1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Rechte Gewalt auf dem Fußballplatz: Rechte Gewalt auf dem Fußballplatz: Ostelbiens rechtsextreme Kicker verbreiten Angst

Rechte Gewalt auf dem Fußballplatz Rechte Gewalt auf dem Fußballplatz: Ostelbiens rechtsextreme Kicker verbreiten Angst

Von Hendrik Kranert-Rydzy 04.08.2015, 09:41

Möckern - Es sind Szenen, die an eine Mischung aus Rugby und Thaiboxen erinnern. Männer, die ihren Gegenspielern mit erhobenem Knie vor die Brust oder mit voller Wucht in den Rücken springen. Dass es sich um Fußball in der Kreisliga handelt, darauf würde beim Anblick dieser Bilder wohl niemand kommen.

Es ist ein Sonnabend im Juni, auf dem Fußballplatz in Paplitz im Jerichower Land empfängt der heimische SC Paplitz 2007 den FC Ostelbien Dornburg. Das Kreisligaspiel geht für Ostelbien verloren - darauf hin attackieren die Unterlegenen mit Fäusten Spieler der Paplitzer. Für Mannschaften, die gegen die Truppe aus Ostelbien noch antreten, nichts Ungewöhnliches. Tätliche Angriffe auf Gegenspieler, Beleidigungen von Spielern mit Migrationshintergrund, Bedrohung von Schiedsrichtern sind die Regel, nicht die Ausnahme. „Brauchst dich nicht wundern, wenn wir dich anstecken, Fotze“, droht in Paplitz ein Ostelbien-Spieler dem Referee. Überliefert dank einer Aufnahme des MDR-Magazins „exakt“.

Die Brutalität der Kreisliga-Kicker vom FC Ostelbien Dornburg kommt nicht von ungefähr. „15?Spieler der Mannschaft sind uns als Rechtsextremisten bekannt“, sagt Hilmar Steffen vom Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt. 15 Neonazis unter 18 aktiven Spielern. Anfangs hatten die Verfassungsschützer nur zehn der Spieler als Neonazis eingestuft. Offenbar zieht der Verein von Mannschaftskapitän Dennis Wesemann magisch Gleichgesinnte an. Wesemann trägt auf dem Spielfeld das Trikot mit der Rückennummer 18. Das tun andere Fußballspieler auch, doch bei dem Rechtsextremisten darf man getrost Absicht unterstellen: Die 18?steht in der Szene für die Buchstaben A und H des Alphabets - für Adolf Hitler.

Seit 2003, sagt Steffen, falle Wesemann immer wieder durch Gewaltdelikte, Beleidigungen und Volksverhetzung auf. Wesemann gilt als Mitbegründer der Blue-White-Street-Elite, eines gewalttätigen Hooligan-Vereins im Umfeld des 1. FC Magdeburg. Das Innenministerium versuchte vergeblich, den Verein gerichtlich verbieten zu lassen (die MZ berichtete). Zudem betreibt Wesemann mit Familienmitgliedern zwei Internet-Versandgeschäfte mit bei Rechtsextremisten beliebten Produkten. Darunter ein T-Shirt mit der Aufschrift „Dritte Halbzeit“, zu sehen ist, wie zwei Männer auf einen am Boden Liegenden einprügeln.

Großes Unverständnis

Frank von Holly schüttelt darüber nur immer wieder den Kopf. Der 52-Jährige ist seit acht Jahren Bürgermeister der Einheitsgemeinde Möckern, zu der Stresow - Wesemanns Heimatort - gehört. Wenn es um das Treiben Wesemanns geht, benutzt von Holly ein Wort, das man eher aus der linken Szene kennt, aber nicht von einem gestandenen CDU-Kommunalpolitiker: Systemversagen. „Wie kann es sein“, fragt von Holly, „dass einer wie Wesemann seit Jahren immer wieder wegen Straftaten angezeigt wird, aber bis heute nicht verurteilt wurde?“ Die Antwort ist so einfach wie unbefriedigend - weil Anzeigen widerrufen werden, Zeugen Aussagen zurückziehen oder Erinnerungslücken bekommen.

