Organisierte Kriminalität Organisierte Kriminalität: Operation «Belorus» begann Mitternacht
Halle/MZ/sre. - Sie kamen kurz nach Mitternacht. Die Männer waren vermummt und mit schusssicheren Helmen ausgerüstet, die Fahrzeuge gepanzert. In den Taschen hatten sie 16 Haftbefehle und zahlreiche Durchsuchungsbeschlüsse: Es war die Stunde der GSG 9, der berühmt gewordenen Antiterror-Einheit des Bundes. Gemeinsam mit mehr als 500 anderen Beamten von Landes- und Bundeskriminalamt, der Polizeidirektion Merseburg und der Justiz führte die Spezialeinheit in der Nacht zum Donnerstag mit der Operation "Belorus" die größte Razzia gegen die Rotlichtszene durch, die Sachsen-Anhalt und Thüringen jemals gesehen hat (die MZ berichtete).
Zeitgleich wurden neun Bordelle in Österreich und Wohnungen in Weißrussland gestürmt. In Naumburg durchsuchten die Polizeikräfte einen Klub und eine Pension, im nahen Wischroda standen zwei "bordellähnliche Betriebe" auf der Liste der Ermittler. Sie wurden in Obersdorf bei Sangerhausen ebenso fündig wie in Braunsbedra und Bad Dürrenberg bei Merseburg.
Der Vorwurf war immer gleich. "Die Betreiber", so der Leitende Oberstaatsanwalt von Halle, Dieter Schmiedl-Neuburg, "sollen die Prostitution gefördert, überwiegend belorussische Frauen ausgebeutet und die Schleusung verursacht haben." Naumburg stand nicht zufällig im Zentrum der Ermittlungen. Hier verhafteten die Beamten einen Russen, einen Usbeken und einen Weißrussen. Die früher in Ostdeutschland stationierten Soldaten sollen in ihrer Heimat bei Minsk und Grodno über "Agenturen" und Zeitungsanzeigen Frauen zur Arbeit in Deutschland angeworben und anschließend mit gefälschten Touristenvisa nach Sachsen-Anhalt, Erfurt oder Österreich gebracht haben.
"Wir gehen davon aus, dass jeden Monat zwischen 30 und 50 Frauen über Polen eingeschleust wurden", so der für die Ermittlungen zuständige Oberstaatsanwalt Jörg Wilkmann. Die Händler brachten die Mädchen, von denen ein Teil jetzt zum wiederholten Male in Deutschland aufgegriffen wurde, schließlich in die Rotlichtbars. Ob sie wussten, was sie dort erwartete, ist für die Ermittler "die Gretchenfrage". Spätestens nach drei Monaten wurden die Frauen aus Deutschland wieder abgezogen.
Auf die Spur der Menschenhändler kamen die Fahnder, weil sie im vergangenen Sommer Tipps der belorussischen Behörden erhalten hatten. "Außerdem war eine junge Frau aufgegriffen worden", so Kriminaloberrat Reinhard Peterson vom Bundeskriminalamt (BKA). Stück für Stück puzzelten die Beamten ein Bild zusammen, das am Ende klare Konturen aufwies. Den Frauen im Alter bis zu 25 Jahren sollen die Pässe abgenommen worden sein. 200 bis 500 Mark haben sie pro Monat an ihre Schleuser für die entstandenen Kosten abführen müssen. Die Zuhälter bekamen außerdem die Hälfte der Erlöse. "Lehnten die Mädchen Freier ab, mussten sie Strafgelder zahlen", so Wilkmann. Verweigerten sie das, kam es zu sexuellen Übergriffen.
Einer der 16 Verhafteten - außerdem gab es noch 49 Festnahmen - ist Klaus Kahlert. Mit ihm brachte die Polizei einen Mann hinter Gitter, der erst im September vergangenen Jahres im Zusammenhang mit dem Merseburger Bombenanschlag vom Landgericht Halle zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Allerdings musste er seine Haftstrafe nicht antreten, weil seine Frau schwer krank war. "Die jetzigen Vorwürfe beziehen sich auf die Zeit nach der Verurteilung", so der Chef der Staatsanwaltschaft Halle, Dieter Schmiedl-Neuburg.
BKA-Ermittler Reinhard Peterson geht heute davon aus, "dass die Organisation zerschlagen und die Logistik kaputtgemacht worden ist". Möglich geworden ist dies auch, weil sich Polizei und Justiz vor der Aktion bei Gericht "dringliche Arreste" besorgt hatten. Die vorläufige Hochrechnung der vermuteten Gewinne der Beschuldigten beläuft sich auf rund eine Million Mark. Bestätigen sich die Vorwürfe, sollen diese Forderungen gerichtlich durchgesetzt und Hypotheken auf die Grundstücke der Täter eingetragen werden.