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"Aerosol Arena" Magdeburg "Aerosol Arena" Magdeburg: Vom DDR-Kombinat zum Zentrum für Graffiti-Künstler

10.10.2017, 07:46
Ein Graffiti-Künstler sprüht in der Aerosol-Arena in Magdeburg
Ein Graffiti-Künstler sprüht in der Aerosol-Arena in Magdeburg dpa-Zentralbild

Magdeburg - Im Norden Magdeburgs muss man nur die Elbe überqueren, um von den Grünflächen des Herrenkrugparks in das Hafengebiet der Stadt zu gelangen. Hier erkennt man noch die alten Spuren der DDR-Kombinate. Heute sitzen dort andere Firmen, die sich Glas- und Gebäudereinigung, Treppen und Metallbau, Arbeitsbühnenverleih oder Recycling widmen.

Jens Märker Ideengeber und Gründer der Aerosol Arena in Magdeburg

Inmitten dieses eher grauen Ortes befindet sich ein bunter Klecks, eine vielfarbige Oase, die schon von Weitem zu erkennen ist. Zuerst kommt ein halbnacktes Krokodil zum Vorschein. Eine Mickey Mouse. Viele unlesbare, verschnörkelte Buchstaben. Und dann, beim genauen hinschauen, ein kleiner Schriftzug: Aerosol Arena.

„Es ging in erster Linie um mich“, sagt Jens Märker und zieht an seiner Zigarette. Der Ideengeber und Gründer der Arena, kurze graue Haare, Dreitagebart, Jeans, rotes T-Shirt, suchte lange nach etwas, wo er sich für seine Graffiti-Malereien „einfach so austoben“ konnte. „Als ich früher auf Jams war, durften nie mehr als 20, 30 Leute gleichzeitig sprayen“, sagt er. Jams, das sind organisierte Veranstaltungen, in denen Graffiti-Künstler zusammenkommen und gemeinsam legal sprühen.

Aerosol Arena wirbt mit „Deutschlands größte Hall-of-Fame“

Der Dortmunder wurde schließlich auf das günstige Gelände in Magdeburg aufmerksam: eine stillgelegte Brot- und Nudelfabrik. 2012 setzte er die Idee um, nachdem er auch die Nachbarn von dem unorthodoxen Projekt überzeugt hatte. Seitdem erleuchten die 30.000 Quadratmeter in bunten Farben. Auf ihrer Website wird die Aerosol Arena als „Deutschlands größte Hall-of-Fame“ beworben, Deutschlands größte Graffiti-Wandfläche.

„Hier kommt einfach alles zusammen“, sagt Ilja, kurze Haare, schlank, Brille, Graffiti-Sprayer aus Leipzig. „Du hast hier deine Ruhe, kannst malen was du willst und dir wird bei allem geholfen.“ Als er die Aerosol Arena zum ersten Mal mit einem Freund betrat, habe er ihn gefragt, was man davon denn nun bemalen könne. „Alles“, habe sein Freund ihm geantwortet. „Ich so: wie alles?“, sagt Ilja. „Ich war übelst geflasht.“

Graffiti-Sprayer aus Leipzig: „Ich habe mit hässlichem Rumgeschmiere angefangen, aber irgendwann wurden meine Bilder immer größer und bunter“

Wie die meisten Graffiti-Künstler begann Ilja mit dem illegalen Sprayen. Er ging nachts raus und sprühte seinen Namen an Wände. „Das fand ich cool.“ Eine Stadt mit möglichst vielen Versionen des Künstlernamens zu markieren, nennt sich taggen – und darum geht es beim Graffiti vorrangig. „Ich habe mit hässlichem Rumgeschmiere angefangen, aber irgendwann wurden meine Bilder immer größer und bunter“, sagt Ilja. Teilweise habe er über mehrere Nächte an einem Werk gearbeitet. Als die Polizei kam, versteckte er sich im Gebüsch oder spielte einen Betrunkenen.

Später, als er gerade dabei war, eine KFZ-Mechatroniker-Ausbildung zu absolvieren, wurde Ilja auf eine Ausschreibung aufmerksam. Eine Bierbrauerei organisierte ein „Graffiti-Battle“, der Gewinner sollte die Außenwand der Brauerei umgestalten. Ilja gewann, machte sich selbstständig und arbeitet seitdem als Auftragssprayer.

Graffiti: Buchstaben sind verdreht und verändert, so dass sie der ungeübte Betrachter gar nicht erkennt

Hier in Magdeburg kehrt er jedoch immer wieder zu seinen Wurzeln zurück – er taggt. Im Prinzip sprüht Ilja also nur ein einziges Wort an die Wand – YOUR, sein Künstlername. Hier hat er jedoch die Zeit, das Kunstwerk so auszuschmücken, wie er es auf der Straße nie konnte. Die Buchstaben sind verdreht und verändert, so dass sie der ungeübte Betrachter gar nicht erkennt. Sie wirken dreidimensional und von der Wand losgelöst, werden von vielen hunderten Farbklecksen und schneckenförmigen Kreisen von außen verstärkt.

„Ich fange langsam an, Graffiti zu verstehen“, sagt Valerya. Die junge Frau aus Weißrussland, braune Haare, schwarzes Top, steht daneben, arbeitet an einem eigenen Bild einer liegenden Frau mit Fetisch-Halsband. Mit dem Sprayen hat sie erst vor kurzem angefangen, eigentlich macht sie Tape-Art, also Kunst aus Klebeband.

„Viele verstehen nicht, warum Sprayer immer und immer wieder ihren Namen hinmalen“

Doch während beim Tape-Art alles genau geplant werden müsse, könne man beim Sprayen einfach rauslassen, was gerade in einem stecke – schnell und ohne nachzudenken. „Viele verstehen nicht, warum Sprayer immer und immer wieder ihren Namen hinmalen“, sagt sie. „Ich glaube, es ist so wie bei Mandalas - eine Art Meditation.“

Ein älterer Herr läuft vorbei und schießt Fotos von Iljas Kunstwerk. Als das hier noch die Brot- und Nudelfabrik war, erzählt er, bekam er ab und an Auftragsarbeiten als Maler. Das Gelände nun außer Betrieb zu sehen, falle ihm schwer. „Ich weiß nicht, warum die das platt gemacht haben“, sagt er und schaut ins Leere. „Aber ich finde schön, dass es für so etwas genutzt wird.“ (dpa)