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Modell für Halle? Modell für Halle?: Vermüllte Einwanderer-Siedlung wird zum "Leuchtturm der Integration"

Von Jan Schumann 27.02.2018, 10:51
Die Harzer Straße in Berlin-Neukölln gilt als Zentrum für rumänische Einwanderer: Hunderte Roma leben hier zusammen - das Projekt gilt als ein Integrationserfolg.
Die Harzer Straße in Berlin-Neukölln gilt als Zentrum für rumänische Einwanderer: Hunderte Roma leben hier zusammen - das Projekt gilt als ein Integrationserfolg. Gerd Engelsmann

Berlin - Am schlimmsten waren die Ratten. Es gab zwar weitere Gefahrenquellen, etwa die freiliegenden Elektrokabel und die Fenster, die nur durch Holzbretter verschlossen waren. Aber die Ratten krochen nicht nur durch den Unrat auf dem Hof, sondern bis in die Keller in der Harzer Straße.

Auch dort, in den Abstellräumen, wohnten zeitweise einige Roma, die nach Berlin gekommen waren. „Es war katastrophal“, sagt Anna Maria Sabatke. „Hier wurden nicht einfach nur Wohnungen, sondern Matratzen vermietet.“

Es war eine überbevölkerte Schrott-Immobile mit Unrat im Hof, geächtet von den Nachbarn als „Klein-Rumänien“. Ein Extremfall im Berliner Bezirk Neukölln. Heute zeigt Sabatke von der katholischen Aachener Wohnungsgesellschaft, was aus dem Altbaukomplex geworden ist: Ein gepflegtes Quartier, 140 Wohnungen, rund sechs  Euro Miete pro Quadratmeter. Statt einst 1 200 Menschen wohnen hier nun 600, vor allem Einwanderer aus dem rumänischen Dorf Fantanele. Geächtet? Nicht mehr. In Werbeprospekten ist jetzt stattdessen von einem „Leuchtturm der Integration“ die Rede.

Enge Betreuung mit Übersetzer

Kann das stimmen? Ist so eine Integration innerhalb eines Stadtteils möglich? Aus Halle hat sich eine Delegation von Streetworkern und Sozialarbeitern aufgemacht, um das zu prüfen. Denn auch in der Saalestadt ist die Integration der Roma ein brisantes Thema - spätestens seit 2014, als Hunderte Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien in den Brennpunkt-Stadtteil Silberhöhe zogen. Heute leben in Halle etwa 1 000 Roma, auch in Magdeburg und im restlichen Bundesland ließen sie sich nieder. Einige Anwohner zeigen bis heute offene Abneigung gegen die Bevölkerungsgruppe, 2014 versuchten Rechtsextreme in Halle gegen Roma zu mobilisieren. Und die Stadtverwaltung erkannte, wie schwer deren Integration in die Stadtgesellschaft ist.

Dass das bis heute gilt, weiß Guido Stark. Er leitet die Kinderarbeit im Jugendclub Roxy im Südpark - einem halleschen Plattenbau-Viertel, wo seit 2016 ebenfalls Dutzende Roma-Familien leben. „Wir sind ja froh, dass wir mittlerweile von den Piktogrammen weg sind, um uns mit den rumänischen Kindern zu verständigen“, sagt er über die Arbeit im Jugendclub. Dennoch gebe es weiter „viel Konfliktpotenzial bei den größer werdenden Jungs“. Man ahnt, was gemeint ist. „Wenn Sie 30 Kinder betreuen und da kommen mit einem Schlag 20 Roma dazu, da prallen Welten auf einander“, erklärt Stark. Anwohner beschwerten sich über zunehmenden Diebstahl, aber auch Müll und Abfall, den die Roma-Familien nicht entsorgten, sondern auf der Straße liegen ließen. Einkaufswagen, die die Roma vor Neubaublöcken parkten, statt sie zum Supermarkt zurückzubringen, wurden zum Symbol der Zuwanderung.

Vergleichbar waren die Probleme im Bezirk Neukölln im Jahr 2011. „Wir haben die Immobilie gekauft und ein Jahr durchsaniert“, sagt Sabatke. Es ging darum, dem Quartier das Ghetto-Image zu nehmen. Auf dem Innenhof entstand eine Grillstelle - „Die Roma-Familien essen viel Fleisch, sind oft draußen“ - und ein Platz zum Teppich-Waschen.

