Polizeiarbeit Polizeiarbeit: Fahndungserfolg ist eine Frage der Zeit
Magdeburg/MZ. - Es war eine Justizpanne, die Norbert W. die Flucht ermöglicht hatte. Der Mann war 2005 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er 2002 in der halleschen Stephanusstraße sein eigenes Haus in die Luft gejagt hatte, um Versicherungsleistungen zu kassieren. Ein Mann wurde schwer verletzt, ein ganzer Straßenzug verwüstet. Da gegen W. aber vor Gericht nicht schnell genug verhandelt worden war, kam er zwischenzeitlich bis zur Bestätigung des Urteils durch den Bundesgerichtshof auf freien Fuß - und machte sich aus dem Staub. Ein Fall für die Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA), die ihn 2007 nach gut zwei Monaten in Albanien aufspürten.
Zielfahnder, das sind die, "die sich darauf spezialisiert haben, eine Fährte aufzunehmen und wirklich erst wieder aufzuhören, wenn der Delinquent geschnappt ist", sagt LKA-Sprecherin Evelyn Schiener. Besondere Ausbildung: Psychologie, deutsches und internationales Recht, Sicherheitstrainings. Besondere Voraussetzungen: einige. Flexibilität gehört dazu - Zielfahnder jagen Verbrechern rund um den Globus nach. "Und sie müssen bereit sein, dabei einige Härten auf sich zu nehmen", sagt Schiener. Nichts mit Acht-Stunden-Job, nichts mit Bequemlichkeit. Im Ernstfall läuft ihr Job unter widrigen Bedingungen auch rund um die Uhr, wenn sie bis zur Festnahme - im Ausland darf das nur die Polizei vor Ort - wie Kletten an einem Verdächtigen kleben.
Verräterische Gewohnheiten
Seit 1993 hat das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt Zielfahnder. 95 Fälle gab es seitdem, aktuell sind es fünf - inklusive dem am Dienstag bei einem Familienbesuch geflohenen Silvio Titsch. Wirklich tief in die Karten gucken lassen sich Zielfahnder ungern. Grundsätze ihrer Arbeit sind freilich kein Geheimnis: Sie beginnt mit Foto, Lebenslauf und Strafkarte. Und dann, dann tauchen die Fahnder gedanklich regelrecht in die Persönlichkeit eines Flüchtigen ein. Aus zugänglichen Akten und über Kontaktpersonen saugen sie alles auf, was es über ihn zu wissen gibt - was er am liebsten trinkt, am liebsten isst, welchen Fußballverein er mag. "Zielfahnder müssen wissen, wie ein Gesuchter tickt", so Schiener. Dabei kommt ihnen zu gute, dass sich manche Angewohnheit eben nur schwer ablegen lässt. Nicht selten ist "prominenten" deutschen Flüchtlingen am Ende schlicht ihr Hang zum Luxus zum Verhängnis geworden.
"Unsere Zielfahnder sind sehr erfolgreich", sagt Schiener. Soll heißen: Für sie könnte das Motto einer Joghurt-Werbung erfunden worden sein: Irgendwann kriegen wir euch alle. Bislang haben Sachsen-Anhalts Zielfahnder jedenfalls eine Erfolgsquote von 100 Prozent. So ist ihnen zum Beispiel auch der "Haushaltsfuchs" ins Netz gegangen, der 2008 mehr als 1 000 Kunden neppte, die in seinem Internet-Shop Haushaltswaren kauften - und nie bekamen. Verschiedene Identitäten nutzten dem Dessauer nach zwei Jahren nichts mehr, die Handschellen klickten. 2007 spürten die Fahnder einen 22-Jährigen nach einer spektakulären Flucht aus dem Dessauer Gefängnis wieder auf, 2011 holten sie einen lange gesuchten mutmaßlichen Millionenbetrüger aus Südafrika zurück. Die längste Zielfahndung dauerte nach Angaben des LKA bisher sechseinhalb Jahre.
15 Jahre auf der Flucht
Ein Fall, der in Nordrhein-Westfalen seinen Anfang hat, ist aber noch immer offen: Norman Volker Franz, einer der meistgesuchten Verbrecher Deutschlands. Der verurteilte Doppelmörder war 1997 aus der JVA Hagen ausgebrochen, hatte auf seiner Flucht bei Raubüberfällen in Weimar und Halle drei weitere Menschen getötet. Bei dem Überfall auf einen Geldtransporter vor dem halleschen Metro-Markt waren am 21. Juli 1997 kaltblütig zwei 48 und 49 Jahre alte Wachmänner erschossen worden. Düsseldorfer Zielfahnder spürten Franz und seine Frau in Portugal auf, auch dort gelang ihm aber die Flucht aus dem Gefängnis. Seine Frau wurde später in Halle wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, ist inzwischen geschieden, hat die Strafe längst abgesessen.
Nur Norman Volker Franz ist noch untergetaucht. Immer wieder, wenn Medien über ihn berichten, kommen auch mal Hinweise, heißt es. "Unsere Zielfahnder geben nicht auf", sagt die Dortmunder Oberstaatsanwältin Ina Holznagel.