Reitsport in Merseburg Reitsport in Merseburg: Mit 70 in den Sattel

Merseburg - Es ist eine Szene, wie sie auf deutschen Reitplätzen am Tag tausendmal zu sehen ist. Ein Pferd an einer langen Leine, der Longe, läuft im Kreis, auf seinem Rücken ein Reitschüler, am Ende der Longe ein Reitlehrer. Reitunterricht für einen Anfänger. So auch beim RFV St. Hubertus Merseburg, wo Reitlehrerin Michaela Loose mit ihrem Schützling Reiner Grundai und der Stute Ronja trainiert. Das Besondere an diesem Trio: Reitschüler Grundai ist 70 Jahre alt.
Familie lächelte erst einmal
Wo es gleichaltrige Männer eher zur gemütlichen Skatrunde in die Kneipe oder in den eigenen Garten zieht, hat sich der in Meuschau lebende Grundai eine ganz andere Herausforderung gesucht. Er will Reiten lernen, völlig ungeachtet seines Alters. „Meine Familie hat erst einmal nur gelächelt, als ich das zu Hause erzählt habe“, erinnert er sich noch gut an diesen Moment. Doch Grundai lässt sich davon nicht bremsen. Auf die Idee gekommen ist er bei seinen geliebten Ausflügen mit dem Fahrrad. „Ich bin viel mit dem Rad unterwegs, hab schon Ausflüge auf den Brocken gemacht“, erzählt Grundai. Bei einer seiner Touren auf dem Drahtesel kam er auch am Gelände der RSV Hubertus vorbei und schaute sich den Vereinsbetrieb auf dem Reiterhof ein wenig an. Das weckte sein Interesse. Später traf er dann auf eine Reiterin, die mit ihrem Pferd im Gelände unterwegs war. „Ich habe dann einfach mal angefragt, ob ich nicht Reitstunden nehmen könnte“, so Grundai. Für Michaela Loose war das Interesse eines „älteren Semesters“ zwar nichts Ungewöhnliches - beim RSV Hubertus reiten auch zwei über 60-jährige Damen - aber auch nichts Alltägliches.
70 Prozent Kinder
Immerhin sind 70 Prozent der Reitschüler des Vereins Kinder. Was nicht heißt, dass nur diesen die Türen offen stehen. „Reiten lernen kann man praktisch sein ganzes Leben lang“, sagt Michaela Loose. Der Ablauf des Reiten lernens ist dabei nicht abhängig vom Alter des Reitschülers. Erlernen müssen alle das gleiche und das in geballter Form. „Das Problem, man muss alles mit einem Mal erlernen, und nicht phasenweise. Eines bedingt das andere, es ist ein Komplex an Bewegungsabläufen“, erläutert Michaela Loose. Dazu kommt dann noch das, was über das „im Sattel sitzen“ hinaus geht. Die Pflege des Pferdes - striegeln, bürsten, Hufe auskratzen - gehört nämlich mit dazu.
Augen zu im Sattel
Grundai hat jetzt mehr als zehn Reitstunden auf dem Buckel, alle an der Longe, durch die der Reitlehrer das Pferd kontrolliert. „Das Faszinierende daran ist, wie feinfühlig so ein Tier auf einen reagiert“, zeigt sich der 70-Jährige begeistert, „das hätte ich nie gedacht“. Schritt und Trab beherrscht Grundai bereits, kann freihändig im Sattel sitzen, dabei auch die Augen schließen und wie im Sportunterricht Armkreisen machen. Das alles muss ein angehender Reiter können, das verlangt Michaela Loose von ihren Reitschülern. Für Grundai ist das kein Problem, durch das viele Radfahren hat er sich eine gute körperliche Konstitution aufgebaut. Die hilft ihm beim Reiten lernen. „Körperlich ist das nicht so anstrengend für mich“, meint er.
Ronja will nicht so recht
Die einzige, die an diesem Tag keine so rechte Lust zum Traben hat, ist Ronja, eines der Schulpferde des RSV Hubertus. Immer wieder muss Michaela Loose die Friesen-Kaltblut-Mix-Stute antreiben, und als dieser das nicht passt, schlägt Ronja kurz nach hinten aus. Da trifft sie zwar keinen, aber Grundai muss diese Situation im Sattel sitzend meistern. Das schafft er auch, was ihm ein Lob der Reitlehrerin einbringt. Es scheint ihm durchaus leicht zu fallen, diese neue Herausforderung zu bewältigen. Dabei hatte Grundai in den 70 Jahren seines Lebens nie etwas mit Pferden zu tun. „Meine Tochter hat einen Hund“, ist schon alles, was er beim Thema Tiere zu erzählen hat.
Ein halbes Jahr Unterricht
Als künftiger Reiter wird sich das auch nicht ändern. An den Kauf eines eigenen Pferdes denkt Grundai nicht. Er will vielmehr sich soweit verbessern, dass er allein einen Geländeritt unternehmen kann, als klassischer Freizeitreiter auf einem der Vereinspferde. Bis dahin wird aber noch etwas Zeit vergehen. „Ein halbes Jahr an der Longe, ehe man an das freie Reiten denken kann. Es hängt natürlich auch davon ab, wie oft der Schüler zum Unterricht kommen kann“, nennt Michaela Loose einen zeitlichen Rahmen. Bis es soweit ist, werden die drei noch ein besonderes Schüler-Lehrer-Pferd-Trio bilden. (mz)