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Olivia Jones betreibt Aufklärung Olivia Jones betreibt Aufklärung: Weil schwul kein Schimpfwort ist

Von iris stein 11.04.2015, 17:02

Hamburg - Hattest du denn da einen Freund, der dir geholfen hat?“ Diese Frage eines Siebenjährigen traf sie mitten ins Herz, gibt Olivia Jones zu. Zuvor hat sie dem Jungen und seinen Mitschülern in einer Hamburger Grundschule erzählt, wie es ihr als Kind ging, als sie ein Junge war und bemerkte, dass sie irgendwie anders war als die Mitschüler.

Aus bravem Schuljungen wird Paradiesvogel

Das ist knapp 40 Jahre her und das Leben des Jungen, der Oliver hieß, hat sich grundlegend verändert. Denn aus dem braven Blondschopf mit Zuckertüte, den das Einschulungsbild zeigt, ist ein schillernder Paradiesvogel geworden. Mit pinkfarbener Mähne, ziemlich hohem Bekanntheitsgrad und - nun ja - nicht eben zurückhaltendem Auftreten. Doch Olivia Jones ist mehr als die Kunstfigur und Dragqueen, die sie darstellt, und auch mehr als der Oliver Knöbel, der sie einst war. Vor allem aber hat sie ein Anliegen: Toleranz einzufordern und gegen Vorurteile anzukämpfen, die gegen das Anderssein gerichtet sind.

"Schwul" nur als Schimpfwort bekannt

Deshalb hat sie ein Buch geschrieben - für Kinder. Und sie stellt es persönlich vor und zur Diskussion: in Kindergärten und Grundschulen. An dieser Stelle ist förmlich zu spüren, wie mancher jetzt tief Luft holt, doch die Logik, mit der sie die junge Zielgruppe begründet, ist bestechend. „Ich habe an jener Grundschule gefragt, ob alle das Wort ,schwul’ kennen“, erzählt sie über ihre Erlebnisse bei der Buchpräsentation. „Alle kannten das Wort - als Schimpfwort.“ Es ist ihr deutlich anzumerken, dass diese Tatsache sie betroffen macht und erschüttert, obwohl sie das Ergebnis ahnte, denn genau das war ja der Grund für den Exkurs der 45-Jährigen in die Kinderliteratur. Nicht damit gerechnet hatte sie allerdings, dass sich eine Klasse wirklich komplett zu „schwul“ als Schimpfwort bekennt.

"Intoleranz ist anerzogen"

Aber Olivia Jones wäre nicht die, die sie ist, wenn sie sich davon nicht anspornen ließe. Sie zog schon zuvor den Schluss: Um Kinder will sie sich bemühen, die Jüngsten erreichen. „Weil es in der Pubertät oft schon zu spät ist“, sagt sie, „da sitzen die Vorurteile bereits fest. Kinder haben noch keine Berührungsängste, Intoleranz ist anerzogen.“ Vorurteile über Rollenbilder werden ihrer Meinung nach bereits beim Vater-Mutter-Kind-Spiel ausgebildet und deshalb möchte sie bereits den Kleinsten beibringen, dass es eben nicht nur Mann und Frau als Beziehungsmodell gibt, sondern jede Menge dazwischen, und dass Ausgrenzung und Beschimpfungen im zwischenmenschlichen Bereich nichts zu suchen haben.

„Dies ist kein Kinderbuch über Homosexualität“, betont sie dennoch ausdrücklich im Gespräch und im Vorwort ihres Buches. „In keiner Zeile geht es um Sex.“ Liebe, Respekt, Selbstentfaltung, Lebensgestaltung, Vorurteilsfreiheit - das sind die Schwerpunkte.

Keine vergleichbaren Bücher

Was ist normal, was nicht und wer legt das überhaupt fest? Zu diesen Fragen möchte Olivia Jones ein Angebot machen, und das gelingt ihr erstaunlich gut. Vielleicht weil sie sich - wie schon so oft - mit Haut und Haaren einbringt. „Noch nie gab es etwas Vergleichbares“, sagt sie in Bezug auf den deutschen Buchmarkt. Und weiter: „Dass mein Buch viel diskutiert wird, in vielen Kinderzimmern steht - das ist mir eine Herzensangelegenheit.“

Jones nimmt kein Blatt vor den Mund

Mag sein, dass Olivia Jones dafür ihren Bekanntheitsgrad ausnutzt. Doch wenn es um Dinge geht, die ihr wichtig sind, wie beispielsweise das Auftreten gegen die NPD und Rechtsradikalismus oder die Motivierung von Wählern zur Hamburger Bürgerschaftswahl, hat die Kiez-Königin von St. Pauli noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, sondern jedes Mal erst recht ihren Promi-Bonus in die Waagschale geworfen.

Mit einfachen Worten erzählt sie in „Keine Angst in Andersrum“ (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 9,99 Euro) von den Dingen, die in der Gesellschaft längst Einzug gehalten haben, von so manchem aber argwöhnisch beäugt werden. Da gibt es die Tante Maria mit der tiefen Stimme und dem donnernden Lachen, die ausmalt, wie es ist, wenn alles andersrum wäre: die Frauen in Männerberufen arbeiten, Männer wie Frauen heißen und umgekehrt und wo es ungewöhnlich ist, dass ein Mann eine Frau liebt. So wird deutlich, wie absurd Vorurteile eigentlich sind und welche Möglichkeiten des Zusammenlebens ihre Berechtigung haben. Ganz am Ende des kleinen Bändchens finden sich Fragen zum Weiterdiskutieren: zum Thema Jungen- und Mädchenspielzeug, Männer- und Frauenberufen, zum Verhalten, wenn jemand wegen seines Andersseins gehänselt wird. Nützliche Linktipps sind ein Angebot für die Eltern, sich zu informieren.

Tolerante Haltung soll vermittelt werden

Und die Eltern in den Grundschulen und Kindergärten, in denen Olivia Jones ihr Buch vorstellt? „Da habe ich keine Probleme gehabt“, sagt sie, „vielleicht, weil ich mit meinen Erklärungen auch Eltern Ängste nehme.“ Sie selbst habe schon in ihrer Kindergartenzeit gern Kleider angezogen, lässt sie wissen, und viele Homosexuelle, die aus ihrem Leben erzählen, machen darauf aufmerksam, dass sie ihr Anderssein zum Teil sehr viel früher als in der Pubertät bemerkt haben - ein weiterer Grund, eine tolerante Haltung bereits den Jüngsten zu vermitteln.

Die Diskussionen und Petitionen in Baden-Württemberg, wo es eine Bewegung gegen die gleichwertige Darstellung von Homosexualität im Sexualkundeunterricht gibt, hält sie jedenfalls für unsäglich, die Aufklärung in diesem Rahmen ohnehin für viel zu spät. Und dass so mancher mit seiner Einstellung im Alltag längst weiter ist, zeigen zahlreiche Einträge auf ihrer Homepage. „Es muss allen klar werden, dass anders sein - nicht abnormal ist“, schreibt da eine Verena aus Baden-Württemberg. Eine vierfache Oma will sich das Buch schnellstmöglich als E-Book herunterladen, und eine homosexuelle Lehrerin belegt mit ihren eigenen Erfahrungen, wie wichtig es ist, zur Toleranz zu erziehen.

Olivia Jones konnte übrigens den eingangs geschilderten Jungen beruhigen: „Ich hatte Freunde“, antwortete sie auf seine besorgte Frage. „Die haben mich gestärkt und haben mir Halt gegeben. Das war ganz wichtig für mich.“ (mz)