Merseburg Merseburg: «Chef, sie können mich auch einmal anschreien»
MERSEBURG/DDP. - Auch den Auftrag ihres Chefs versteht die 24-Jährige erst, als er lauter wird. Die junge Frau ist hörgeschädigt. Nach zwei Ausbildungen und Arbeitslosigkeit hat sie nun jedoch endlich einen "richtigen" Job gefunden.
Noch ist sie als Werbetechnikerin in dem Merseburger Meisterbetrieb für Schilder- und Lichtreklame-Herstellung in der Probezeit. Doch sie ist zuversichtlich, dass es mit einer Anstellung klappt. Auch ihr Chef Lars Bernhardt versichert, dass er es nicht bereut habe, der Frau eine Chance gegeben zu haben. Zwar müsse er häufiger nachfragen, ob sie die ihr zugeteilten Aufgaben verstanden habe, aber ansonsten laufe die Einarbeitung so wie bei jedem gesundheitlich nicht eingeschränkten Bewerber.
Ungewohnter Umgangston
"Hin und wieder muss ich auch mal brüllen", gibt der Chef zu. Der Umgangston sei gewöhnungsbedürftig gewesen, gesteht Bernhardt. Doch Hornig habe gebeten: "Schreien sie mich bitte an." Am linken Ohr trägt sie ein Hörgerät. Zudem lese sie ihren Mitmenschen vom Mund ab. Mit zwei Jahren hat die Frau nach einer Hirnhautentzündung ihr Gehör fast vollständig verloren. Seither gilt sie als schwerbehindert. Dieses Handicap habe sie - wie sie erzählt - bei der Jobsuche zu spüren bekommen. Nach der ersten Ausbildung als Mediengestalterin im Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte sei sie ein Jahr arbeitslos gewesen. Oft sei sie zu Probearbeiten eingeladen, aber nie übernommen worden.
Um damals nicht in Hartz IV zu rutschen, habe sie sich für eine zweite Lehre als Buchbinderin entschieden. Nach dem Abschluss sei sie wieder auf Jobsuche gewesen. Eine Spezialistin der Agentur für Arbeit in Merseburg, die sich nur um die Integration von Rehabilitanden und Schwerbehinderten kümmert, stellte den Kontakt zu Bernhardt her. Eine gezielte Vermittlung behinderter Menschen sei besonders wichtig, erklärt Kerstin Herrfurth, Spezialistin in der Merseburger Agentur. Um die Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, sei eine "intensive und persönliche" Betreuung nötig.
Agentur bezahlt Ausstattung
In der kleinen Werbefirma klingelt das Telefon. Hornig nimmt ab. Was vor Wochen noch ein Problem gewesen wäre, klappt nun besser. Möglich macht es ein Volumenverstärker in der Hörmuschel - finanziert von der Arbeitsagentur. Notwendige technische Arbeitsmittel können auch von den Agenturen bezahlt werden, erklärt Herrfurth. In der Werbefirma soll bald noch ein Lichtsignal bereitgestellt werden, das zeigt, wenn die Eingangstür geöffnet wird. Dann kann auch Hornig aus dem Nebenraum sehen, wann Kundschaft da ist.