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Schrottkarre mit Geschichte Schrottkarre mit Geschichte: Schrauber wollen legendären Wartburg wieder fit machen

Von Katja Pausch 24.11.2018, 11:02
Blick in die Karosse des Wartburg Tourist: Ralf Schaum aus Teicha will mit Freunden das Kult-Auto wieder aufbauen. Dazu werden Teile gesucht.
Blick in die Karosse des Wartburg Tourist: Ralf Schaum aus Teicha will mit Freunden das Kult-Auto wieder aufbauen. Dazu werden Teile gesucht. Silvio Kison

Teicha - Da fehlt doch die Hälfte! Angesichts der zitrusgelben „Schrottkarre“, an der nicht nur der komplette Motorraum fehlt, ist kaum zu glauben, was sich Ralf Schaum aus Teicha und ein paar erklärte DDR-Auto-Fans da in den Kopf gesetzt haben: „Den bauen wir wieder auf.“

„Den“ - damit ist der legendäre Wartburg Tourist 353 gemeint, der von 1968 an bis zur Schließung 1989/90 in den Karosseriewerken in Halles Osten gebaut wurde. Und nicht nur gebaut, sondern sogar entworfen! Schon 1964 stellte das Entwicklungsteam um Günter Bragulla erste Modell-Entwürfe des Fahrzeugs vor.

Wartburg Tourist:  Oldtimer-Liebhaber Ralf Schaum fuhr mit der 353er bis nach Ungarn

Das sollte auf keinen Fall „Kombi“, sondern „Tourist“ genannt und als Auto der DDR-Bürger für Camping und Freizeit entwickelt werden. „Da musste eine zwei Meter Luftmatratze reinpassen“, weiß der einstige Karosseriewerker und heute Oldtimer-Liebhaber Ralf Schaum. Er selbst sei mit dem 353er in Familie bis nach Ungarn gefahren, und sogar seine Rennmaschine - Schaum war und ist bis heute vielfacher Meister im Motorsport - habe in den „Tourist“ gepasst.

„So ein Auto gibt’s bis heute nicht noch mal“, so Schaum. „Genial einfach“ sei die Konstruktion des Wartburg Tourist gewesen, das Auto „einfach und wunderschön“

Hallenser Günter Bragulla war jahrelang Chefkonstrukteur in der „Karosse“

„Die Prototypen haben wir damals praktisch Blech für Blech zusammengeschraubt“, erklärt Bragulla. Der 84-Jährige war in der „Karosse“, wie die Hallenser den Betrieb an den Standorten Merseburger und Berliner Straße mit rund 1.000 Beschäftigten nannten, lange Chefkonstrukteur und später verantwortlich für Forschung und Entwicklung.

Dank seiner acht Ordner dicken Betriebs-Chronik sind nicht nur alle Entwürfe, sondern die gesamte Unternehmensgeschichte detailliert dokumentiert. „Ein Jahr lang musste damals unser erstes Modell rund um die Uhr auf Testfahrt gehen, drei Fahrer haben sich für die rund 250.000 Kilometer kreuz und quer durch die DDR abgewechselt“, erinnert sich Bragulla an die aufwendigen, aber notwendigen Probefahrten.

Fast schrottreif: Für den Wartburg Tourist werden noch Ersatzteile gesucht

Mit dem Konstrukteur und anderen Karosse-Werkern nun will Schaum den fast schrottreifen 353er komplett wieder aufbauen - und das im 50. Jahr der Erstproduktion des Wartburg Tourist, der 1968 erstmals vom Band lief.

Für das gelbe „Scheunenfundstück“, das Schaum in einem Dorf hinter Köthen ausfindig gemacht hat, suchen die Oldtimer-Fans nun Teile für den Wiederaufbau, der für die Karosseriewerker kein Problem ist: Gelernt ist gelernt.

Billardgrün soll die Karosse gespritzt werden, mit silbernem Dach. „Ich bin überzeugt, dass der 353er nächstes Jahr durch Halle rollt“, freut sich Schaum jetzt schon. „Wir wollen mit dem Wagen die Tradition erhalten“, sagt er. Und: „Wir konnten damals Autos bauen.“

››Treffen der Karosseriewerker und Interessierter am Samstag, 16 Uhr, Gaststätte „Zur Linde“ in Teicha. (mz)

„Karosse“-Konstrukteur Günter Bragulla (l.), Hannchen Schaum (vorn), Dietrich Amberg, Bernd Hödel, Ralf Schaum und Ingo Zander (v. l.) vor dem „Tourist“.
„Karosse“-Konstrukteur Günter Bragulla (l.), Hannchen Schaum (vorn), Dietrich Amberg, Bernd Hödel, Ralf Schaum und Ingo Zander (v. l.) vor dem „Tourist“.
Silvio Kison