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"Die Mörder sind mit am unkompliziertesten" "Die Mörder sind mit am unkompliziertesten": Diese Frau leitet den Männerknast in Burg

Von Jessica Hanack 29.04.2018, 08:00
„Ein Gefängnis ist eine hochemotionale Angelegenheit“, sagt die Leiterin der JVA Burg, Ulrike Hagemann.
„Ein Gefängnis ist eine hochemotionale Angelegenheit“, sagt die Leiterin der JVA Burg, Ulrike Hagemann. Andreas Stedtler

Ulrike Hagemann an ihrem Arbeitsplatz zu besuchen, ist nicht ganz leicht. Das Handy muss draußen bleiben, der Personalausweis am Empfang. Von dort geht es weiter durch eine Schleuse mit schweren, gesicherten Türen, die der Pförtner einzeln mit einem leisen Summen öffnet.

Insgesamt ein halbes Dutzend Türen sind zu durchqueren, bis man in Hagemanns Büro steht. Das wiederum sieht dann ziemlich normal aus: ein Schreibtisch mit Computer, Aktenordner im Regal, Fotos und Zeitungsartikel an der Wand.

Hier lässt sich ausblenden, dass man sich in einem Verwaltungsgebäude hinter Stacheldrahtzaun und einer sechs Meter hohen Mauer befindet. Und dass in kurzer Entfernung Straftäter leben, vom Betrüger bis zum Mörder.

Ulrike Hagemann ist seit vergangenem Sommer kommissarische Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg. Rund 630 Häftlinge sind dort untergebracht. Alle Insassen sind Männer. Die 46-Jährige steht als erste Frau an der Spitze des Gefängnisses. Menschen, die sie kennen, würden sich über ihre Berufswahl nicht wundern, erzählt Hagemann. Über sich selbst sagt sie: „Zimperlich bin ich nicht.“

Hagemann ist eine Frau, die nicht lange zögert, die sich durchsetzen kann und Pläne in die Tat umsetzt. In ihrem Büro hängt eine Postkarte, auf der steht: „hätte, könnte, müsste, machen“, die ersten drei Wörter sind durchgestrichen.

Die Karte passt zu der 46-Jährigen und ihrem Lebenslauf. Ulrike Hagemann hat Jura studiert und anschließend in verschiedenen Positionen der Landesverwaltung in Sachsen-Anhalt gearbeitet. „Aber ich habe gewusst, dass ich lieber in einem Bereich arbeiten möchte, der praktischen Bezug hat. Ich bin nicht der Typ, der den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt.“

JVA Burg: So kam Ulrike Hagemann als Chefin im Männerknast

Sie wechselte in den Personalbereich der Polizei, doch auch dort kam mit der Zeit das Gefühl, eine neue Herausforderung zu brauchen. Schließlich entdeckte sie eine Stellenausschreibung, der Justizvollzug suche Juristen für die Leitungsebene. Sie bewarb sich. „Das hat dann auch gleich funktioniert“, sagt Hagemann.

Und es ging fix weiter: 2009 ging sie zur JVA Dessau, im Jahr darauf nach Magdeburg und ein weiteres Jahr später wurde sie stellvertretende Anstaltsleiterin in Burg. Im Juni 2017 wechselte der damalige Leiter ins Justizministerium. Seither besetzt sie den Chefposten.

Das Gefängnis ist für Ulrike Hagemann wie ein „Mikrokosmos“. Zu den 630 Gefangenen kommen etwa 340 Mitarbeiter, so dass sich täglich knapp 1.000 Personen zwischen den Mauern bewegen.

In der JVA gibt es eine Schule, Arbeitsplätze, eine medizinische Versorgung, eine Turnhalle und Sportplätze. 220 000 Quadratmeter umfasst das Gelände, umschlossen von einer mehr als anderthalb Kilometer langen Mauer.

Hagemann mag den Job hinter der Mauer, mag, dass er „direkt mit dem Leben“ zu tun hat - auch wenn sich Stunden am Schreibtisch nicht vermeiden lassen. Da sind die Verwaltungsaufgaben, die zu erledigen sind, oder Berichte ans Ministerium, die geschrieben werden müssen.

