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Die Reifeprüfer Die Reifeprüfer: Wie Jugendgerichtshelfer ihre Arbeit mit jungen Tätern bewältigen

Von Robert Briest 13.09.2020, 12:00
Der Hammer eines Richters
Der Hammer eines Richters imago stock&people

Merseburg - Diana Robitzsch macht sich Notizen, wenn der 19-jährige Angeklagte spricht. Er hat seinen Stiefvater im Streit mit einem Messer schwer verletzt. Robitzsch kennt die Geschichte. Der junge Mann hat sie ihr schon bei den Treffen in der Jugendhaftanstalt Raßnitz erzählt. Sie achtet nun auf Abweichungen in Tatgeschehen und Vita, die ihre Einschätzung verändern könnten.

Die Mitarbeiterin des Saalekreises hat im Saal des Landgerichts Halle ihren eigenen Tisch. Eine kleine Lücke trennt sie von der Bank der Staatsanwaltschaft. Der Abstand ist durchaus symbolisch zu verstehen. Robitzsch arbeitet für die Jugendgerichtshilfe. Deren Rolle im Rechtsstaat ist zwischen den Stühlen angelegt. Sie soll bewerten, Maßnahmen durchsetzen, zugleich aber auch junge Täter beraten. Sie ist weder Ankläger noch Verteidiger.

Robitzschs eigentlicher Schreibtisch steht im Jugendamt in Merseburg

Robitzschs eigentlicher Schreibtisch steht im Jugendamt in Merseburg, einem Altbau neben dem Kloster. Ihr Büro teilt sie sich dort mit Barbara Pommer. Sie sind zwei von vier Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfe im Kreis. Die anderen sitzen in Querfurt und Halle. Sie sind zuständig, wenn ein junger Mensch zwischen 14 und 21 Jahren straffällig wird, erklärt Robitzsch.

„Wir bekommen von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht dann parallel die Akten. Dann laden wir ein.“ Oder sie besuchen die Beschuldigten in der Jugendhaftanstalt Raßnitz. In den Gesprächen geht es zum einen um Beratung: „Gerade für diejenigen, die noch keine Erfahrung mit der Justiz gemacht haben, ist es eine Möglichkeit zu erfahren, was eigentlich los ist“, sagt Pommer.

„Im Jugendstrafrecht wird versucht mit Erziehungsmaßregeln Einfluss zu nehmen"

Zum anderen müssen sie die jungen Menschen kennen lernen. Schließlich sollen sie, wenn es zur Verhandlung kommt, die persönliche Entwicklung des Jugendlichen darlegen und bei 18 bis 21 Jahre alten Angeklagten eine Empfehlung geben, ob diese nach dem Jugend- oder dem deutlich strengeren Erwachsenenstrafrecht behandelt werden sollen.

„Im Jugendstrafrecht wird versucht mit Erziehungsmaßregeln Einfluss zu nehmen. Es soll nicht zum Draufhauen dienen, sondern die Lebensführung beeinflussen. Aber natürlich geht es auch darum, Grenzen aufzuzeigen“, sagt Pommer. Die Einschätzung basiere auf einer Reifeprüfung. „Die resultiert aus Gesprächen – so vielen, wie notwendig.“

„Mädchen sind selten. Wenn, dann hat mal eine einen Lippenstift geklaut“,

Meist sitzen dabei angehende Männer vor den Kreismitarbeiterinnen. „Mädchen sind selten. Wenn, dann hat mal eine einen Lippenstift geklaut“, berichtet Robitzsch. Diebstahl ist eine der häufigsten Straftaten, mit denen sie konfrontiert seien – neben Körperverletzungen und Drogendelikten. „Schwere Straftaten, wie Raub, sind weniger geworden“, resümiert Pommer.

Ihre Arbeit und die ihrer Kollegen beschränkt sich aber bei Weitem nicht nur auf die Gerichtsverhandlungen. Die können mit Auflagen für den Jugendlichen enden oder die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren mit Weisungen ein. „Dann kriegen wir die Akte und prüfen, welche Maßnahmen geeignet sind: Schadenswiedergutmachung, Sozialstunden, erzieherische Gespräche zwischen Täter und Opfer. Wenn wir zum Beispiel im Gespräch feststellen, dass es ein Suchtproblem gibt, können wir auch Termine für die Suchtberatung anweisen“, zählt Robitzsch auf. Zu den Möglichkeiten zählen auch erzieherischer Hilfen bis hin zur Heimunterbringung.

„Die Vermittlung von Arbeitsstunden ist ein großes Problem“

Für das Gericht vermittelt und überwacht die Jugendgerichtshilfe zudem die Einhaltung von Auflagen. Das ist nicht immer ganz einfach: „Die Vermittlung von Arbeitsstunden ist ein großes Problem“, berichtet Robitzsch. Es fehle an gemeinnützigen Vereinen, die Arbeit, etwa Grünschnitt oder Putzen, für die jungen Delinquenten zur Verfügung stellen. Sie seien daher immer auf der Suche nach Partnern.

Arbeitsstunden sind jedoch nicht nur ein Thema bei Strafsachen, sondern auch mögliche Sanktion bei Ordnungswidrigkeitsverfahren. Um die kümmert sich die Jugendgerichtshilfe ebenso, wenn die Belangten in die Altersspanne von 14 bis 21 Jahren fallen. Weil diese Gruppe oft kein Geld habe, würden Richter Bußgelder in Arbeitsstunden umwandeln, berichtet Robitzsch.

„Hauptsächlich haben wir Verstöße gegen die Schulpflicht.“

Gerade hätten sie die ersten Verstößen gegen die Coronaverordnung auf den Tisch bekommen. Jugendliche, die sich im Frühjahr in Gruppen getroffen hätten. „Hauptsächlich haben wir aber Verstöße gegen die Schulpflicht.“ Als Ultima Ratio droht den Schwänzern Jugendarrest. Soweit komme es meist nicht, sagt Pommer: „Das Ziel ist ja nicht Gefängnis, sondern das sie wieder in die Schule zurückkehren.“ Deshalb würden sie die Jugendlichen eher in Schulverweigerungsprogramme vermitteln oder wenn nötig zur jugendpsychiatrische Behandlung raten.

Die Schulpflicht ist für den 19-jährigen Angeklagten vorm Landgericht kein Thema mehr. Er kommt noch mal mit einem blauen Auge davon, einer Bewährungsstrafe. Das Gericht ist Robitzsch Einschätzung gefolgt, dass er noch nicht die Reife eines Erwachsenen besitzt und hat ihn nach Jugendstrafrecht verurteilt – allerdings unter Auflagen, die er nun mit der Jugendgerichtshilfe besprechen kann. (mz)