„Arbeiten nicht gegen Parteien“ Das Projekt „Weltoffener Saalekreis“ zieht nach zehn Jahren eine Bilanz
Projektleiter Mario Bialek zieht zum 10. Geburtstag der Demokratieförderung Bilanz und spricht über das Verhältnis zur AfD.

Merseburg/MZ - Der Name der Bundesprogramme, aus denen das Geld kommt, hat sich im Laufe der vergangenen Dekade verändert, der „Weltoffene Saalekreis“ ist geblieben – und auch sein Ziel: die Demokratie vor Ort zu stärken. Seit 2011 kümmert sich der Träger, die Awo Spi, um das loka-le Fördermittelinstrument, seit 2019 hat sie zudem das Mehrgenerationenhaus (MGH) in Merseburg übernommen. Für beides verantwortlich zeichnet Mario Bialek. Mit ihm sprach Robert Briest über das Jubiläum, das Verhältnis zur AfD und die Pläne für das MGH.
Zehn Jahre „Weltoffener Saalekreis“: Wie ist Ihre Bilanz?
Mario Bialek: Bundesweit sind die Entwicklungen, die uns zu schaffen machen, stärker geworden. Eine rechte Strömung hat sich etabliert, so dass sie heute mehr gesellschaftliche Wirkung entfalten kann. Wir möchten mit praxisnahen Angeboten ermutigen, das eigene Umfeld mitzugestalten und Demokratie vor Ort erfahrbar zu machen.
Ihr Ziel ist die Förderung der Demokratie. Wie passt es da zusammen, dass Sie gegen einige gewählte politische Akteure Position beziehen. Wo ziehen Sie die Grenze?
Bialek: Natürlich sind Wahlergebnisse zu respektieren. Die Teilnahme an demokratischen Prozessen macht den Beteiligten aber nicht automatisch demokratisch. Wir haben uns als Gesellschaft ein System erarbeitet, das Mitbestimmung ermöglicht und ein Wertesystem geschaffen, das gleiche Rechte für alle sozialen Gruppen garantiert. Sicherzustellen, dass diese nicht abgeschafft werden, sollte unser aller Aufgabe sein. Die AfD strebt zum Teil die Einschränkung von Rechten einzelner Gruppen an.
Die Arbeit gegen die AfD ist also Teil der Zielstellung des „Weltoffenen Saalekreises“?
Bialek: Unsere Arbeit und die Projekte, die wir fördern, richten sich nicht gegen Parteien, aber gegen bestimmte Einstellungsmerkmale. Es gibt Einstellungen, extrem rechte Tendenzen in der Partei, die sich auch im Saalekreis zeigen. Das gilt es zu benennen und dagegen Prävention zu leisten. Auf Bundes- und Landesebene habe ich den Eindruck, dass die politischen Mitbewerber offensiver gegenhalten als das auf lokaler Ebene wahrnehmbar ist. Das ist aber auch Aufgabe der Zivilgesellschaft. Deshalb ist uns daran gelegen, die Argumentationsfähigkeit gegen rechte Parolen und Strategien zu stärken.
Wieso?
Bialek: Man merkt, dass zu rechten Positionen die Debatte oft eher vermieden wird, anstatt Position zu beziehen. Das ist tragisch für den gesellschaftlichen Diskurs, weil damit der Eindruck einer stillschweigenden Zustimmung entsteht.
Wie wollen Sie die Argumentationsfähigkeit stärken?
Bialek: Im Rahmen unserer Möglichkeiten fördern wir auch Argumentationstrainings oder Angebote zur Auseinandersetzung mit Fake News oder Hassbotschaften. Wir werden als „Partnerschaft für Demokratie“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert und mit Landes- und kommunalen Mitteln kofinanziert. Zusammen mit dem Begleitausschuss entwickeln wir die Ziele für das nächste Förderjahr. Der Begleitausschuss entscheidet dann, welche eingereichten Projekte gefördert werden. 2017 haben wir außerdem mit der Stadt Merseburg eine zweite „Partnerschaft für Demokratie“ initiiert: „Merseburg engagiert“. Mit beiden Förderinstrumenten zusammen konnten wir seit 2011 schon über 240 Projekte mit insgesamt knapp 1,8 Millionen Euro im Landkreis fördern.
