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Nordkorea Nordkorea: Hallenserin in Pjöngjang

Von Katrin Löwe 16.03.2013, 22:56
Katja Richter auf Heimatbesuch in Halle. Die 41-jährige lebt derzeit in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang.
Katja Richter auf Heimatbesuch in Halle. Die 41-jährige lebt derzeit in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang. DPA, privat Lizenz

Halle/Pjöngjang/MZ - An ihren ersten Eindruck kann sich Katja Richter gut erinnern. Sie war gerade angekommen, auf dem gut 20 Kilometer langen Weg vom Flughafen ins Zentrum der Hauptstadt. „Hier“, hat sie gedacht, „wird wirklich jeder Quadratzentimeter landwirtschaftlich genutzt.“ Hier, das war die Gegend um Pjöngjang, Hauptstadt Nordkoreas und Zentrum einer kommunistischen Diktatur, in der die Menschen Hunger leiden. Zugleich aber auch einer Atommacht, in der der Staat Unsummen für Nukleartests ausgibt.

Es ist das Land, das Richter für Jahre ein neues Zuhause werden sollte. Die 41-jährige Hallenserin, studierte Ethnologin und Indologin, leitet seit 2010 das Regionalbüro der Welthungerhilfe in Nordkorea. Ein Land, in dem sich die Lage zuspitzt: Gerade erst hat es den USA wegen einer Militärübung mit Südkorea offen mit einem Atomschlag gedroht und die Verbindungen in den Süden gekappt.

In Halle sitzt die seit jeher von Asien und fremden Kulturkreisen faszinierte Frau mit den kurzen blonden Haaren im Heimaturlaub und erzählt von ihrer Arbeit. „Für mich war das eine Herausforderung“, sagt sie. Nicht die erste: Zuvor war Richter fünf Jahre für den Deutschen Entwicklungsdienst und die Welthungerhilfe in Afghanistan, hat Brunnen- und Straßenbauprojekte ebenso wie Schneiderkurse für Frauen betreut. Sie hat in einem Land gelebt, das ob seiner Sicherheitslage eine um die andere Schlagzeile macht. Und dennoch: Wirklich Angst, sagt sie, gab es für sie dort nicht - und wenn, dann die um ihre afghanischen Kollegen. „Ich selbst habe mich immer gut beschützt gefühlt.“ Auch ohne bewaffnete Bodyguards.

Und nun also Nordkorea. Neugierig sei sie gewesen auf das weitgehend unbekannte Land, die letzte kommunistische Diktatur, räumt Richter - selbst in der DDR groß geworden - ein. Zum Teil auch deshalb, weil Kollegen von der Arbeit in Nordkorea erzählten. „Die Eigenleistung der Koreaner ist enorm hoch. In anderen Ländern bräuchte man das Zehnfache an Leuten, um ein Projekt zu stemmen.“

Zu stemmen gibt es einiges in dem Staat um seinen höchst umstrittenen derzeitigen Machthaber Kim Jong Un. 1997 kam die Welthungerhilfe in der größten Hungersnot, die etliche Tote forderte. Inzwischen, erzählt Richter, sei die Katastrophenhilfe zur Selbsthilfe geworden. Mit Unterstützung der Welthungerhilfe wurden zum Beispiel Gewächshäuser an Tuberkulosezentren gebaut, damit die Kliniken frisches Gemüse haben. Wurden Frühkartoffeln angebaut und neue Lagerhallen errichtet, damit die Ernte nicht wieder in Massen erfriert. Gerade werden in zwei Provinzen 500 Fahrer und Mechaniker an Traktoren ausgebildet. Die EU hat sie zur Verfügung gestellt - mit der Wartung der modernen Technik aber waren die Nordkoreaner überfordert.

