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Impfen für den Stillstand Impfen für den Stillstand: Warum Total-Raffinerie in Leuna über 1.000 Dosen bekommt

Von Robert Briest 06.04.2021, 13:00
Die Raffinerie von Total in Leuna ist bereits für den Wartungsstillstand eingerüstet.
Die Raffinerie von Total in Leuna ist bereits für den Wartungsstillstand eingerüstet. Robert Briest

Leuna - Immer wieder poppte in den vergangenen Wochen in der Debatte um eine effizientere Impfkampagne der Vorschlag auf, neben Haus- künftig auch Betriebsärzte einzubinden. Bei VW in Zwickau startete diese Woche ein entsprechendes Modellprojekt. Ein bisher unbekanntes Vorbild gibt es allerdings bereits im Saalekreis, wie Recherchen der MZ ergeben haben.

Am Chemiestandort Leuna hat die Betriebsärztin bereits 500 Impfungen bei Arbeitern der Total-Raffinerie vorgenommen. Dies bestätigte die für das Impfen zuständige Kreisordnungsdezernentin Christina Kleinert. Das Gesundheitsamt habe dies in Abstimmung mit dem Landessozialministerium veranlasst. „Der Impfstoff wurde vom Land als Sonderzuweisung zur Verfügung gestellt.“ Wie eine Ministeriumssprecherin erklärte, gingen insgesamt 1.350 Impfdosen des Herstellers Astrazeneca an den Chemiestandort.

Anstehende Generalwartung der Raffinerie

Anders als beim öffentlich angekündigten Pilotprojekt bei VW in Zwickau, wo entsprechend der üblichen Impfpriorisierung nur Mitarbeiter mit chronischen Erkrankungen und Beschäftigte aus dem Hochinzidenzgebiet Vogtland Spritzen erhalten sollen, sind bei Total offenbar Mitarbeiter quer durch die Bank geimpft wurden. Als Begründung führen Kreis, Land und Chemiekonzern die im Mai und Juni anstehende Generalwartung der Raffinerie an, die lokal einfach als Stillstand bezeichnet wird. Die sollte turnusmäßig bereits im vergangenen Jahr erfolgen, wurde aufgrund der ersten Coronawelle jedoch verschoben.

Ein weiterer Aufschub, so argumentieren die Beteiligten nun, sei nicht möglich: „Die Total-Raffinerie ist ein systemrelevantes Unternehmen, welches zur Gewährleistung des öffentlichen Lebens erforderlich ist und deren Weiterbetrieb von dieser Generalwartung abhängt“, sagt Kleinert.
In der Tat ist die wirtschaftliche und steuerliche Bedeutung der Raffinerie für Standort und Region kaum zu überschätzen. Wegen des angekündigten Stillstands rechnete die Stadt Leuna bei der Aufstellung des Haushalts für 2020 mit 20 Millionen Euro weniger Gewerbesteuereinnahmen als 2019. Für Hotels in der Umgebung ist der Stillstand dagegen ein willkommenes Geschäft. Sie sind in dieser Zeit traditionell ausgebucht – auch in diesem Jahr.

„Sehr hohen Infektionsrisiko“

Genau das ist aus Sicht der Verantwortlichen das Problem, das die Bevorzugung der Raffineriemitarbeiter bei Impfungen – laut Sozialministerium ein einmaliger Sonderweg im Land – rechtfertigt. Total erwartet bis zu 5.000 zusätzliche Kräfte am Standort, die, so Kleinert, auf sehr engem Raum arbeiten müssten. Das Infektionsrisiko wird als sehr hoch eingeschätzt. „Daher sind die teilnehmenden Personen sowie das Umfeld angemessen zu schützen“, betont eine Total-Sprecherin. Die Impfungen seien Teil eines siebenstufigen Infektionsschutzkonzeptes. „Ziel dabei ist die Verhinderung von Transmissionsketten.“

Da viele der Arbeiter für den Stillstand aus anderen Teilen Europas an- und danach wieder dahin zurückreisen, hätten die Wochen in Leuna durchaus das Zeug zu einem Superspreaderevent à la Ischgl. Zur juristischen Rechtfertigung der Bevorzugung der Chemiearbeiter in Zeiten, in denen trotz Spahn’scher Versprechen auch im April noch keine massive Ausweitung der Impfstoffmengen in Sicht ist, verweisen alle drei Institutionen auf einen Passus der Bundesimpfverordnung. In dem heißt es, dass von der Impfreihenfolge abgewichen werden kann, „um eine dynamische Ausbreitung des Coronavirus [...] aus Hochinzidenzgebieten“ zu verhindern.

„Da der Landkreis sehr hohe Inzidenzen über 200 aufweist, ist hier eine solche Sonderaktion zulässig“, schließt Dezernentin Kleinert. Allerdings hatte der Kreis die 200er-Marke erst am vergangenen Wochenende wieder geknackt. Seit Mittwoch ruht jedoch die Impfkampagne laut Total ohnehin. Grund ist der verfügte Stopp für Astrazeneca-Impfungen bei Unter-60-Jährigen. (mz)