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Situationen in Notaufnahme Patienten kommen mit schweren Krankheitsbildern

Der Chefarzt des Notfallzentrums im Klinikum Merseburg berichtet, dass Nicht-Covid-Patienten wegen der Pandemie oft viel später das Krankenhaus aufsuchen. Das erschwert die Heilung.

Von Robert Briest 16.01.2022, 12:00
Hartmut Stefani leitet das Notfallzentrum im Basedow.
Hartmut Stefani leitet das Notfallzentrum im Basedow. Briest

Merseburg/MZ - „Leider sehen wir nun viele schwer kranke Patienten, die einen Arztbesuch aufgrund der Pandemie verschoben haben“, berichtete Lutz Heimann, Geschäftsführer des Basedow-Klinikums in dieser Woche. Robert Briest sprach mit dem Leiter der Notfallambulanz, Hartmut Stefani, darüber, was dies konkret bedeutet und warum der Rückgang der Corona-Patienten seine Mitarbeiter nicht entlastet.

Was bedeutet es, wenn Herr Heimann von „schwer kranken Patienten“ spricht, die nun vermehrt in der Notaufnahme ankommen?

Hartmut Stefani: Patienten, die ins Klinikum kommen, haben ja in der Regel eine Vordiagnostik, etwa vom Hausarzt. Wenn sich ihr Zustand verschlechtert, werden sie zu uns geschickt. Jetzt beobachten wir jedoch vor allem bei drei Gruppen, Tumor-, Entzündungs- und Herz-Kreislauf-Patienten, dass sie oft mit deutlich schwereren Krankheitsbildern zu uns kommen als früher. Sonst kamen die Patienten, bevor der Tumor sichtbar war, jetzt haben sie teilweise schon Metastasen. Kreislaufpatienten, die schon lange Symptome haben, kommen teils erst, wenn sie einen Infarkt haben und bei manchen Entzündungspatienten sehen wir, dass sie schon wochenlang daran laborieren.

Woran liegt es, dass nun die Schwere der Krankheitsbilder im Nicht-Covid-Bereich zugenommen hat?

Das hat mehrere Gründe: Es ist so, dass Patienten derzeit zögern, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie Angst haben, sich beim Kontakt mit dem Gesundheitswesen mit Corona zu infizieren. Einige denken angesichts der Vielzahl der Covid-Fälle auch, dass es anderen schlechter geht als ihnen selbst und zögern deshalb zum Arzt zu gehen. Und teilweise läuft die Vorsorge nicht so, wie man es erwarten würde. Die klassischen Früherkennungsmechanismen funktionieren also derzeit nur eingeschränkt.

Das Basedow hat, wie in vorherigen Wellen, seit Dezember die elektiven, also die nicht dringend erforderlichen, Behandlungen eingestellt. Welchen Einfluss hat das?

Das spielt sicherlich eine große Rolle. Es betrifft ja nicht nur uns, sondern viele andere Kliniken, ja das gesamte Gesundheitswesen, in dem es zu Einschränkungen kommt. Wichtige planbare Untersuchungen werden verschoben. Das führt dazu, dass die Patienten in dem Zustand zu uns kommen, wie sie nun kommen.

Es ist also eine Nebenwirkung der Fokussierung auf die Covid-Behandlung?

Es sind Effekte der Überlastung des Gesundheitswesens. Dazu zählt etwa auch die Erschöpfung des Personals und die Zuspitzung des Personalmangels einiger Bereiche.

Welche Folgen hat die späte Behandlung etwa für Tumor- oder Kreislaufpatienten?

Die Behandlung wird dadurch anspruchsvoller. Sie müssen länger im Klinikum bleiben. Bei manchen Erkrankungen kann es sein, dass sich die Prognosen verschlechtern. Deswegen versuchen wir so viele Kapazitäten wie möglich für diese Patienten zu nutzen. Das bedeutet aber, dass unser Personal, nun da die Corona-Zahlen sinken, nicht weniger gefordert ist. Eine Verschnaufpause gibt es nicht. Mit Blick auf die nahende fünfte Welle ist das verheerend, denn das Personal ist ausgezehrt.

Beobachten Sie, dass, durch den späteren Gang ins Klinikum, mehr Patienten sterben?

Nein. Im Nicht-Covid-Bereich ist der Anteil der Patienten, die versterben nicht gestiegen.

Welchen Rat haben Sie für Personen, die aus den eingangs genannten Gründen vielleicht trotz Problemen zögern, zum Arzt zu gehen?

An der Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen sollte sich nichts ändern. Wenn ich mich krank fühle, sollte ich genauso zum Arzt gehen, wie vor der Pandemie. Wichtig ist nur, dass die Patienten die Schutzmaßnahmen, Impfung, Maske, nutzen.

Viele Jahre klagten Notaufnahme darüber, dass zahlreiche Patienten mit kleinen Wehwehchen kamen, die nicht dorthin gehörten. Hat sich das nun geändert?

Ja. Das hat sich drastisch reduziert. Die sogenannten Bagatellerkrankungen sind sehr selten. Ein Großteil der Patienten, die kommen, gehört wirklich in unsere Behandlung. Das spüren wir daran, dass unsere Kapazitäten genauso ausgelastet sind, wie auf dem Höhepunkt der Pandemiewelle. Wir haben also insgesamt nicht weniger Patienten, sondern merken mittlerweile ein antizyklisches Verhalten. Wenn die Covid-Zahlen zurückgehen, haben wir sofort einen Anstieg der Nicht-Covid-Patienten.

Vorbereitung auf Omikron

Derzeit befinden wir uns wohl zwischen vierter und fünfter Welle, wie bereitet sich die Notfallambulanz auf Omikron vor?

Wir haben die Kontakte im Personal, etwa durch Dienstberatungen, massiv eingeschränkt. Wir haben Dienstpläne für den Fall, dass sich das verfügbare Personal reduziert, und Kontakt zum Katastrophenschutz. Denn ein so breiter Personalausfall, wie er teils prognostiziert wird, wäre enorm herausfordernd. Da gilt es nicht nur in lokalen Maßstäben zu denken. Wir haben im Cluster mit Halle Modelle entwickelt, um überall die Notfallversorgung sicherzustellen.

Die Kliniken würden sich dann gegenseitig mit Personal aushelfen?

Das hatten wir überlegt, aber da besteht die Gefahr Infektionen zu verschleppen. Wir haben uns deshalb ein Modell überlegt, in dem wir tageweise Zuständigkeiten festlegen. An einem Tag würden dann beispielsweise alle Herzinfarkte zu uns gebracht oder ins Elisabeth-Krankenhaus nach Halle. Am nächsten Tag übernimmt die Neurologie mit den meisten Kapazitäten alle Schlaganfallpatienten. Das erfordert natürlich viel Koordination mit Leitstellen und Rettungsdiensten.