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Osteuropa Osteuropa: Brücken bauen in Prag

Von MARKUS DECKER 04.10.2012, 17:59

Prag/MZ. - Bei der Frage, ob jene Tage in Prag die aufregendsten ihres Lebens gewesen seien, müssen die Funkes nicht lange überlegen. "Das kann man schon sagen", sagt Jaqueline Funke. Ihr Mann Nils nickt. Kurz zuvor sind die beiden auf den Balkon hinaus getreten, auf dem am 30. September 1989 Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) stand und in den tosenden Jubel der Menschen die Worte sprach: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzueilen, dass heute Ihre Ausreise..."

Wer am Zaun der Botschaft steht, den übermannt leicht die Emotion jener Zeit. Lediglich die Funkes sind ziemlich gelassen - vielleicht gerade, weil sie dabei waren.

Sachsen-Anhalts Landesregierung hat das Ehepaar eingeladen, um am Empfang zum 3. Oktober teilzunehmen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) verweist auf die Ereignisse im Herbst 1989: "Wir sind dem tschechischen Volk dankbar, dass dies möglich wurde." Damit sei der Weg für die enge Zusammenarbeit Deutschlands und Tschechiens im vereinten Europa geebnet worden. Dennoch ist es nicht das Gestern allein, das Haseloff, Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU) und SPD-Fraktionschefin Katrin Budde nach Prag führt. Es geht auch um das Morgen.

Am Mittwoch, dem Tag der Einheit, stehen die Funkes im Mittelpunkt. Nils Funke aus Zeit, damals 27 Jahre alt, hatte mit seiner Frau Jaqueline, die in Sömmerda (Thüringen) zu Hause war, bereits im Frühjahr jenes Jahres eine Prag-Reise gebucht. Zwar hatten sie "immer schon die Absicht, die DDR zu verlassen", so Nils Funke. Denn "bei uns hatte sich damals die Erkenntnis durchgesetzt, dass die DDR keine Zukunft hat". Doch dass sich in der tschechischen Hauptstadt die Gelegenheit dazu ergeben würde, zeichnete sich erst in jenen Tagen ab.

Die Funkes flohen am 27. September in das hochherrschaftliche Palais Lobkowitz unterhalb der Prager Burg. "Damit waren wir keiner Lebensgefahr mehr ausgesetzt", sagt Funke. Drei Tage campierten sie am historischen Ort und sind nun erstmals dorthin zurückgekehrt. Derweil erinnern sie sich nicht bloß an die Freude, sondern auch an das, was Fernsehzuschauer seinerzeit kaum mitbekamen. Wer auf die Toilette wollte, musste zwei Stunden anstehen. Wer im Garten campierte, war dem Regen ausgesetzt. Zudem hatten sich unter die 4 000 Menschen, sich sich im Garten der Botschaft drängten, einige nicht ganz so edle Zeitgenossen gemischt.

Freunde in Ost und West

Das ist fast vergessen. Funkes konnten ausreisen. Sie kamen nach Roth bei Nürnberg, nach Fulda und schließlich nach Hannover. Heute betreiben sie in Irxleben bei Magdeburg ein Büro für Stadtplanung mit Kunden aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Auch der Freundeskreis ist gesamtdeutsch.

In Prag geht es am Rande der Feier vor allem um die wirtschaftliche Einheit Europas. So ist Andrej Babis in die Botschaft gekommen. Er ist der zweitreichste Mann Tschechiens und Besitzer des Großkonzerns Agrofert, zu dem auch die Stickstoffwerke SKW in Wittenberg-Piesteritz gehören. Der 58-Jährige klagt über Transportprobleme zwischen Deutschland und Tschechien. Eine Klage, die immer wieder zu hören ist. Die Elbe sei kaum schiffbar, heißt es, auf den Straßen hemmten Staus den Güteraustausch.

Wichtiger Wirtschaftspartner

Donnerstag früh trifft sich Haseloff mit Unternehmern, die im Land engagiert sind. Auch Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ist erneut anwesend. 2011 lag das deutsch-tschechische Außenhandelsvolumen bei 64 Milliarden Euro. Tschechien gehöre zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern Sachsen-Anhalts, betont der Regierungschef. Es ist eine ausgewachsene Industrienation. Ein Teilnehmer der Runde erklärt, nur Spitzentechnologie habe Absatzchancen. Den Rest könnten die Tschechen selbst. Gemeinsames gibt es jedenfalls genug: Auch Tschechien fehlen junge Menschen und Fachkräfte.

Nach Warschau ist Prag die zweite Ost-Metropole, in der Sachsen-Anhalt sich am 3. Oktober zeigt. Zufall ist das nicht. Geld und Gefühl gehen hier Hand in Hand.