Von Holly versteht auch nicht, warum der Verfassungsschutz zwar über die Neonazi-Dominanz beim FC Ostelbien weiß - aber Polizei und Justiz den Verein nicht verbieten. Das sei nicht so einfach, sagt Verfassungsschützer Steffen. Man wisse zwar über die rechtsextreme Gesinnung der einzelnen Spieler, der Verein selber sei aber bislang nicht als rechtsextrem in der Öffentlichkeit aufgetreten. „Es gibt beispielsweise kein Banner von Ostelbien auf Demonstrationen“, sagt Steffen. Und: „Das Problem ist nicht allein durch die Sicherheitsbehörden zu lösen.“

Findet von Holly auch: „Es gibt doch Regularien im Sport, ich verstehe nicht, warum die in dem Fall Ostelbien nicht angewendet werden.“ Doch mit einer Antwort auf diese Frage tun sich der Landesfußballverband und der Landessportbund (LSB) schwer.

Wie die Verbände auf das gewalttätige Treiben auf den Fußballplätzen reagieren, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Wochen-, ja monatelang nahmen die Verbände das gewalttätige Treiben auf den Fußballplätzen im Jerichower Land kommentarlos zur Kenntnis. Fußballverbandspräsident Erwin Bugar reagierte auf Anfrage erst defensiv - bis es dem Innen- und Sportministerium zu bunt wird. Auf Druck der Behörde kam es Mitte Juli zu einem Gespräch zwischen Ministeriumsvertretern und den Verbänden, wo ihnen deutlich gemacht wurde, ein Ausschlussverfahren gegen den FC?Ostelbien Dornburg anzustrengen.

Anschließend räumte dann auch Bugar ein, dass das, was da auf den Plätzen im Jerichower Land passiert, „mit Fußball nichts zu tun hat“. Und schob verärgert nach, dass die Vorwürfe, man kümmere sich nicht, nicht stimmten: „Wir sind seit Wochen und Monaten im Gespräch.“ Richtig ist: Der FC Ostelbien sollte im Jahr 2011 keine Lizenz bekommen - und erstritt sich diese vor dem Verwaltungsgericht. Jetzt wollen Landessportbund wie Fußballverband „zeitnah“ prüfen, ob „die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ausschlussverfahrens vorliegen“.

Wie die Prüfungen laufen, ist offen, ein Sprecher teilte auf Anfrage mit, dass der Verband am 6. August tagen wolle. Beim LSB trifft sich das Präsidium am 31. August wieder - sechs Wochen nach der Ankündigung, „zeitnah“ zu prüfen.

Michael Pieper dauerte das zu lange. Pieper ist Vereinsleiter des SV Eiche Redekin, einer weiteren Kreisligamannschaft im Jerichower Land. Aus der kritisierten Untätigkeit der Verbände - „der Fußballverband macht gar nichts“ - hat Pieper bereits Konsequenzen gezogen: „Wir treten gegen Ostelbien nicht mehr an.“

Schiedsrichter treten nicht an

Lieber verzichte er auf die drei Punkte und zahle 100 Euro Strafe für das Nichtantreten, als seine Spieler zu gefährden. „Ich will nicht in meiner Freizeit um Leib und Gesundheit fürchten müssen“, sagt der 57-Jährige. Der Vize-Präsident des Fußballverbandes, Mario Pinkert, habe ihm daraufhin „unsportliches Verhalten“ vorgeworfen.

Pieper, selber Schiedsrichter, widerspricht auch der Darstellung von Verbandspräsident Bugar, das Problem mit dem FC Ostelbien sei erst seit diesem Jahr akut: „Das geht seit fünf Jahren so und wird von Jahr zu Jahr schlimmer.“

Als ein Großteil der heutigen Ostelbier noch beim SV Theeßen spielte, seien seine Spieler als „Judenschweine“ bezeichnet worden, die man „in Auschwitz vergessen“ habe. Und aus Redekin sollte man gleich ein KZ machen, erinnert sich Pieper.

Pieper war der erste Schiedsrichter im Jerichower Land, der sich weigerte, Spiele von Ostelbien zu pfeifen - inzwischen folgen über 50 Kollegen seinem Beispiel. Nur bei den Mannschaften hapert es noch mit der Solidarität: Bislang seien erst drei dem Redekiner Beispiel gefolgt, gegen Ostelbien nicht mehr anzutreten. Auch aus Angst, glaubt Pieper: „Es ist an der Zeit, dass sich die Demokraten in diesem Land mal fragen, was man da noch machen kann.“