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Tote Hosen in Leipzig Tote Hosen in Leipzig: Campino kann auch heiser begeistern

Von Antonie Städter 22.08.2015, 21:13
Die Stimmbänder hielten. Tote Hosen-Frontmann Campino lobt das Publikum: „Ihr seid einer der besten Chöre!“
Die Stimmbänder hielten. Tote Hosen-Frontmann Campino lobt das Publikum: „Ihr seid einer der besten Chöre!“ Thomas Meinicke Lizenz

Leipzig - Diese Frage hatte sicher keiner der rund 70.000 Toten-Hosen-Fans erwartet: „Wer von euch kennt Thietmar von Merseburg?“, grölt Frontmann Campino am Samstagabend beim Mega-Auftritt der Düsseldorfer Punkrock-Band auf der Leipziger Festwiese vorm Zentralstadion ins Publikum. Um gleich lautstark zu erklären: „Er ist der Grund, warum wir heute alle hier sind.“ Hatte dieser gewisse Thietmar von Merseburg doch vor 1.000 Jahren Leipzig erstmals erwähnt, weshalb in diesem Jahr groß gefeiert wird.

Das dürfte für die meisten in der Menge zweitrangig gewesen sein. Hauptsache, die Jungs - mittlerweile in ihren Fünfzigern - treten mal wieder auf. Ob nun im Programm des Leipziger Jubiläumsjahres oder einfach so. Zumal das ausverkaufte Spektakel, mit Kraftklub, Bad Religion und Schmutzki im Vorprogramm, zunächst auf der Kippe gestanden hatte: Campino litt an einer Stimmbandentzündung, einen Auftritt in der Schweiz musste die Band absagen.

„Ihr müsst mir heute Abend helfen“, ruft der hörbar heisere Frontmann der Masse zu. Und: „Ihr seid einer der besten Chöre!“ Wobei derlei Anfeuerung gar nicht nötig ist: Die Fans sind voll dabei und bis in die letzten Reihen absolut textsicher - ob beim Opener „Bonnie & Clyde“ aus den 90ern, dem Yankees-Cover „Halbstark“ oder dem nachdenklichen „Nur zu Besuch“. Was wenige wissen: Campino, der eigentlich Andreas Frege heißt, ist ein Nachfahre des berühmten Leipziger Handelsmannes Christian Gottlob Frege. Nicht weit von der Festwiese entfernt erinnert die Fregestraße an ihn. Der Gänsehaut-Moment schlechthin folgt wenige Lieder später. Für den schwer erkrankten Ex-Hosen-Schlagzeuger Wolfgang „Wölli“ Rohde spielt die Band ihren Titel „Steh auf, wenn du am Boden bist“ - wobei Campino die Fans zuvor auffordert, sich für Wölli hinzusetzen, und das Ganze auf einer Kamera festhält. Ein ergreifendes Bild: Die Zehntausenden gehorchen bereitwillig, um schließlich beim Refrain begeistert aufzuspringen. Als dann auch noch Wölli selbst auf die Bühne tritt und Arm im Arm mit Campino singt, wischt sich manch eingefleischter Fan die Tränen aus den Augen.

Bunt gemischtes Publikum auf der Festwiese

Musikalisch ziehen die Meister des Live-Auftrittes alle Register: Campino, die Gitarristen „Kuddel“ und „Breiti“, Bassist „Andi“ und Schlagzeuger „Vom“ liefern eine verdammt gute Show ab. Meist mit Getöse und großer Pose, aber auch mal ruhiger und von Streichern begleitet, etwa bei „Unsterblich“. Auch ihr in diesen Tagen so aktueller Song „Europa“ vom 2012er-Album „Ballast der Republik“ über das Schicksal von Flüchtlingen darf nicht fehlen. „Sie kommen zu Tausenden, doch die Allermeisten werden das gelobte Land niemals erreichen. Denn die Patrouillen werden sie aufgreifen, um sie in unserem Auftrag zu deportieren. Und der Rest, der wird ersaufen im Massengrab vom Mittelmeer“, singt Campino. Danach schallt über den Platz der energische Zuschauerchor: „Nazis raus!“

Natürlich sind an diesem Abend auch einige Punks dabei. Doch das Publikum ist bunt gemischt: viele Männer mittleren Alters, die vielleicht mal so wild waren, wie Campino noch immer daherkommt. Der gibt auf der Bühne alles und beweist, dass einer wie er auch mit angeschlagener Stimme gut Lärm machen kann. Schweißgebadet macht er nonstop vor, was er der Masse zu Beginn befahl: „Durchdrehen, springen, schreien!“ Im Hintergrund rasen gut gemachte Videoprojektionen über die Leinwand, so etwas gehört heutzutage dazu.

Doch bei vielen Songs - wie „Hier kommt Alex“, „Alles aus Liebe“ oder der „Opel-Gang“ - darf sich das Publikum in eine Zeit zurückversetzt fühlen, in der es noch undenkbar war, dass die Band ein solches Riesenkonzert mit Hymnen wie „Tage wie diese“ für die breite Masse gibt. „Viel zu groß“, findet das freilich manch Anhänger der ersten Stunde.

Fans der Toten Hosen sind am Ende selig

Die Tourshirt-Parade der Fans macht es deutlich: In über 30 Jahren Band-Geschichte ist einiges an Konzerten zusammengekommen. Wobei der klare Favorit an diesem Abend natürlich dieses ist: „Am Anfang war der Lärm“, Festwiese Leipzig, 22. 8. 2015. Dem Merchandising-Stand auf dem Gelände sei Dank.

Die Fans jedenfalls sind am Ende selig. Und die Band ist es offensichtlich auch: Auf ihrer Facebook-Seite verkündete sie gestern, dass sie heute ein Zusatzkonzert unter dem Motto „Danke Leipzig“ im Club Conne Island gibt. Nach zweieinhalb Stunden Party auf der Festwiese, mit bester Tote-Hosen-Musik, ergreifenden Momenten und etlichen Zugaben sagte am Sonnabend einer im Publikum mit Blick auf den sich verausgabenden Frontmann: „Er hat sich wacker geschlagen“. Der Chor aber auch. (mz)

Campino singt - die Fans in Leipzig sind begeistert.
Campino singt - die Fans in Leipzig sind begeistert.
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