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bemerkenswerte rede Kanzlerin Merkel zum Tag der Einheit: "Demokratie braucht uns"

In Halle verteidigt die Kanzlerin in einer bemerkenswerten Rede die Grundwerte - und die Ostdeutschen.

Von Alexander Schierholz Aktualisiert: 04.10.2021, 06:16
Angela Merkel hielt in Halle eine bewegende Rede.
Angela Merkel hielt in Halle eine bewegende Rede. Foto: AFP

Halle/MZ - Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dazu aufgerufen, die Demokratie in Deutschland zu verteidigen und immer wieder neu zu erkämpfen. „Die Demokratie braucht uns, wie wir sie brauchen. Wir müssen jeden Tag für sie arbeiten“, sagte Merkel am Sonntag in Halle. Dort hielt sie die Festrede zur zentralen Feier des Jahrestags der Deutschen Einheit.

Festakt mit den Spitzen der Bundesländer

Bei einem Festakt mit der Staatsspitze, den Spitzen der 16 Bundesländer, zahlreichen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern sowie weiteren Gästen wandte sie sich zudem entschieden dagegen, Ostdeutsche als Bundesbürger zweiter Klasse darzustellen. Manche Menschen aus der DDR müssten ihre Zugehörigkeit zum vereinigten Deutschland auch nach mehr als 30 Jahren immer wieder neu beweisen, monierte die Kanzlerin, als sei das Leben in der DDR eine Zumutung gewesen.

Sachsen-Anhalt hat noch bis Ende Oktober turnusmäßig die Präsidentschaft des Bundesrates inne, daher fand die zentrale Feier zum Einheitstag in diesem Jahr in Halle statt. Zwei Wochen lang hatten sich alle Bundesländer in einer „Einheits-Expo“ in der Innenstadt präsentiert. Zu Ende ging die Einheitsfeier am Sonntag mit dem Festakt und einem ökumenischen Gottesdienst, an denen unter anderem auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier  und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) teilnahmen. Halle wurde damit für einen Tag zum politischen Zentrum Deutschlands. Ein massives Polizeiaufgebot sicherte die Veranstaltungen ab.

Jeder Mensch braucht eine Chance, jeder muss sich gehört und zugehörig fühlen können.

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin

Die zügige Bildung einer neuen Bundesregierung vorausgesetzt, dürfte Merkels Festansprache in Halle ihre letzte große Rede gewesen sein. In einem teils sehr persönlichen und damit für sie ungewöhnlichen Tonfall warnte sie vor einem zu leichtfertigen Umfang mit den „demokratischen Errungenschaften“, „als müssten wir nichts für sie tun“. Dabei erlebe die Bundesrepublik zunehmend Angriffe auf hohe Güter wie etwa die Pressefreiheit, es würden Lügen, Ressentiments und Hass geschürt.

„Wo Menschen wegen ihres Aussehens oder ihres Glaubens angegriffen werden, wird die Demokratie angegriffen“, sagte Merkel, die davor warnte, dass verbale Attacken allzu oft in Gewalt mündeten. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, den Anschlag von Halle, das Attentat von Hanau sowie den Mord an dem Kassierer einer Tankstelle in Idar-Oberstein und mahnte: „So weit darf es gar nicht erst kommen.“

Die Kanzlerin rief zu gegenseitiger Offenheit auf und dazu, einander zuzuhören und voneinander zu lernen. „Jeder Mensch braucht eine Chance, jeder muss sich gehört und zugehörig fühlen können.“ Gefragt seien auch „Erfahrungen aus Umbrüchen“, sagte sie mit Blick auf die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung. Diese könnten dem Land auch bei der Bewältigung weiterer Transformationsprozesse helfen. Als Beispiele dafür nannte Merkel die Klimakrise und den digitalen Wandel.

Menschen nach der Wiedervereinigung in der „Sackgasse“

Die Regierungschefin wies allerdings darauf hin, die Wiedervereinigung habe für die meisten Menschen im Westen bedeutet, dass es weiter gegangen sei wie bisher, während sich für den Osten fast alles geändert habe. „Das wird bis heute zu wenig gesehen“, beklagte Merkel. „Mit dem Ende der DDR sein Leben selbst bestimmen zu können, damit gingen viele neue Chancen einher“, betonte sie. Das sei die „wunderbare Seite“ an dem Umbruch im Osten. Allerdings hätten sich nicht wenige Menschen nach der Wiedervereinigung auch in einer „Sackgasse“ wiedergefunden, so manche berufliche Fähigkeit habe wenig oder gar nichts mehr gezählt. Auch dieser Teil der Geschichte dürfe nicht ignoriert werden.

Die scheidende Kanzlerin wurde für ihre Ansprache mit langanhaltendem Beifall und stehenden Ovationen bedacht. „Das war eine großartige Rede“, sagte der hallesche Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby der MZ. Merkel habe die richtigen Worte an der richtigen Stelle gesetzt, so der Sozialdemokrat: „Wir brauchen Zusammenhalt, nicht Spaltung.“ Diaby war nach der Rede als einer der ersten im Saal aufgestanden und hatte so andere Zuhörer animiert, es ihm gleichzutun. Er habe Merkel seinen Respekt zollen wollen, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, sagte er.