1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. "Wir lernen jeden Tag dazu": Corona an Schulen in Sachsen-Anhalt: Minister Marco Tullner beantwortet Fragen der MZ-Leser

"Wir lernen jeden Tag dazu" Corona an Schulen in Sachsen-Anhalt: Minister Marco Tullner beantwortet Fragen der MZ-Leser

Von Max Hunger und Jan Schumann 11.11.2020, 18:13
Bildungsminister Marco Tullner stellte sich im Gespräch mit Jan Schumann den Fragen der MZ-Leser.
Bildungsminister Marco Tullner stellte sich im Gespräch mit Jan Schumann den Fragen der MZ-Leser. Stephan Lohse

Magdeburg - Das Coronavirus erreicht zunehmend auch die Schulen: Laut Deutschem Lehrerverband sind bundesweit 300.000 Schüler und 30.000 Lehrkräfte in Quarantäne - ein Rekordwert.

Auch in Sachsen-Anhalt stieg die Zahl der Quarantänefälle in den Bildungseinrichtungen zuletzt rasant an.

Bildungsminister Marco Tullner beantwortet MZ-Leserfragen

Bei den Lesern der Mitteldeutschen Zeitung sorgt das für viele Fragen. Im Facebook-Live-Chat der MZ hat Bildungsminister Marco Tullner (CDU) viele davon beantwortetet.

Das Gespräch moderierte Landtagskorrespondent Jan Schumann.

Maskenpflicht und Infektionen in der Schule

Jan Schumann:

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ist für eine ständige Maskenpflicht im Unterricht. Was spricht angesichts der hohen Infektionszahlen noch dagegen?

Davon bin ich ein klarer Gegner. Das Mindestmaß an Artikulation - nicht nur im Sprachunterricht - ist durch eine Maske nicht gewährleistet. Eine Maskenpflicht im Unterricht halte ich nicht für zielführend. Bei den heutigen Infektionszahlen schließe ich das aus.

Jan Schumann:

Karliczek schlägt auch vor, dass Schulen auf größere Immobilien wie Pfarrhäuser ausweichen sollten. Eine Alternative für Sachsen-Anhalt?

Wenn man einen Vorschlag hat, sollte man den bei der Kultusministerkonferenz intern stellen. Diese Vorschläge helfen so nicht weiter und verwirren nur.

Jan Schumann:

Mal in Prozent ausgedrückt: Wie viele Neuinfektionen gehen aktuell auf Schulen zurück?

Dazu haben wir keine tagesaktuellen Zahlen. Letzten Freitag waren in Sachsen-Anhalt 2.900 Schüler in Quarantäne. Das sind 1,5 Prozent unserer Schüler. Natürlich sind die Zahlen hoch gegangen. Aber 98,5 Prozent sind derzeit in der Schule. Wir haben das jedoch weiter im Blick. Dass sich Schülerinnen und Schüler in der Schule anstecken, ist uns nicht bekannt. Die Fälle werden von außen hereingetragen.

Anonym:

Warum werden Schulen derzeit um jeden Preis offen gehalten und nicht sofort bei den ersten Corona-Infektionen in den Fernunterricht versetzt?

Ich bin kein Sturkopf, der zwanghaft an seinen Plänen festhält. Wir haben aber gelernt, dass Bildung ein sozialer Prozess ist. Der Schulbetrieb ist für die Kinder und die berufstätigen Eltern enorm wichtig. Nicht jedes Kind hat zu Hause die digitale Ausstattung für einen Lernerfolg im Fernunterricht. Ziel ist es also, die Schulen offen zu halten, solange es verantwortbar ist.

Angesichts der bei uns immer noch relativ geringen Infektionszahlen ist das derzeit der Fall. Für die Schulen heißt das: Wenn 25 Prozent der Schüler oder Lehrer in Quarantäne sind, würden wir aus dem Regelbetrieb gehen. Derzeit halte ich den Schulbetrieb aber für mehr als verantwortbar.

Lüften und Luftfilter

Susann Schober:

Wie sollen im Winter die Aerosole aus den Klassenräumen herauskommen? Offene Fenster können doch wohl nicht die Lösung sein?

Wir haben uns in Gesprächen mit Experten lange mit diesem Thema beschäftigt. Die Lösung ist das Stoß- und Querlüften. Das heißt nicht, dass die Kinder ständig im Durchzug sitzen, sondern nach der Stunde Fenster und Türen aufmachen. Durch Stoßlüften sinkt die Raumtemperatur in der Regel um zwei bis drei Grad ab. Das ist verkraftbar.

Jan Schumann:

Warum wird derzeit nicht der Einbau von Luftfiltern vorangetrieben?

Luftreinigungsgeräte sind nicht die Lösung. Wir haben uns auch damit intensiv beschäftigt: Es gibt bisher keine Erkenntnisse, dass diese Geräte verlässlich helfen. Es gibt sogar Untersuchungen, die sagen, dass sie eher Schaden anrichten können.

Wir verfolgen die Debatte aber intensiv. Ich bin kein Gegner von diesen Geräten. Aber ich kann nicht auf Verdacht für tausende Euro diese Geräte anschaffen. Und ich will die Schulen auch nicht mit Scheinlösungen belasten.

Fernunterricht und digitale Ausstattung

Nadine Kandziora:

Warum lässt man keine Öffnungsklausel zu für Kinder mit Angehörigen, die vorerkrankt sind und besser zu Hause lernen könnten?

