MZ-Redakteurin im Praktikum MZ-Redakteurin im Praktikum: Für einen Tag Rangierlokführer

Leuna - Stefan Hesse nimmt das Gas weg, bremst kaum spürbar und lässt dann die Lok rollen. Gleichmäßig gleitet sie auf den Kesselwagen zu, der auf dem Gleis geparkt ist und das Ende einer ganzen Reihe von Kesselwagen bildet. Dann stupst die Lok den Wagen an und Hesse springt herunter, um sie mit dem Kessel zu verbinden. Er geht zwischen Kessel und Lok und hebt die Kupplung des Kesselwagens an. Eine schwungvolle Bewegung reicht und sie gleitet über den Haken.
Sieht gar nicht so schwer aus. „Das mache ich an Tagen, an denen viel zu tun ist, bis zu 200 Mal“, sagt er und lächelt. Stefan Hesse ist Rangierlokführer bei der Infra Leuna. Die Betreibergesellschaft des Chemiestandortes unterstützt die vielen Firmen vor allem durch die Infrastruktur, zu der auch der Transport von Gütern auf der Schiene gehört. Für Hesse ist das Alltag und er lässt mich daran teilhaben.
„Vorsicht, klemm dir nicht die Finger“
Jetzt bin ich dran, die Kupplung wieder auszuhängen. „Vorsicht, klemm dir nicht die Finger“, sagt Hesse noch und wartet mit einem Lächeln im Gesicht darauf, dass ich die Kupplung anhebe. Doch es tut sich nichts. Ich kann die Kupplung kaum bewegen, geschweige denn anheben und ich denke mir, wie hat er das nur gemacht? „Die Kupplung wiegt um die 30 Kilogramm“, sagt er, als könnte er meine Gedanken lesen und spornt mich an, es weiter zu versuchen.
Ich wechsel die Seiten, um besseren Halt zu haben und meinen stärkeren rechten Arm besser einzusetzen. Nach mehreren Anläufen habe ich die Kupplung ausgehängt. Meine Güte ist die schwer. Sie schwingt noch leicht vor und zurück. „Sie muss aber auf den Haken dahinter.“ Also wieder 30 Kilogramm anheben und einhängen. Das geht schon leichter, aber auch nur, weil die Kupplung an dieser Stelle sehr niedrig ist.
„Man muss ein Gefühl für die Lok entwickeln und wissen was wie funktioniert“
Und weil es so schön war, soll ich die Kupplung gleich wieder einhängen. Doch das war es noch nicht: Die Schraube dazwischen muss ich noch festdrehen und die Schläuche verbinden. Ohne die geht es nicht, denn sie sorgen dafür, dass der ganze Zug bremsen kann. Es ist nicht einfach nur das Fahren, das gelernt sein will.
„Man muss ein Gefühl für die Lok entwickeln und wissen was wie funktioniert“, sagt Hesse. Er selbst hat erst vor ein paar Jahren zum Lokführer umgeschult und dann bei der Infra Leuna angefangen. Das Unternehmen sucht immer wieder Lokführer, bildet sie sogar selbst aus. Immerhin 70 Prozent aller Güter verlassen den Standort über die Schiene.
Stefan Hesse holt einen Hefter raus, den er heute kaum noch nutzt
Stefan Hesse holt einen Hefter raus, den er heute kaum noch nutzt. „Das sind die Bezeichnungen für die Gleise“, sagt er und zeigt auf die kleinen Nummern, die neben den Linien stehen. Auf mehreren Seiten sind verschiedene Bereiche des Werkes dargestellt. „Es hat ewig gedauert, bis ich das alles auswendig konnte.“
Gemurmel am Funkgerät. Zwei Kesselwagen müssen abgeholt und in einen anderen Bereich des Werkes gebracht werden. Wir unterbrechen unsere Übungsstunde und fahren los. „Den zweiten und dritten Kessel brauchen wir“, erklärt Hesse. Doch bevor er die Kessel holt, kontrolliert er an den Nummern, dass es auch die richtigen sind. Die Leitstelle gibt grünes Licht.
Dann geht das eigentliche Rangieren los
Dann geht das eigentliche Rangieren los: Lok ranfahren, Kupplung einhängen, Schraube festdrehen, Schläuche verbinden, nach dem dritten Kessel Schläuche lösen, Schraube lockern, Kupplung aushängen und wieder am vierten Kesselwagen einhängen. Drei Kesselwagen zieht die Diesellok vom Typ G765 und fährt über die Weiche, damit der Disponent diese umstellen kann.
Auf ein separates Gleis schiebt Hesse die Kessel nun. Und wieder heißt es: Schläuche lösen, Schraube lockern, Kupplung aushängen. Er überlässt es mir. Ich gebe mein Bestes und schaffe es die Kupplung zu lösen, gefolgt von einem Jubelschrei. Doch beim Einhängen verlassen mich dann doch die Kräfte. Stefan Hesse muss helfen.
Lokführer der Infra Leuna sind rund um die Uhr im Dreischichtsystem im Einsatz
Acht Stunden arbeitet er unter der Woche, am Wochenende sind es zwölf. Die Lokführer der Infra Leuna sind rund um die Uhr im Dreischichtsystem im Einsatz. Ihre Aufgabe ist es auf dem Standort die chemischen Stoffe zu den Unternehmen und wieder wegzubringen. „Das meiste sind tatsächlich Kesselwagen.“ Hin und wieder seien auch Schüttgut und Container dabei, aber eher selten. Ihre Schicht verbringen die Lokführer entweder im Werk I oder im Werk II – je nach Aufgabe. Für Hesse ist am Übergabebahnhof Schluss. Doch für die Infra Leuna nicht. Auf der Schiene transportiert sie Stoffe in ganz Deutschland.
Während der Fahrt und je nachdem ob er zieht oder schiebt, springt der Spergauer entweder auf die Lok oder den Kesselwagen. „Früher gab es Rangierer und Lokführer. Heute sind wir beides in einer Person und haben eine Fernsteuerung.“ Die trägt er um den Hals, damit er sich frei bewegen kann. Aber auch manuell vom Pult lässt sich das Schienenfahrzeug steuern. Allein auf dem Gelände innerhalb des Standortes kommt Hesse in einer Schicht auf 60 bis 80 Kilometer, die er mit der Lok zurücklegt. Jetzt soll ich ein paar Meter fahren.
Er legt die Fernsteuerung ab und schaltet auf manuell um. Nur zaghaft traue ich mich den Hebel nach vorn zu drücken und spüre wie die Lok dadurch schneller wird. Mir fehlt das Gefühl für das tonnenschwere Gefährt und so bremse ich etwas zu ruckartig und gebe unbeholfen wieder Gas. „Das ist nur Übungssache“, sagt Hesse geduldig, während er meine ersten Fahrversuche beobachtet und dann unterbricht er das Gespräch kurz. Der nächste Funkspruch, die nächste Aufgabe wartet auf ihn und so lässt er mich wieder absteigen und holt die nächsten Kessel. (mz)