Die AfD im Kreistag wollte Ihnen – letztlich erfolglos – Teile des Geldes streichen. Das Argument: Der „Weltoffene Saalekreis“ würde einseitig das Engagement gegen Rechts und noch dazu linksextremistische Kreise stärken. Ein berechtigter Vorwurf?
Bialek: Die AfD beantragte die Abschaffung des gesamten Förderinstruments. Dem Vorwurf der Einseitigkeit hat auch im Jugendhilfeausschuss der Vorsitzende Michael Hayn (CDU) widersprochen. Im Kreistag hat außer der AfD niemand für den Antrag gestimmt. Das lässt zumindest eine Akzeptanz des Förderinstruments erkennen. Für die AfD scheint schon alles, was in Richtung freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, verdächtig. Wenn die AfD uns nicht kritisieren würde, hätten wir was falsch gemacht. Ich kann aber auch verstehen, warum sie in meiner Person ein Problem sehen. Ich befasse mich schon sehr lange mit rechten und rechtsextremen Strukturen. Wer Strukturen, Entwicklungen und Zusammenhänge der extremen Rechten kennt und benennt, stellt für ihre Strategie der Normalisierung und Selbstverharmlosung natürlich ein Problem dar.
Gibt es jenseits der Partei noch relevante rechtsextreme Strukturen im Kreis?
Bialek: Die klassischen rechtsextremen Jugendstrukturen sind kaum wahrnehmbar. Die sieht man zuletzt meist nur noch öffentlich als Teilnehmende bei AfD-Demonstrationen. Prägend ist für den Saalekreis allerdings das Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek in Schnellroda. Das fungiert seit Jahren für die Rechte als bundesweiter Stichwortgeber.
Der Ostbeauftragte der Regierung, Wanderwitz, attestierte Teilen der Ostdeutschen, noch nicht in der Demokratie angekommen zu sein. Ist das auch Ihre Beobachtung?
Bialek: Pauschalisieren ist wenig hilfreich. Es gibt sicherlich Teile der Gesellschaft, die ein geringes Interesse haben, aktiv mitzugestalten oder für die Demokratie nur wenig mit ihrem Alltag zu tun hat.
Woran liegt das?
Bialek: Ich finde es durchaus verständlich, wenn Menschen sich durch Job und Alltag stark gefordert fühlen. Und wenn man sich dann einbringt, zeigt sich die Wirkung oft erst verzögert oder gar nicht. Das erzeugt Unzufriedenheit. Unsere Aufgabe ist aber auch, den Leuten Chancen zu bieten, mitzugestalten. Wahlen, der Parlamentarismus sind wichtig, aber eben nur ein Teil unserer Demokratie.
Die Awo Spi hat 2019 entschieden, das Mehrgenerationenhaus zu übernehmen. Wie passen beide Projekte zusammen?
Bialek: Es ist eine erfolgversprechende Kombination. Als Awo Spi sind wir bemüht, Angebote zu schaffen, die ein demokratisches und solidarisches Miteinander, Vielfalt und Akzeptanz fördern. Mit dem Nachbarschaftszentrum werden eher niederschwellige Bedarfe in der Breite der Gesellschaft angesprochen. Damit erreichen wir Leute, die wir bei einer Demokratiekonferenz oder einem Workshop kaum antreffen würden.
Corona hat auch das Leben im MGH ausgebremst. Wie läuft es jetzt wieder an?
Bialek: Im letzten Monat hat es sich gut eingefahren. Seniorengruppen treffen sich meist draußen. Samstag hatten wir das erste Kinderkonzert mit 60 Gästen. Das Haus hat schon lange Zeit einen Schwerpunkt auf Seniorenarbeit, da geht es oft auch darum, Vereinsamungstendenzen entgegenzuwirken. Zusätzlich möchten wir natürlich auch jüngeres Klientel ansprechen. Auch das Außengelände soll demnächst verändert werden. Grundsätzlich stehen unsere Räume allen offen, die Ideen haben und gemeinsam etwas machen wollen.