Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Aus dem Ruhestand zurück in die Praxis

Letzlingen/dapd. - Als Ursula Kleemann vor fünf Jahren inRente ging und ihre Arztpraxis verkaufte, glaubte sie, mehr Zeit fürihr Privatleben zu haben. Doch es kam anders. Seit einem Monatarbeitet die 69-jährige Allgemeinmedizinerin zusammen mit ihrem70-jährigen Kollegen Wilfried Schielke wieder in ihrer alten Praxisin Letzlingen. "Wenn wir hier nicht arbeiten, dann gibt esniemanden, der sich um unsere Patienten kümmert", sagt Kleemann. DieArbeit der Ärzte findet großen Zuspruch in der Bevölkerung.
Als die Praxis im September dieses Jahres von derKassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KV) als sogenannteFilialpraxis eröffnet wurde, hätten sich zunächst keine jungenKollegen gefunden, die in dem Ort mit 1.700 Einwohnern arbeitenwollten, sagt Kleemann. Die Allgemeinmedizinerin arbeitete vor ihremRuhestand knapp 40 Jahre als Ärztin in dem Ort und kenntmittlerweile die Großeltern, Eltern und Kinder in den Familien. "Indieser Zeit baut man eine besondere Beziehung zu den Menschen auf",sagt Kleemann.
Die Filialpraxis in Letzlingen ist ein Modellprojekt der KV, mitdessen Hilfe auf den Ärztemangel im Land reagiert werden soll. "Mitdem Konzept der Filialpraxis wollen wir die Grundversorgung vonPatienten in den demografisch problematischen Gebieten langfristigsichern", sagt der stellvertretende Vorsitzende der KV inSachsen-Anhalt, Michael Diestelhorst.
Das Konzept der Filialpraxis sieht vor, mehrere Ärzteunterschiedlicher Fachrichtungen unter einem Dach zusammenzufassen."Drei bis vier Fachärzte kommen stunden- oder tageweise in dieRäumlichkeiten und ersparen ihren Patienten damit weite Wege ingrößere Städte", erklärt Diestelhorst. Bis Ende 2010 sollen laut KVdrei weitere Filialpraxen im Land eröffnet werden.
"Derzeit fehlen in Sachsen-Anhalt rund 700 Ärzte", sagt BeateBröcker, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. In diesemBereich sei der Fachkräftemangel im Land am deutlichsten ausgeprägt,fügt sie hinzu. Nach Angaben der KrankenhausgesellschaftSachsen-Anhalt sind alleine in den rund 50 Krankenhäusern im Landüber 270 Stellen unbesetzt. Die übrigen unbesetzten Stellenbetreffen niedergelassene Ärzte.
Die beiden "Reaktivierten", wie sich Kleemann und Schielke selbstnennen, teilen sich die Arbeit in der Letzlinger Praxis. DerInternist fährt dreimal in der Woche die rund 30 Kilometer vonseinem Wohnort bis nach Letzlingen. An den beiden anderen Tagenversorgt Kleemann die Patienten. Die Arbeit der Allgemeinmedizinerinund des Internisten findet großen Zuspruch. In den ersten zweiWochen haben sie bereits 230 neue Patienten in ihre Aktenaufgenommen. Knapp einen Monat nach der Eröffnung der Praxis sind eslaut Schielke bereits mehr als 400. "Bis April wollen wir die 1000erreicht haben", sagt der Internist.
Auch Schielke war schon im Ruhestand, als er von der KVangesprochen wurde, ob er nicht wieder arbeiten wolle. "Eigentlichhatte ich vor, Gedichte zu schreiben", sagt der Arzt. Ihm sei esaber wichtig gewesen, dass die medizinische Versorgung gerade derälteren Patienten gesichert ist. Die meisten Menschen, die in diePraxis kämen, seien über 50 Jahre alt, sagt Schielke. Viele derälteren Menschen könnten gar nicht mehr in die Praxis kommen. Daherfahren er und seine Kollegin auch regelmäßig zu Hausbesuchen in dieumliegenden Gemeinden.
Noch bis April nächsten Jahres sollen die beiden Ärzte inLetzlingen die Stellung halten. Bis dahin hoffen sie, dass jüngereNachfolger gefunden werden. "Auch wenn ich nur zwei Tage die Wochehier bin, merke ich doch, dass die Arbeit sehr anstrengend ist",sagt Kleemann.
Als eine Patientin sie vor kurzem gefragt habe, warum sie sichdie Arbeit in ihrem Alter noch antue, antwortete die Ärztin: "Ichmach das nur wegen euch."