Vor allem baute die Aachener aber einen engen Kontakt zu den Familien auf. Wöchentlich gab es Mietersprechstunden mit einem Übersetzer. Was mache ich, wenn Behördenpost kommt? Oder ein Brief für den Mieter? Wie melde ich Kinder in Kita und Schule an? Wie ein eigenes Gewerbe? Und wie läuft die Mülltrennung in den Häusern? „Wir haben gleichzeitig auch recht streng kontrolliert, dass die Auflagen in den Wohnungen eingehalten werden“, so Sabatke - „dass eben nicht mehr irgendwelche Leute in den Wohnungen sind, die da nicht hingehören.“ Vor allem zu Beginn habe sie immer wieder an den Hauseingängen kontrolliert, ob die aufgeklebten Klingelschilder zu den unterschriebenen Mietverträgen passen.

Es ging anfangs auch darum, den Roma-Familien die Strenge des deutschen Mietrechts klar zu machen: keine Ruhestörung in der Nacht, keine Vermietung auf eigene Faust, Mülltrennung nach Vorschrift. Und die Monatszahlungen müssen pünktlich kommen.

Problem auch in Halle: Ständig wechselnde Vermieter

Der enge Draht zwischen dem katholischen Vermieter und den Roma habe der Integration geholfen. „Es gab zu Beginn ja auch viel Skepsis unter den Rumänen“, sagt Sabatke, „aufgrund der schlechten Erfahrungen mit dem früheren Vermieter.“

Benannt ist das Roma-Wohnprojekt im Berliner Bezirk Neukölln nach dem römisch-katholischen Priester Arnold Fortuin (1901-1970). In der Zeit der Nazi-Diktatur rettete er Hunderte Sinti und Roma vor der Verfolgung, indem er ihnen zur Flucht nach Frankreich verhalf. Heute trägt Neuköllns Roma-Vorzeigeprojekt in der Harzer Straße seinen Namen und setzt Maßstäbe in der Integration.

Der Stadtteil ist ohnehin eine Besonderheit: Nachdem er in der jüngeren Vergangenheit als eines der Schmuddelkinder in Berlin galt, mausert er sich gerade unter jungen Mietern zum beliebten Kult-Stadtteil. Ein Grund sind die vergleichsweise niedrigen Mietpreise - im Vergleich zum benachbarten Kreuzberg. Der Ausländeranteil in der Neuköllner Bevölkerung liegt bei rund 25 Prozent - doch weit höher ist der Anteil derer, die einen Migrationshintergrund haben (42 Prozent). Bürgermeisterin im Bezirk ist seit 2015 Franziska Giffey, SPD-Parteifreundin des halleschen Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Giffey reiste unter anderem mehrmals nach Rumänien und Bulgarien und informierte sich dort über die Migrationsgründe nach Deutschland.

Ein Problem, das auch im halleschen Südpark existierte. „Da gab es über Jahre hinweg wechselnde Vermieter der Neubaublocks“, schildert Monika Janietz-Herrmann, ebenfalls Sozialarbeiterin im Roxy. „Ein enger Kontakt wie in Neukölln - auch mit der Stadt und den Behörden - kann da nicht entstehen.“ Zumal sie den Eindruck habe, dass zugezogene Roma teils bewusst von windigen Vermietern getäuscht worden seien. „Einige Familien dachten, sie hätten mit der Kaution schon die Wohnung gekauft.“ Immer wieder habe es Zwangsräumungen im Südpark gegeben, Roma mussten aus den Wohnungen. Wie soll da langfristige Integration gelingen?

Mittlerweile seien die Wohnblocks aber in seriösen Händen, erklärt Roxy-Chef Stark. Sein Fazit aus dem Neukölln-Besuch: „Die enge Betreuung ist der Schlüssel zur Integration, vor allem durch den Wohnungsvermieter. Halle bräuchte so etwas wie einen runden Tisch, an dem die Behörden, Vermieter, soziale Träger und Anwohner zusammenkommen. Und Vertreter der Roma.“

Drei Jahre bis zur Akzeptanz

Ein weiterer Schlüssel könnte die Religion sein. So sieht es der hallesche Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby (SPD), auf dessen Initiative die Roxy-Delegation nach Neukölln gefahren ist. „Tief bewegt“ sei er von den Integrations-Fortschritten in der Harzer Straße. Deswegen wollte er das Projekt auch in Halle bekanntmachen. Vor Ort erklärt Immobilien-Expertin Sabatke, viele Roma seien katholisch und in der lokalen Kirche engagiert. „Unter den Mietern ist auch ein Priester.“ SPD-Mann Diaby konstatiert: „Vielleicht wäre das auch für Halle eine Möglichkeit, mit den Roma stärker in Kontakt zu treten.“

Seit der Sanierung der Ramsch-Immobilie in Neukölln sind sieben Jahre vergangen. „Zwei bis drei weitere Jahre hat es gedauert, bis die Bevölkerung das Projekt angenommen hat“, sagt Sabatke. „Ich habe das Gefühl, auch in Halle sind unsere Signale bei der Verwaltung angekommen“, sagt Stark. „Wir sind noch auf dem Weg.“ (mz)