Rechtsextremismus Rechtsextremismus: Partnerschaft nach Überfall in Laucha

Laucha/MZ - Es war irgendwann am Anfang dieses Jahres, als Anne-Christina Wegner, Lauchas evangelische Pfarrerin, von vielen Leuten auf der Straße angesprochen wurde: „Warum kehrt denn Lutz Battke bei euch immer noch den Kamin?“ Es ist ein kleines, aber sichtbares Zeichen dafür, dass sich etwas geändert hat in Laucha. „Früher“, sagt die Pastorin, „hätte das niemanden interessiert.“
Früher, das war vor dem 16. April 2010, an dem ein junger Israeli, Enkel eines Holocaust-Überlebenden, in der 3 000-Einwohner-Stadt im Burgenlandkreis von einem Neonazi überfallen, verprügelt und beleidigt wurde. Früher, das war, als Lutz Battke, bekennender Rechtsextremist und für die NPD im Stadtrat und im Kreistag, noch Bezirksschornsteinfegermeister war. Im Lauchaer Fußballverein BSC 99 den Nachwuchs trainierte. Und von vielen im Ort als engagierter Bürger gesehen wurde, der eben einfach dazugehört.
Ein israelischer Jugendlicher wird in Laucha von einem Rechtsextremisten überfallen, verprügelt und als „Judenschwein“ beschimpft.
Die MZ und andere Zeitungen berichten über den Angriff. Weitere Medien ziehen nach. Der Druck auf den BSC 99, dem der Täter wie auch der Rechtsextremist Lutz Battke als Jugendtrainer angehören, wächst.
Der Vereinsvorstand stellt sich hinter Battke.
Sportverbände fordern den Verein vergeblich auf, Battke als Trainer abzusetzen.
Der Verein trennt sich von Battke.
Laucha wehrt sich mit einem Aktionstag gegen Rechtsextremismus.
Der Täter vom 16. April wird zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Trotz seines Rauswurfs als Trainer ist Battke weiter aktiv - als Schiedsrichter bei einem Jugendspiel.
Der Landessportbund droht dem Verein mit dem Ausschluss, nachdem Fotos und Videos belegt haben, dass Battke weiter am Kindertraining beteiligt ist.
Der Verein entgeht dem Rauswurf, nachdem er Battke endgültig vor die Tür gesetzt hat.
Battke darf nicht mehr als Bezirksschornsteinfegermeister arbeiten. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt den Entzug der Kehrerlaubnis durch das Land.
Mittlerweile hat die Kirchgemeinde einen anderen Kaminkehrer gefunden. Das Land hat Battke wegen seiner rechtsextremen Umtriebe die Lizenz als Bezirksschornsteinfeger entzogen, mit Rückendeckung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Fußballverein, bei dem auch der rechte Schläger von April 2010 gekickt hatte, hat Battke rausgeworfen - der öffentliche Druck war nach dem Überfall zu groß geworden. Die Kirchgemeinde und die Stadt hatten sich wenige Monate nach der Tat mit einem Aktionstag gegen Battke und die NPD gestellt - seitdem gibt es den „Tag der Mitmenschlichkeit“ regelmäßig in Laucha. „Wir wollen Position beziehen und zeigen, dass wir in Laucha einander achten“, sagt Pastorin Wegner. „Nur gegen rechts zu sein, ist mir zu wenig, und zu viel Ehre für die Neonazis.“
Genau hinschauen
Die Neonazis und ihre Sympathisanten. Sie sind immer noch da, aber man muss genau hinschauen. Rund ein Dutzend Leute sind es, die sich in Laucha regelmäßig in einem zur Kneipe umfunktionierten ehemaligen Laden versammeln, direkt an der Hauptstraße. Im Ort heißt der Treff „Genickschussdiele“. Und mancher, der dort regelmäßig einkehrt, erzählt man sich, kauft sein erstes Bier schon vormittags im Lebensmittelladen ein paar Häuser weiter.
Das Engagement der Pastorin kommt nicht überall gut an in Laucha. Einige spenden nicht mehr für die Kirche, andere wollen plötzlich ihre Kinder nicht mehr taufen lassen - und sagen ihr das auch so. „Weil wir ja so böse waren zu Lutz Battke“, sagt sie und lächelt maliziös. Drei Jahre nach dem Überfall, nach dem Druck auf den Verein, nach Battkes Rauswurf, sei nun klarer im Ort, „wer wo steht“, sagt sie. Dass die Stadt gespalten sei, nein, hört sie nicht gern. Aber am Ende sind es doch zwei Fronten.
Da sind diejenigen, die immer noch zu dem rechtsextremen Ex-Fußballtrainer halten. Es sind Menschen wie die ältere Frau, die vom Einkaufen auf dem Wochenmarkt kommt und, zwischen Gärtnerwagen und Würstchenbude auf den Fall Battke angesprochen, erst einmal abwehrt: „Dazu sage ich gar nichts.“ Dann aber redet sie doch. Ja, natürlich, die NPD lehne sie ab, „aber als Schornsteinfeger hat der Battke uns nie agitiert“. Sie schaut auf ihre Armbanduhr: „Ich muss jetzt los.“ Das Thema ist ihr sichtlich unangenehm.
