1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Nach tödlichem Unfall im Burgenlandkreis: Nach tödlichem Unfall im Burgenlandkreis: Kopfhörer werden immer öfter zur Gefahr

Nach tödlichem Unfall im Burgenlandkreis Nach tödlichem Unfall im Burgenlandkreis: Kopfhörer werden immer öfter zur Gefahr

Von Julius Lukas 26.10.2015, 21:18
Nicht verboten, aber gefährlich: Vor allem jüngere Menschen tragen Kopfhörer im Straßenverkehr.
Nicht verboten, aber gefährlich: Vor allem jüngere Menschen tragen Kopfhörer im Straßenverkehr. Jens Schlüter Lizenz

Laucha/Halle (Saale) - Die Schmale Gasse in Kirchscheidungen, einem Ortsteil von Laucha (Burgenlandkreis), sieht so aus, wie ihr Name es besagt. Die enge Straße hat ein Gefälle. Im Hauptteil besteht sie aus einer lang gezogenen Linkskurve. Der Blick nach vorne ist eingeschränkt. Der Weg nur schwer einsehbar. Bedingungen, die die Straße für Verkehrsteilnehmer gefährlich macht. Wie gefährlich, zeigt ein tragischer Unfall am vergangenen Wochenende.

Am Samstag, gegen 16.50?Uhr, ist ein 21-jähriger Fahrradfahrer auf der Schmalen Gasse unterwegs. Er rollt bergab. Von unten kommt ihm ein Traktor entgegen. Ungefähr auf Höhe des Scheitelpunktes der Kurve treffen die beiden aufeinander. Es kommt zur Kollision. Der Fahrradfahrer prallt auf die Schaufel des Traktors. „Ungebremst“, so steht es im Polizeibericht. Noch am Unfallort erliegt der 21-jährige Mann seinen schweren Verletzungen.

Wie genau es zu dem Unfall kam, ist derzeit noch nicht geklärt. „Die Ermittlungen laufen noch“, sagt Jörg Bethmann vom Polizeirevier Burgenlandkreis. Der Traktorfahrer habe einen Schock erlitten, weswegen man ihn nicht gleich befragen konnte. Fakt seien nach Auswertung der ersten Erkenntnisse jedoch zwei Dinge: Der Radfahrer war zum einen sehr schnell unterwegs. „Mit erhöhter Geschwindigkeit“, wie Bethmann sagt. Und zum anderen trug er Kopfhörer, die ihn abgelenkt haben könnten.

„Mit dieser Vermutung muss man natürlich sehr vorsichtig sein“, sagt Bethmann. Allerdings gebe es einen Zeugen, der ausgesagt habe, dass er die Musik, die der Fahrradfahrer gehört hat, deutlich wahrgenommen habe. „Das heißt, sie war so laut, dass sogar ein Außenstehender sie hören konnte“, erklärt Bethmann.

Kopfhörer als Unfallrisiko

Auch wenn über den genauen Hergang des Unglücks noch Unklarheit herrscht, Kopfhörer werden von Seiten der Polizei und Verkehrsexperten immer häufiger als Unfallrisiko benannt. „Sie sind eine der unterschätztesten Gefahren im Straßenverkehr“, sagt Sven Rademacher. Er ist Sprecher des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), einem Verein mit 200 Mitgliedern, der sich mit Initiativen für eine Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr einsetzt.

Rademacher verdeutlicht: „Wir nehmen den Verkehr zwar hauptsächlich über die Augen wahr, ein wichtiger Teil der Informationen wird jedoch auch auditiv vermittel.“ Wenn man sich nun mit Musik oder anderen Dingen beschallen lasse, würden diese Eindrücke fehlen. Hinzu komme, dass man auch kognitiv, also gedanklich, abschweife. „Wenn man zum Beispiel telefoniert oder ein Hörbuch hört, ist man mit seiner Aufmerksamkeit sicher nicht beim Straßenverkehr“, sagt Rademacher.

