1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Naturschutz: Naturschutz: Hungertod im Hakel

Naturschutz Naturschutz: Hungertod im Hakel

Von Hendrik Kranert-Rydzy 29.03.2014, 12:32
Die Lebensbedingungen für den Roten Milan sind im Hakel immer schlechter geworden. Der seltene Vogel wandert ab.
Die Lebensbedingungen für den Roten Milan sind im Hakel immer schlechter geworden. Der seltene Vogel wandert ab. Maik Schumann Lizenz

Heteborn/MZ - Eine Insel aus Wald. Riesige Buchen. Knorrige Eichen. Uralte Wildkirschen. Dazwischen grüne Matten – Buschwindröschen. Ein paar Tage noch, und der Boden wird schneeweiß sein von ihren Blüten. Der Hakel ist eine Idylle von gerade mal 14 Quadratkilometern Größe. Eine Muschelkalk-Anhöhe inmitten fetter Ackerböden zwischen Harz und Börde. Ornithologen bekamen einst glänzende Augen, wenn vom Hakel die Rede war.

„1979 wurden im Hakel 136 Brutpaare des Roten Milan gezählt“, sagt Lukas Kratzsch. Der Biologe ist Vorstandsmitglied des Landes-Ornithologenverbandes. Kratzsch ist jedes Jahr im Hakel zur Horstsuche und Beringung von Jungvögeln unterwegs. Im Hakel lebte damals nicht nur die größte Population des Roten Milan in Deutschland, mit 60 Prozent des Gesamtbestandes war es auch das größte Vorkommen weltweit.

Bereits in den 1930er Jahren wurde der Hakel unter Naturschutz gestellt; in den 90er Jahren folgte die Ausweisung als Flora-Fauna-Habitat sowie als Europäisches Vogelschutzgebiet. Genützt hat es dem Roten Milan nichts: „Es gibt nur noch vier Brutpaare“, konstatiert Kratzsch. Wie dem Roten erging es auch dem Schwarzen Milan. Von zehn Brutpaaren 1995 ist nur eines übrig geblieben. Der Schreiadler, der im Hakel seinen einzigen Brutstandort in Deutschland hatte, wurde seit zwei Jahren nicht mehr gesichtet.

Vierjähriges Projekt

Der Befund, dass es sowohl den großen Greifvögeln als auch anderen Vogelarten immer schlechter geht, ist allerdings nicht neu: „Bereits 2006 war klar, dass die Bestände kontinuierlich abnehmen“, berichtet Kratzsch. In jenem Jahr endete das vierjährige Hakelprojekt – Bestandsaufnahme und Empfehlungsschreiben zugleich. Nur wurden die Empfehlungen bis heute nicht umgesetzt.

Für Dietmar Weihrich, Landtagsabgeordneter der Grünen, ist der Befund im Hakel symptomatisch für die Naturschutzpolitik in Sachsen-Anhalt. Und mit Ursache dafür, dass es immer mehr Tier- und Pflanzengemeinschaften, sogenannten Lebensraumtypen, immer schlechter geht. „Nicht nur für den Hakel, sondern für viele Schutzgebiete fehlen Managementpläne“, klagt Weihrich. Diese Pläne regeln, was zum Erhalt der Artenvielfalt zu tun und zu lassen ist. Fehlen die Pläne, findet Naturschutz vor allem auf dem Papier statt.

Weihrichs Kritik wird vom Landesrechnungshof bestätigt. Der hat im vergangenen Jahr ermittelt, dass für 174 Schutzgebiete die nötigen, naturschutzfachlichen Planungen inklusive der Managementpläne fehlten. Für den Hakel gibt es durchaus einen solchen Plan. Seit November 2012 ist er fertig – allerdings bis heute nicht veröffentlicht, geschweige denn in der Umsetzung. Es gebe noch Diskussionsbedarf mit den Anrainern des Hakel, vor allem den Landwirten, teilte das Umweltministerium Weihrich im Sommer vergangenen Jahres mit. Und stellte fest: „Ein Zeitpunkt für die Umsetzung in gültigen Nutzungsvereinbarungen ist deshalb gegenwärtig noch nicht abzusehen.“

Streuselkuchen im Horst

Dabei ist es gerade die Landwirtschaft, die dringend in den Schutz nicht nur im Hakel mit einbezogen werden müsste. Es ist unbestritten, dass der Wechsel der Feldfrüchte – weg von Futtergetreide wie Luzerne hin zu riesigen Raps- und Wintergetreidefläche – sowie modernste Technik den Greifvögeln das Leben extrem schwer macht. Wo kaum noch ein Korn zu Boden fällt, verhungern auch die Hamster – eine der wichtigsten Nahrungsquellen für den Milan. Hinzu kommt, dass Raps und Wintergetreide just dann am höchsten stehen, wenn die Greifvögel ihre Jungen aufziehen. „Im verfilzten Raps sehen die keinen Hamster und keine Maus“, sagt Vogelkundler Kratzsch. Die Nahrungsknappheit führt dazu, dass die Tiere immer weniger brüten und zu sehr abwegigen Futterangebote greifen: „Beim Beringen haben wir sogar mal ein Stück Streuselkuchen im Horst entdeckt“, erinnert sich Kratzsch.