Wir leben ja alle in einem sozialen Umfeld. Warum soll jetzt hier ausgerechnet die Schulpflicht eine Rolle spielen? Es ist die Eigenverantwortung des familiären Umfeldes, die Risikogruppen zu schützen. Das sagen uns auch die Gerichte.

Julia Kannheiser:

Wieso gibt es für den Fernunterricht noch immer keinen einheitlichen Kommunikationsweg zwischen Schülern und Lehrern?

Weil die Voraussetzungen der Elternhäuser nicht ganz einfach sind. Viele Schüler haben nicht die Möglichkeit, digitale Lernplattformen zu nutzen. Solange das so ist, müssen die Schulen Wege nutzen können, um jeden zu erreichen. Das Ziel muss natürlich sein, digitale Mittel häufiger zu verwenden.

Kathleen Oswald:

Wann erhalten wir Lehrer endlich unsere mobilen Endgeräte inklusive mobile Datennutzung?

Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern dazu laufen gerade. Wir bereiten jetzt schon vor, dass noch in diesem Schuljahr die Lehrer ihre Laptops bekommen. Voraussetzung ist, dass die Hersteller liefern können. Ich bin da aber optimistisch. Ich denke, noch vor Weihnachten wird die Vereinbarung stehen.

Umgang mit Risikogruppen

Anonym:

Der Schulbestand an FFP2-Masken ist schnell aufgebraucht - warum wird nicht regelmäßig an die Schulen nachgeliefert?

Wir haben bisher über eine Million reguläre OP-Masken und über 200.000 FFP2-Masken an die Schulen geliefert. Es gibt aber offenbar in einigen Einrichtungen Schwierigkeiten damit, dass die Masken von den Schulträgern auch bis in die Schulen kommen. Die Träger, das sind meistens die Landkreise und kreisfreien Städte. Dem werden wir noch mal nachgehen. Es wird aber immer Nachlieferungen geben.

Stefanie Link:

Mit welchem Recht haben Sie angeordnet, dass die Lehrer über 60 Jahre per se nicht zur Risikogruppe gehören? In anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes wird dieser Gruppe etwa mit Home Office entgegengekommen.

Wir sind im Normalbetrieb - und da sind alle Kollegen in der Schule. Es sei denn, man ist durch eine Vorerkrankung geprägt. Dann gibt es besondere Maßnahmen, etwa Schutzglas oder spezielle Masken. Es braucht dafür aber eine klare medizinische Diagnose. Die wird nicht pauschal an irgendwelchen Altersgruppen festgemacht.

Hygienekonzepte im Schulalltag

Alina Matthei:

Hygienekonzepte werden nicht überall umgesetzt. Wie wird dagegen vorgegangen?

Das kann man am besten vor Ort in der Schule machen, etwa das Gespräch mit der Schulleitung suchen. Falls das nicht weiterhilft, kann man das gerne auch über Facebook oder Ähnliches direkt an mich herantragen. Dann werde ich dem nachgehen. Ich gehe aber fest davon aus, dass wir alle ein hohes Interesse daran haben, dass die Hygienemaßnahmen auch greifen.

Andre Borchert:

Zu Ungereimtheiten beim Sportunterricht: Zum einen gibt es die Empfehlung vom Land, Sport draußen zu machen. Zum anderen sind die Regeln zur Desinfektion in den Sporthallen nicht umsetzbar. Wie sieht das Land dieses Problem?

Sportunterricht kann weitestgehend normal stattfinden. Am Ende muss man gucken, wie sich dabei die Hygieneregeln praktisch umsetzen lassen und eventuell nach Alternativen suchen. Natürlich kann man auch im November Sport draußen machen. Wir sagen: möglichst draußen, muss aber nicht. Wichtig ist, den Spagat zwischen Schulbetrieb und Hygienemaßnahmen zu schaffen.

Gerline Paulikat:

Wird es in Sachsen-Anhalt Studien zur Ansteckung im Unterricht geben?

Wir haben eine Fülle von Studien bundesweit. Davon profitieren wir stark. Wir lernen so jeden Tag dazu. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum in Magdeburg haben wir derzeit auch eine eigene Studie zum Unterricht laufen.

Evelyn Schneider:

Wir müssen eine Gesamtkonferenz mit Eltern durchführen. Kontakte sollten doch aber eigentlich stark eingeschränkt werden - wie soll das funktionieren?

Wenn sie nicht unbedingt notwendig ist, sollte man die Elternkonferenz verschieben oder als Videokonferenz stattfinden lassen. Das hängt aber immer von den Gegebenheiten der Schule ab.

Lerndefizite

Jan Schumann:

Welche Planungsansätze gibt es, um Lerndefizite aufzufangen?

Die Defizite sind in der Summe nicht so gravierend. Es besteht also kein systematischer Handlungsbedarf. Wir gehen deshalb auch weiter von der bisherigen Ferienplanung aus. Wir wollen schließlich nicht noch mehr Verwirrung stiften.

Jan Schumann:

Gibt es denn belastbare Erkenntnisse, dass Schüler Lerndefizite haben?

Nein. Aber die Schulen sind angehalten, gerade die Abschlussjahrgänge im Blick zu behalten. In den Schulen hat man uns aber zurückgespielt, dass das bisher kein so großes Thema ist. Ich werde Hinweisen aber jederzeit gern nachgehen.

Das komplette Video des Gespräches können Sie hier noch einmal ansehen. Wir bitten, die Tonprobleme zu Beginn der Übertragung zu entschuldigen. (mz)