JA Raßnitz JA Raßnitz: Warum im Jugendgefängnis immer mehr Zellen unbesetzt sind

Raßnitz - 15 Jahre hat die Jugendanstalt (JA) in Raßnitz schon auf dem Buckel, das weitläufige Areal wirkt trotzdem auch heute noch sehr modern. Doch anders als bei seiner Eröffnung hat das Gefängnis mittlerweile ein Auslastungsproblem. Von den 398 Haftplätzen waren zum Jahreswechsel nur noch 264 belegt.
Vor allem in der Hauptzielgruppe, also bei den unter 21-Jährigen, gibt es weniger Gefangene. Vor zehn Jahren waren die in Raßnitz noch unter sich. Von den damals 331 Häftlingen waren 301 verurteilte Jugendstraftäter, die übrigen waren Untersuchungshäftlinge. Zum aktuellen Jahreswechsel zählte das Landesjustizministerium nur noch 24 junge U-Häftlinge und 106 Jugendstrafgefangene - ein Rückgang um fast zwei Drittel. Für Erklärungen verweist das Ministerium auf die Wissenschaft.
Zahl der jugendlichen Straftäter sinkt
Der Münsteraner Forscher, Klaus Boers, ist Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften und hat sich intensiv mit der Jugendkriminalität beschäftigt. Er räumt gleich mit einem Verdacht auf: „Es liegt nicht daran, dass weniger Jugendstrafen ausgesprochen werden, die Richter also nicht durchgreifen.“
Der Anteil der Haftstrafen bei der Verurteilung von Jugendlichen sei seit Jahrzehnten stabil. Für die geringeren Haftzahlen gibt es einen anderen Grund: „Jugendliche und Heranwachsende haben in den vergangenen zehn Jahren weniger Straftaten begangen. Weniger Täter, weniger Gefangene.“ Dies sei ein Trend, der in allen westlichen Gesellschaften zu beobachten sei und gelte sowohl für die angezeigten Straftaten als auch für das Dunkelfeld, also jene Delikte, die der Polizei nicht bekannt werden, berichtet Boers.
Die Aussage untermauert auch die polizeiliche Kriminalstatistik von Sachsen-Anhalt. 2007 zählten die Beamten hier noch mehr als 9.100 Tatverdächtige zwischen 14 und 17 Jahren, 2016 waren es nur noch knapp 5.700. Der Rückgang der Jugendkriminalität betreffe laut Kriminologen alle Bereiche, insbesondere auch die Gewaltdelikte. Lediglich in letzter Zeit sei es in diesem Bereich, vor allem durch die kleine Gruppe nordafrikanischer Zuwanderer, zu einer Zunahme gekommen.
Forscher: Eltern setzen bei Erziehung weniger auf Gewalt
Boers sieht für den langjährigen Rückgang eine Reihe von Gründen. Dazu zähle etwa, dass Eltern bei der Erziehung weniger auf Gewalt setzen. „Natürlich war es nicht so, dass in Deutschland ständig geprügelt wurde, aber die Situation hat sich insgesamt verbessert.“
Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Jugendliche finden heute leicht eine Lehrstelle, die Jugendarbeitslosigkeit sinkt. Mit der sei ein höheres Risiko verbunden, auf die schiefe Bahn zu geraten, erklärt der Forscher, weil sie zu Frust führe und den Betroffenen die Einbindung in die Gesellschaft fehle. Bei einem Acht-Stunden-Arbeitstag bleibe hingegen weniger Zeit für Straftaten, und es gebe eine stärkere soziale Kontrolle.
Zudem führt Boers den rückläufigen Alkoholkonsum unter Jugendlichen an. Die meisten Gewalttaten würden unter Alkoholeinfluss begangen. Schließlich hätten die Schulen die Gewalt unter Schülern Anfang der 2000er als Problem erkannt und sich Sachverstand ins Haus geholt. „Sie sind das Problem aktiv angegangen.“
Ähnliche Gründe sieht auch die Soziologin Anke Erdmann von der Uni Bielefeld. Sie ergänzt noch einen weiteren: Das Bildungsniveau der Jugend sei in den vergangenen Jahren gestiegen, immer mehr würden höhere Schulabschlüsse erreichen.
JA Raßnitz auch für ältere Häftlinge
Es scheint daher unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit wieder deutlich mehr Jugendliche nach Raßnitz kommen. Das Land öffnet die JA deshalb mittlerweile für ältere Häftlinge. Es gebe 132 Plätze für Gefangene, die 18 werden und deshalb eigentlich verlegt werden müssten, und für Strafgefangene bis 27 mit einer Maximalstrafe von zweieinhalb Jahren, erklärt Ministeriumssprecher Detlef Thiel. So seien keine großen Veränderungen beim Personal notwendig.
Dennoch sinkt die durchschnittliche Belegung. Eine Vermietung der Plätze an andere Länder ist dennoch keine Option, wie Thiel berichtet: „In allen Ländern Mitteldeutschlands gibt es derzeit ’Auslastungsprobleme’ in den Jugendanstalten. Es wird überall versucht, mit Jungerwachsenen ’aufzufüllen’. Auch eine Zusammenlegung von Jugendanstalten über Ländergrenzen hinweg ist laut Thiel kein Ausweg. Sie scheitere an der angestrebten Resozialisierung: Die Wege für die Angehörigen der Jugendlichen würden dann so weit, dass es im Regelfall ein Abbruch der der familiären Bindungen drohe. (mz)