Sachsen Sachsen: Walter Ulbricht gab Kirche zur Sprengung frei

Leipzig/dpa. - Am Vormittag des 30. Mai 1968 wurde dasdreischiffige Gotteshaus, in dem einst auch Reformator Martin Lutherpredigte, gesprengt. Die Kirche am Augustusplatz hatte nicht ins Bildder SED-Planer für ein modernes Stadtzentrum und zur 1953 in Karl-Marx-Universität umbenannten sozialistischen Hochschule gepasst.Während sich in wenigen Tagen die Sprengung jährt, entsteht gutsichtbar anstelle der zerstörten Kirche ein moderner Nachfolgebau,das Paulinum. Es soll zum Herzstück eines erneut modernisiertenUniversitätsgeländes - dem Nachfolger des sozialistischenHochschulkomplexes - werden.
Die Paulinerkirche, zwischen 1488 und 1521 als Gotteshaus für einDominikanerkloster errichtet, war 450 Jahre lang geistig-geistlichesZentrum der Universität. Sie diente als Aula, Begräbnisstätte fürUniversitätsprofessoren und Domizil für akademische Feierlichkeiten.Luther predigte in dem Gotteshaus, Johann Sebastian Bach spielte alsUniversitätsmusikdirektor Orgel und für Felix Mendelssohn Bartholdygab es 1847 in St. Pauli die Trauerfeier. Den Bombenhagel im ZweitenWeltkrieg überstand das gotische Baudenkmal unbeschadet.
Mit der Sprengung der Kirche und des im Krieg beschädigten 132Jahre alten Universitäts-Hauptgebäudes «Augusteum» wurde nicht nurPlatz für schmucklose Neubauten - dem ersten «sozialistischenUniversitätskomplex der DDR» - geschaffen. Auch die Geschichte derbürgerlichen Universität und zweitältesten Uni auf dem Gebiet desheutigen Deutschlands sollte damit ausgelöscht werden. Schon 1953 warsie in Karl-Marx-Universität umbenannt und im gleichen Zug derAugustusplatz zum Karl-Marx-Platz geworden.
Ausgerechnet zu Himmelfahrt, am 23. Mai 1968, wurde die Sprengungdes Gotteshauses offiziell beschlossen. «Eine Woche blieb Zeit, umdas, was beweglich und entnehmbar war, herauszuholen», sagt ChristianWinkler von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, der seineDissertation dem Schicksal der Kirche gewidmet hat. Gerettet wurdenkleine Orgel und Teile der großen Orgel, Altar, Kanzel sowiezahlreiche Epitaphien aus dem 16. bis 18. Jahrhundert - Denkmäler ausStein, Holz oder Metall, die an Verstorbene erinnern.
«Einen offiziellen Bergungsplan gab es nicht, vieles mussteschnell von der Empore geworfen werden», schildert Winkler. Daswertvolle kirchliche Inventar wurde in Kellern der Unizwischengelagert. Der 500 Jahre alte Altar fand 1993 an Bachs Grab inder Thomaskirche einen würdigen Platz, die Epitaphien werden derzeitrestauriert, die barocke Kanzel lagert noch in mehreren Einzelteilenin der Universität. Die Trümmer des Gotteshauses liegen in einerbegrasten Grube nahe des Völkerschlachtdenkmals.
Zum 600. Jubiläum der Alma mater lipsiensis im kommenden Jahrentsteht anstelle der in Schutt und Asche gelegten Kirche einmodernes geistig-geistliches Zentrum mit Aula und Andachtsraum, dasPaulinum. Um das neue Antlitz des Augustusplatzes und einen möglichenWiederaufbau der Paulinerkirche war nach der Wende ein heftigerStreit zwischen Universität, Bürgern und Landesregierung entflammt.Mit dem Entwurf des Holländers Erick van Egeraat wurde schließlichein Kompromiss gefunden. Der Neubau nimmt die Silhouette derzerstörten Kirche in moderner Gestalt auf, mit einer Fassade ausStahl, Glas und Naturstein. Der Paulinum-Giebel ist bereits zu sehen.