Und da sind die anderen in Laucha, denen aufgegangen ist, dass es eben nicht Privatsache ist, wenn einer, der die Kinder im Sportverein trainiert, ein Mandat der NPD hat und mit anderen Neonazis die Mörder Walther Ratenaus feiert. Mit der Teilnahme an solchen Treffen, so hatte es das Bundesverwaltungsgericht erst im November 2012 festgestellt, habe Battke den Mord an einem Menschen unter anderem wegen dessen jüdischen Glaubens gebilligt und so eine antisemitische und rassistische Grundhaltung offenbart.
Vielleicht ist vielen in Laucha da erst klar geworden, mit wem sie es zu tun hatten. „Früher war mir das egal“, sagt ein Mann, der sein Fahrrad über den Marktplatz schiebt. „Wir sind bewusster geworden“, sagt die Pfarrerin dazu. Manche jedenfalls.
Bemerkenswerter Wandel
Laucha, der Tatort, das Synonym für das hässliche Deutschland, in dem ein Neonazi den Enkel eines Holocaust-Überlebenden verprügeln und als „Judenschwein“ beschimpfen kann. Das war 2010. Laucha, der erste Ort Sachsen-Anhalts mit einer Partnerstadt in Israel. Das ist heute.
Jetzt erst recht, hat Tsipi Lev sich gesagt. Die hochgewachsene blonde Frau ist die Mutter des überfallenen Jungen. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer in Laucha, wo sie seit mehr als zehn Jahren lebt und zeigt auf dem iPad Bilder von Lehavim - Palmen, Sonne, moderne Architektur. Seit März ist die 7 000-Einwohner-Stadt am Rande der Negev-Wüste Partnerstadt der Verbandsgemeinde Unstruttal, zu der auch Laucha gehört.
Lev und ihr Lebensgefährte Olaf Osteroth haben lange getrommelt für die Partnerschaft. Sie haben ihre Kontakte nach Israel genutzt. Tsipi Lev hat gedolmetscht. Sie hätten Laucha auch verlassen können, damals, vor drei Jahren. Aber diesen Triumph wollten sie den Neonazis nicht gönnen. Lev begreift Laucha als ihre Heimat. Es gehe ihr darum, sich für die Stadt zu engagieren, sagt sie, und dafür, dass Überfälle wie der auf ihren Sohn nie wieder passieren. Das ist das Vermächtnis ihres Vaters. „Er hat mich gelehrt, nicht zu hassen und nicht Rache zu üben“, hat sie kurz nach der Tat gesagt.
Noch ist die Städtepartnerschaft eine leere Hülle, die mit Inhalt gefüllt werden muss. Die Lauchaer stehen dem Projekt freundlich-desinteressiert gegenüber. „Was soll das denn bringen“, fragt die Verkäuferin beim Bäcker skeptisch. Ein älterer Herr, den Fahrradkorb voll mit Einkaufstaschen, weiß es auch nicht. „Aber das ist doch gut“, sagt er, „das ist doch ein Stück Normalität.“
Hoffnung auf Normalität
Eine Normalität, zu der Laucha zurückzukehren hofft. So wie am Rande der Stadt, wo die Eigenheime enden und die Felder beginnen. Burgenland-Gymnasium, ein nüchterner 90er-Jahre Zweckbau. Oberstudiendirektor Dieter Setzer bittet in sein Büro, viel Glas, ein Besprechungstisch. Niederlande, Polen, Russland, Armenien, seit 2007 auch Israel - in allen diesen Ländern hat das Lauchaer Gmynasium eine Partnerschule. „Darum geht es doch“, sagt Rektor Setzer, „andere Kulturen und Traditionen kennenzulernen.“ Im Gymnasium, das wie ein Fremdkörper am Rand der kleinen Stadt thront, ist das längst Alltag.
Regelmäßig besuchen Schülergruppen sich. Im September fahren die Lauchaer wieder für eine Woche nach Lehavim am Rande der Negev-Wüste, ein Dutzend Schüler der Klassenstufen zehn und elf, zwei Lehrer. Natürlich, sagt Setzer, stehe dabei auch ein Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Programm. Aber ob Deutsche oder Israelis: Für die Jugendlichen, sagt der Schulleiter, sei das jeweilige Gastland ein Land wie jedes andere. Vorbehalte gebe es nicht. „Das ist die Zukunft.“ Selbst nach dem Überfall auf ihren jungen Landsmann hätten die Israelis an der Partnerschaft festgehalten.
Direkt neben dem Gymnasium liegt der Rasen des Fußballvereins BSC 99. Hier würden sie den Fall Battke am liebsten vergessen und einfach wieder in Ruhe Fußball spielen. Nein, sagt Vorsitzender Ralf Nohl, erst seit Ende Februar im Amt, Battke sei mittlerweile weder Trainer noch Mitglied. Ja, der Verein habe an einem Projekt des Landessportbundes zum Thema Rechtsextremismus im Sport teilgenommen. Seinen Trainern sei deutlich gemacht worden, wie Neonazis Vereine unterwandern würden. Und er habe den Eindruck, sagt Nohl noch, sie hätten das verinnerlicht. Nachprüfen lässt sich das nicht.
Mehr mag Nohl nicht sagen. Vorstandsbeschluss. „Wir möchten das Thema ruhen lassen.“ Als könnte Schweigen alles vergessen machen.