Den Landwirten könne man nur bedingt Vorwürfe machen. Erforderlich sei eine Änderung der Förderpolitik: „Wir müssen die Subventionen nicht auf Raps und Wintergetreide, sondern auf Luzerne ausrichten.“ Tatsächlich aber sinkt laut einer Erhebung des Landesumweltamtes die Agrarnaturschutz-Förderung seit Jahren kontinuierlich.

Doch die veränderte Landwirtschaft ist nicht das einzige Problem für die Greifvögel. Knorrige Eichen, riesige Buchen und uralte Wildkirschen prägen nicht nur den Wald im Hakel. Sie prägen auch das Bild entlang der Forstwege. Prächtige Stämme sind zu großen Bergen getürmt. Der fortwährende Holzeinschlag im Hakel ist ein weiterer Grund dafür, dass Milan und Co. das Gebiet verlassen.

Natura-2000-Richtlinie

Das bestreitet nicht einmal das Umweltministerium: „Mit Sicherheit haben Holzeinschlagmaßnahmen im Hinblick auf direkte Veränderungen im Umfeld der Niststandorte Auswirkungen auf die Greifvogelbestände.“ Nur – Konsequenzen hat das für die Holzwirtschaft im Hakel, die de facto direkt dem Umweltministerium untersteht, nicht. Das dritte große Problem für die Greifvögel steht gut drei Kilometer vom Hakel entfernt. Rund ein Dutzend Windkraftanlagen drehen sich dort, wo auch die Milane gezwungen sind, zu jagen. Weitere Anlagen sollen noch hinzu kommen. Zuständig auch hier: das Umweltministerium.

Ob der Flügelschlag die Vögel irritiert oder gar vom Jagen abhält, ist umstritten. Fakt ist aber: Vor zwei Jahren starb ein Schreiadler nach einem Zusammenstoß mit einem Windrad. Es war einer der beiden Altvögel jenes Brutpaares, das noch im Hakel lebte. Seither ist die kleine Adlerart verschwunden.

Die drei Beispiele zeigen, wie diffizil es ist, ein Schutzgebiet nicht nur auf dem Papier auszuweisen, sondern auch tatsächlich vor einer Verschlechterung der Lebensbedingungen zu bewahren. Genau aus diesem Grund drängt die EU auch auf die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinie. Mit deren Hilfe sollen isolierte Schutzgebiete – wie der Hakel eines ist – miteinander vernetzt und die wirtschaftliche Nutzung innerhalb der Gebiete reglementiert werden.

Vorgaben der EU „ambitioniert“

Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) nennt die Vorgaben der EU „ambitioniert“. Er entschuldigt das gewaltige Hinterherhinken des Landes bei der Ausweisung von Schutzgebieten hinter den Vorgaben mit ungeklärten, rechtlichen Detailfragen. Motto: Andere Länder sind ja auch noch nicht weiter.

Sachsen-Anhalts Landesrechnungshof sieht das kritischer: Im jüngsten Jahresbericht konstatiert Rechnungshofspräsident Ralf Seibicke, dass Sachsen-Anhalt nicht nur 15 Jahre brauchte, um alle geplanten Schutzgebiete im Rahmen von Natura 2000 bekanntzugeben. Und von den geplanten 297 Gebieten waren im vorigen Jahr erst 55 ausgewiesen. Aeikens rechtfertigt dies mit den „nicht immer ganz einfachen Diskussionen vor Ort“.

Den Milanen im Hakel helfen die politischen Hakeleien derweil wenig. Dabei hat Vogelschützer Lukas Kratzsch durchaus Hoffnung: „Wenn wir die landwirtschaftliche Nutzung ändern und das Nahrungsangebot für die Milane wieder besser wird, glaube ich schon, dass der Milan zurückkehrt.“

Ornithologe Lukas Kratzsch vor gefällten Bäumen im Hakel
Ornithologe Lukas Kratzsch vor gefällten Bäumen im Hakel
Kranert-Rydzy Lizenz