Montagsdemonstration Montagsdemonstration: Letzter Kampf im Lichterglanz auf Markt in Weißenfels
Weißenfels/MZ. - Das Kopfschütteln ist entschieden, ohne den Hauch eines Zweifels. "Keine Chance", sagt Adelheid Kiel, "was wir hier machen, ist sinnlos." Was soll das auch bringen? 200 Mann, die Montagsabends im eisigen Weißenfelser Wind stehen, Plakate hochrecken, auf die Regierung schimpfen und die klammen Fäuste an Kerzen wärmen. "So richtig erschreckt das doch keinen."
Es ist ein Aufstand der Älteren und kein Hauch von Revolution liegt mehr in der Luft. Es riecht nach Bratäpfeln und Tannengrün, ringsum bauen Sockenverkäufer und Glühweinhändler ihre Buden ab. Außer ein paar Polizisten, die sich warme Luft in die Finger hauchen, ist kein Mensch zu sehen, der nicht zum Demonstrieren gekommen ist.
Montagsdemo, hundert Tage nach dem Höhepunkt der Volksbewegung, als überall im Land Zehntausende auf der Straße waren und Sprechchöre ein Mittel schienen, Gesetzestexte umzuschmieden. Inzwischen sind die Übertragungswagen weitergefahren und die Aufmerksamkeit der Politik hat sich abgewandt. Die Demos aber sind immer noch da, jeden Montag von Wenigen mit sehr wenig Hoffnung und umso mehr Hartnäckigkeit gepflegt.
Adelheid Kiel zum Beispiel, seit 1992 arbeitslos, ist auch zum 20. Mal wieder da. "Wenigstens das muss man machen", sagt die 53-Jährige, die früher in der Schuhfabrik gearbeitet hat. Auch wenn sie sicher ist, dass es nichts ändern wird. Ihren Hartz-IV-Bescheid hat sie schließlich schon bekommen. "Unterste Grenze plus Heizungszuschlag." Macht alles in allem eine Summe, mit der sie prima auskommen könne: "Wenn ich mir ab Januar das Essen abgewöhne."
Aus dem heißen Zorn der ersten Demos in den Sommertagen ist im kalten deutschen Winter bei vielen hier im Häuflein der Demonstranten eiskalter Zynismus geworden. Wer den Arzt nicht zahlen kann, gehe eben demnächst nicht mehr hin, schimpft Silvia Breuer, die ein Selbsthilfegruppe für Hartz-Depressive gegründet hat. "Und das nennt sich dann Sozialreformen."
Dass inzwischen dennoch die meisten von denen zu Hause bleiben, die anfangs mitgekämpft haben gegen die als unsozial empfundenen Einschnitte, irritiert den harten Kern kaum. Dieter Rosenberg jedenfalls, obwohl als Rentner "nicht direkt betroffen", ist immer zur Stelle, wenn es 18 Uhr schlägt. Wo die anderen geblieben sind, ahnt er. "Wir haben unsere Meinung gesagt", glaubt er, "und keiner hat es hören wollen." Das mache die Menschen "ganz verrückt, weil sie jetzt glauben, sie werden von denen da oben bloß veräppelt."
So fühlt sich auch Renate Hofsäss. "Einerseits erzählen sie uns, dass zu wenig Kinder geboren werden", wettert die 64-Jährige, die "vor allem für meine Kinder und meine Enkel hier steht". Und andererseits müsse ihr Schwiegersohn inzwischen bis runter nach Mannheim fahren, um seine Familie überhaupt noch ernähren zu können. "Da frage ich mich - wo sollen denn da noch Kinder herkommen?"
Dabei, vom Weißenfelser Marktplatz aus gesehen, über den bunte Lichterketten ein weiches Weihnachtslicht leuchten lassen, wäre Deutschland so leicht zu retten.
"Die Politiker müssten den Familien bloß mal eine Perspektive geben", sagt Renate Hofsäss, "dazu haben wir die doch gewählt." Stattdessen eröffne der Kanzler Autofabriken in China und mache Werbung für Hundefutter. Hundefutter! Die nette Dame im kuschligen Kunstpelz hat jetzt einen richtig ätzenden Ton in der Kehle: "Tja, wenn er glaubt, dass das reicht, damit wir hier aufhören, wird er sich wohl noch sehr wundern."