Aber der Kontakt mit Gefangenen ist eben auch Teil ihrer Arbeit. Die Häftlinge wenden sich an Hagemann, wenn sie von anderen Insassen bedroht werden oder Ärger mit der Familie haben. „Das sind Probleme, die sie anderen nicht anvertrauen wollen“, sagt sie.

Hagemann bekommt dabei die ganze Bandbreite an Stimmungen mit. Nicht nur Aggressivität. Sondern auch Verzweiflung und Wut, Trauer und Einsamkeit. Wer einen Großteil des Tages alleine in einer Zelle verbringt, müsse die aufgestauten Emotionen irgendwann rauslassen. Dann kommt es zum großen Gefühlsgewitter. „Ein Gefängnis ist eine hochemotionale Angelegenheit“, sagt die Juristin.

JVA Burg: So geht die Chefin des Männerknasts mit den Insassen um

Ulrike Hagemann muss das alles aushalten können. Sie muss aushalten, wenn ein Gefangener weint, aber auch wenn ein anderer sie beschimpft. Hagemann bleibt gelassen, als sie von Beleidigungen erzählt, die sie zu hören bekommt. „Natürlich herrscht hier zuweilen ein rauer Ton. Wir sind kein Mädcheninternat“, sagt sie.

Für den Posten braucht man Selbstbewusstsein. Das hat sie immer gehabt, erzählt Hagemann. Schon als Kind blieb sie ruhig bei Referaten in der Schule und später auch bei Vorstellungsgesprächen für Jobs. Prüfungsangst? Kenne sie nicht.

Trotz der Erlebnisse stemmt sich Ulrike Hagemann gegen das Klischee von Häftlingen wie es Serien und Filme prägen. Sie gestikuliert energisch, als sie darüber spricht. Das Bild von Häftlingen, die wild an den Gittern ihrer Zellen rütteln, entspreche nicht der Realität!

„Klar gibt es auch Gefangene, zu denen Frauen besser nicht alleine gehen sollten“, sagt sie, um hinzuzufügen: „Aber das sind Einzelfälle.“ Von der Schwere der Straftat lasse sich nicht auf die Umgänglichkeit schließen. Hagemanns überraschende Erfahrung: „Die Mörder sind mit am unkompliziertesten. Sie wissen, sie müssen jetzt eine lange Zeit hier sein.“

Die Lebensgeschichten der Häftlinge drehen sich häufig um Gewalt, um Aggressivität. In den meisten Fällen durch Männer. Als Frau im Gefängnis zu arbeiten, könne deshalb durchaus ein echter Vorteil sein, sagt Hagemann.

Die Gespräche seien entspannter, weil das „männliche Kräftemessen“ wegfalle. „Man kann Kritik viel direkter äußern“, findet sie. „Gefangene sind in der Regel zu Frauen höflicher und verhalten sich angemessener.“

Die jahrelange Arbeit in der JVA hat Hagemann nicht nur gelassener werden lassen. Sie hat auch gelernt, realistisch zu sein. Vor allem, was die Resozialisierung der Gefangenen betrifft. Ja, es gibt sie.

Die positiven Fälle, denen die Juristin außerhalb der JVA begegnet, und die vom neuen Job, der neuen Freundin erzählen. Aber es gibt auch jene, die, kaum entlassen, schon zurück in Haft sind. „Wir dürfen keine Sozialromantiker sein“, sagt Hagemann. „Wenn ich die Hoffnung hätte, hier alle besser machen zu können, würde ich oft enttäuscht werden.“

Wenn Ulrike Hagemann das Gefängnis verlässt, versucht sie mit Sport abzuschalten. Sie geht joggen oder macht Yoga. Gesprächen über ihren Job weicht die 46-Jährige in ihrer Freizeit aus. Zu oft hat sie gehört, dass es den Häftlingen doch viel zu gut gehe. „Wir müssen sie nicht unter mittelalterlichen Bedingungen einsperren, um sie zu bestrafen“, sagt Hagemann.

Aus dem Kopf bekommt sie die Arbeit zum Feierabend nicht immer. Vieles sei zu intensiv, um es sofort aus den Gedanken zu streichen. „Ich habe Zweifel, dass jemand, der seinen Job mit Herzblut macht, den einfach zurücklassen kann“, sagt Hagemann. Das kann kein Stacheldrahtzaun und keine Mauer ändern. (mz)