Die Kopfhörer sind dabei nur Teil einer großen Gefahrengruppe, die der DVR-Sprecher als „Ablenkungen“ bezeichnet. Dazu gehört das Kaffeetrinken beim Autofahren ebenso wie der Fußgänger, der nebenbei eine SMS schreibt. Wie oft solche Handlungen im Straßenverkehr zu Unfällen führen, wird allerdings in Deutschland nicht erfasst. Studien sagen, dass jeder zehnte Verkehrsunfall maßgeblich durch einen abgelenkten Autofahrer verursacht wird. Aus Verkehrsbeobachtungen weiß man zudem, dass Fußgänger ein viermal höheres Risiko haben, eine Ampel zu übersehen, wenn sie beim Gehen eine SMS schreiben. Und genaue Statistiken sind aus Österreich und der Schweiz bekannt, wo Ablenkung als Ursache erfasst wird. „Dort werden 20 bis 30 Prozent der Unfälle darauf zurückgeführt“, sagt Rademacher.

Ein explizites Verbot von Kopfhörern gibt es in der deutschen Straßenverkehrsordnung nicht. Allerdings ist in Paragraf 23 geregelt, dass jeder Fahrzeugführer darauf achten muss, dass sein Gehör nicht durch Geräte beeinträchtigt wird. Nur: Ab wann beeinträchtigen zum Beispiel Kopfhörer? Eine generelle Antwort darauf gibt es nicht. Es können lediglich Anhaltspunkte herangezogen werden. Überhört ein Verkehrsteilnehmer beispielsweise ein Martinshorn, so war er sehr wahrscheinlich beeinträchtigt. Entscheiden muss das aber im Zweifelsfall ein Richter.

Und dessen Urteil kann dann Auswirkungen auf die Schuldverteilung bei einem Unfall haben. Einem Radfahrer können beispielsweise Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verloren gehen, wenn festgestellt wird, dass er durch Kopfhörer und zu laute Musik beeinträchtigt wurde. Anders ist die Gesetzeslage etwa bei Mobiltelefonen. Die unterliegen im Straßenverkehr in Deutschland einem umfassenden Nutzungsverbot. So wird das Telefonieren beim Radfahren beispielsweise mit einem Bußgeld von 25 Euro sanktioniert.

Dass diese Zahlen auch hierzulande realistisch sein könnten, zeigt ein Blick in die regionalen Polizeiberichte. Sucht man dort nach Unfällen, bei denen auch Kopfhörer eine Rolle gespielt haben, wird man schnell fündig. Erst Ende August kam es in Teutschenthal (Saalekreis) zu einem Zwischenfall. Damals wurde ein 16-Jähriger von einem Zug angefahren. Obwohl der Lokführerer mehrere Warnsignale abgab, reagierte der Jugendliche nicht. Wie die Polizei mitteilte, habe er Kopfhörer getragen und Musik gehört. Der Zug erfasste ihn am Schulter-Arm-Bereich. Die Verletzungen waren jedoch nicht lebensgefährlich.

In den Polizeiberichten lassen sich noch viele weitere Fälle dieser Art finden. Was dabei hervorsticht: Besonders oft sind junge Leute beteiligt. Diese Beobachtung deckt sich auch mit einer repräsentativen Umfrage, die der DVR in diesem Sommer veröffentlichte. Demnach sind 15- bis 34-Jährige besonders häufig mit Schallquellen auf den Ohren unterwegs. Knapp über die Hälfte der Fußgänger in diesem Alter gab an, regelmäßig oder hin und wieder Kopfhörer im Straßenverkehr zu tragen. Bei den Radfahrern waren es 46 Prozent. Über alle Altersgruppen hinweg sieht das Bild zwar etwas anders aus. Aber auch da gaben immerhin 22 Prozent der Fußgänger und 19 Prozent der Radfahrer an, regelmäßig oder hin und wieder mit Kopfhörern unterwegs zu sein.

Weil das Problem so groß ist, hat das Bundesverkehrsministerium mit dem DVR Ende Juli eine Plakatkampagne gestartet. Der Slogan: „Lass dich nicht ablenken“. Um dieser Aufforderung nachzukommen, gibt es für Sven Rademacher im Bezug auf die Kopfhörer nur eine Möglichkeit: „Ganz rauslassen“. Auch wenn man nur einen Ohrstöpsel trage, lenke das bereits ab, sagt Rademacher. „Und dieses bisschen Ablenkung kann das kleine Bisschen zu viel sein.“ (mz)

Dieses Plakat ist Teil einer bundesweiten Kampagne, mit der auf Ablenkungen im Verkehr aufmerksam gemacht werden soll.
Dieses Plakat ist Teil einer bundesweiten Kampagne, mit der auf Ablenkungen im Verkehr aufmerksam gemacht werden soll.
„Runter vom Gas“ Lizenz