1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Leipzig
  6. >
  7. Fall Lina E.: Schwere Vorwürfe gegen Senat und Bundesanwalt im Prozess gegen Lina E.

Fall Lina E. Schwere Vorwürfe gegen Senat und Bundesanwalt im Prozess gegen Lina E.

Die Verteidigung geht nach fast 100 Verhandlungstagen mit den anderen Prozessbeteiligten hart ins Gericht. Das erste Plädoyer der Verteidigung im Verfahren gegen mutmaßliche Linksextremisten gerät zu einer Anklage.

19.04.2023, 14:39
Die Angeklagte Lina E. im Gerichtssaal.
Die Angeklagte Lina E. im Gerichtssaal. (Foto: AFP)

Dresden/DPA - Die Verteidigung der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. hat im Plädoyer schwere Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft und den Senat am Oberlandesgericht Dresden erhoben. Verteidiger Ulrich von Klinggräff sprach am Mittwoch von „politischer Justiz“: Es habe von Anfang an eine Vorverurteilung seiner Mandantin und einen Schulterschluss von Gericht und Bundesanwaltschaft gegeben.

Beide hätten eine „gemeinsame Front“ gegen die Beschuldigten aufgebaut. Alternative und entlastende Annahmen seien außer Acht gelassen worden. Zentrale Teile der Anklage würden auf Mutmaßungen beruhen. „Hypothesen ersetzen für die Bundesanwaltschaft die Beweise.“

Prozess hatte unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im September 2021 begonnen

Der Prozess hatte unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im September 2021 begonnen. Neben der inzwischen 28 Jahre alten Studentin Lina E. müssen sich drei Männer aus Leipzig und Berlin vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen 2018 und 2020 Angehörige der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach zusammengeschlagen zu haben. Zudem sind sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, als deren Kopf Lina E. gilt.

Die Bundesanwaltschaft vertrete die Ansicht, dass Gefahr gleichermaßen von den radikalen Rändern drohe und links und rechts gleichzusetzen seien, sagte der Verteidiger. Man dürfe die von rechts ausgehende Gefahr aber nicht verschweigen. In Deutschland existiere seit langem ein Nazi-Terror. Seit 1990 seien hier 219 Menschen von Rechtsextremen getötet worden. Nahezu täglich komme es zu Angriffen „auf Menschen, die nicht deutsch aussehen“.

Verteidiger rügte „exzessive“ Sicherheitsvorkehrungen für den Prozess

Von Klinggräff warf der Bundesanwaltschaft vor, aus minimalen Anhaltspunkten Indizien gebastelt zu haben - er sprach von „Rosinenpickerei“. Man picke sich nur das heraus, was in die eigene Anschauung passe. „Schwache Beweisführungen werden nicht besser, wenn sie kumulativ aufgeführt werden.“ Die Angeklagten seien zu Objekten des Verfahrens degradiert worden.

Zudem rügte der Verteidiger „exzessive“ Sicherheitsvorkehrungen für den Prozess mit einem hohen Personalaufwand. Im Laufe des Verfahrens sei es zu keinerlei Vorfällen gekommen. Dennoch habe man an einem „polizeilichen Popanz“ festgehalten. Der Konvoi an Polizeifahrzeugen, der Lina E. jedes Mal zu einer Verhandlung begleitet habe, sei völlig unnötig gewesen.

Kritik an der Arbeit der Sonderkommission Linksextremismus

Scharfe Kritik gab es auch am Vorsitzenden Richter Hans Schlüter- Staats. Zu keinem Zeitpunkt habe man den Eindruck gewonnen, dass der Senat eine kritische Würdigung der Beweise und der polizeilichen Arbeit vorgenommen habe.

Immer, wenn es Kritik an der Arbeit der Sonderkommission Linksextremismus gab, habe sich der Vorsitzende dazwischengeworfen, als hätte er die Kritik persönlich genommen. Dieser Reflex sei nicht anders zu erklären, als dass er sich der Polizei innerlich verbunden fühle.

Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. acht Jahre Haft verlangt

Die Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. acht Jahre Haft verlangt. Rechtsanwalt von Klinggräff nannte das am Mittwoch „maßlos.“ Für die anderen Beschuldigten wurden Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und drei Jahren neun Monaten beantragt.

Von Klinggräff forderte bei vier von fünf angeklagten Angriffen auf Rechtsextreme Freispruch für Lina E. - mangels Beweisen, dass sie überhaupt am Tatort anwesend war. Eine weitere Tat wollte am Nachmittag sein Kollege Erkan Zünbül rechtlich würdigen.