Zeitung“ - nie nach Rassisten, die aus Hass töten. Sachsen-Anhalts Innenpolitiker sind nun alarmiert.

Die Polizei widerspricht der Kritik. „Von Anfang an“ hätten die Kollegen „in alle denkbaren Richtungen“ ermittelt, beteuert Sprecherin Ilona Wessner von der Polizeiinspektion Magdeburg. Auch der Staatsschutz sei stets eingebunden gewesen - diese Abteilung ist unter anderem für Verbrechen mit extremistischem Hintergrund zuständig.

Brandanschlag in Magdeburg wohl sorgfältig geplant

Scharmer bleibt bei seiner Kritik. Aus den Ermittlungsakten darf er, ebenso wie die Polizei, nichts öffentlich machen. Doch er sagt der MZ: „Bis zum heutigen Tag gibt es keinerlei Erkenntnis, dass die Staatsanwaltschaft wirklich Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Anschlags geführt hätte. Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum die Täter bis heute nicht ermittelt sind.“

Die Tatumstände belegen, dass der Brandanschlag keine spontane Handlung war, sondern sorgfältig geplant. In jener Februarnacht brannte nicht nur die Wohnung, sondern auch das Auto der Familie. Fotos zeigen einen silbernen Saab, aus der geöffneten Kofferklappe ergießen sich angekokelte syrische Feinbackwaren. Deutlich erkennbar ist der Aufdruck der Firma „Watfa ve Lahmouni“, in lateinischer und arabischer Schrift. Hussam Y. fuhr diese Kekse deutschlandweit zu Kunden aus. Die Täter haben

Y. offenbar ausgekundschaftet. Und: „Wer weiß, dass in der Wohnung Menschen - und hier auch zwei kleine Kinder - schlafen, nimmt deren Tod zumindest billigend in Kauf“, folgert Rechtsanwalt Scharmer.

Die Staatsanwaltschaft soll das Verfahren allerdings schon kurz nach der Tat vom versuchten Mord zur schweren Brandstiftung herabgestuft haben. Und sie soll entschieden haben, dass ein rechtsextremistischer Hintergrund nicht erkennbar sei.

Das wirft Fragen auf - auch für den grünen Innenpolitiker Sebastian Striegel. „Eine Erkenntnis aus den NSU-Ermittlungen ist, dass aktiv nach einem rechtsextremistischen Hintergrund gefahndet werden muss, wenn sich Rassismus als Grund nicht ausschließen lässt“, sagt Striegel. „Die Frage ist, ob das hier umgesetzt wurde.“

Helfer wurden abgewimmelt

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg schweigt. Die Ermittlungen dauerten an, sagt Behördensprecher Frank Baumgarten, aber: „Ich werde in der Sache keine Auskünfte geben.“ Auch zu den Vorwürfen gegen seine Behörde kommt kein Wort.

Fragen wirft auch das Verhalten gegenüber den Anschlagsopfern auf. Hussam Y. hatte Kontakt zur Mobilen Opferberatung, einer vom Land finanzierten Einrichtung für Betroffene rassistischer Gewalt. Die Polizei verweigerte jedoch das Hinzuziehen dieser Experten. Das bestreitet auch das Innenministerium nicht - schweigt aber zu den Gründen.

Auf Aufklärung pocht Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragte, Sozial-Staatssekretärin Susi Möbbeck (SPD). Sie selbst hatte die Opferberatung unmittelbar nach dem Anschlag auf den Fall angesetzt und will nun wissen, warum die Ermittler abblockten. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Opferberatern sei sonst gut, sagt Möbbeck. „Deshalb irritiert mich, warum dieser Fall so anders gelaufen ist. Ich habe nicht einmal eine Rückmeldung bekommen.“ (mz)