Viel zu kleine Kinder

Nur 20 Prozent der Fläche können in Nordkorea landwirtschaftlich genutzt werden, der Rest sind schwer zugängliche Berge und Hügel. Es gibt keine Hungerbäuche wie in Afrika, sagt Richter, aber auch keinen Zweifel an Mangel- und Fehlernährung. „Die Kinder sind viel zu klein, Sechsjährige sehen aus wie Drei- bis Vierjährige.“ 350 000 bis 500 000 Tonnen Lebensmittel jährlich würden Nordkorea im Schnitt fehlen. Das Land hat ausgeprägte, für die Landwirtschaft schwierige Jahreszeiten - eiskalte Winter, ein kurzes Frühjahr und Sommer mit unglaublichen Monsunregen. „Im April, Mai und Juni ist die Mangelperiode“, so Richter. Da ist die letzte Ernte aufgebraucht, wird es insbesondere in kleinen Städten schwer. In diesem Jahr werden voraussichtlich 250000 Tonnen Nahrung fehlen.

Wenn sie das erzählt, ist die junge Deutsche alles andere als überrascht über einen Einwand: Ob man einen Staat noch unterstützt, der in Atomwaffen und Bedrohungspotenziale investiert statt Hunger zu lindern. „Das nützt aber den Menschen nichts. Wir leisten humanitäre Hilfe - die sollte unabhängig von politischen Umständen sein.“ Es gehe um die Schwächsten - die Kinder, die Alten, die Frauen. „Aber auch wir sind sehr selbstkritisch“, sagt die 41-Jährige. Ausnutzen lasse man sich nicht.

Richter lebt heute in Pjöngjang, der Vier-Millionen-Einwohner-Metropole, die sich aus ihrer Sicht von den Lebensumständen im Vergleich zum Rest des Landes in etwa so unterscheidet wie einst Ost-Berlin von der übrigen DDR. Sie hat eine Plattenbau-Wohnung, die im Gegensatz zu der ihrer Vorgängerin geheizt ist. Geht in ihrer Freizeit ins Schwimmbad, liest, spaziert durch Parks, trifft sich mit Freunden anderer Hilfsorganisationen.

Verbindung über China-Satellit

Im Büro der Welthungerhilfe - drei internationale Projektleiter und 18 koreanische Mitarbeiter gehören zum Team - hat sie über einen chinesischen Satelliten Internetanschluss. Seit einigen Wochen dürfen Ausländer auch per Smartphone online gehen - die erste Twitter-News aus Nordkorea machte selbst in Deutschland Schlagzeilen.

Richter hat damit weit mehr Möglichkeiten als die Koreaner - das Land gilt als extrem abgeschottet von der Außenwelt. Und das Leben dort auch für Ausländer als schwierig. „Man muss damit umgehen können“, sagt sie. Damit zum Beispiel, dass Reisen außerhalb von Pjöngjang in der Vorwoche angemeldet werden müssen. Dass es privaten Kontakt zu Koreanern so gut wie nicht gibt - selbst der Bowlingabend mit einheimischen Kollegen ist anzumelden. Dass Mobilfunknetze für Ausländer und Nordkoreaner getrennt sind.

Richter sieht aber auch eine andere Seite. Den hohen Alphabetisierungsgrad, zurückhaltende, sehr gastfreundliche Menschen, nennt sie. „Und es gibt auch in Nordkorea Veränderungen im Kleinen.“ Sie würden untergehen in den großen internationalen Schlagzeilen. Im Januar haben ihr Grenzer gesagt, dass sie bei der Wiedereinreise ihr Handy nicht mehr abgeben muss, wie es für Ausländer bis dato vorgeschrieben war. Mobiltelefone verbreiten sich inzwischen auch unter Nordkoreanern, nachdem sie lange verboten waren – 2012 wurde in dem 24-Millionen-Einwohner-Land die Marke von einer Million Handys überschritten. Neue Märkte entstehen und selbst unangemeldete Reisen seien bei ihr nicht zwingend ein Problem.

Die Arbeit aber wird wohl nach den jüngsten Nukleartests und den UN-Sanktionen, die eine weitere Aufrüstung in Nordkorea verhindern sollen, wieder schwieriger werden, glaubt Richter. Wie sehr, ob auch Hilfsgelder eingefroren und Lieferungen blockiert werden, bleibt abzuwarten.

Ihr Heimaturlaub ist inzwischen beendet, Richter ist wieder in Pjöngjang. In ein paar Jahren will sie länger nach Deutschland zurück. Freunde treffen, ins Kino und ins Theater gehen. Ganz normale Dinge, die sie vermisst.

Bilder aus Nordkorea