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Nur fliegen ist schöner Nur fliegen ist schöner: Nacht-Tour am Flughafen Leipzig/Halle

Von Oliver Müller-Lorey 18.09.2016, 18:56
Die Nase dieses Antonov-Frachtflugzeugs kann aufgeklappt werden.
Die Nase dieses Antonov-Frachtflugzeugs kann aufgeklappt werden. Oliver Müller-Lorey

Schkeuditz - Wenn Tobias Halfpap jetzt einfach den Steuerknüppel hochziehen würde. Dann würde sich die Nase des Flugzeugs langsam in den Nachthimmel neigen und die Flutlichter des Flughafens Leipzig/Halle würden kleiner und kleiner. Wegfliegen nach Amerika oder Mallorca.

Show für die Gäste am Flughafen Leipzig/Halle

Doch es gibt keinen Steuerknüppel - nur ein Lenkrad. Tobias Halfpap, der so gerne Pilot geworden wäre, sitzt in einem VW-Kleinbus und gibt Vollgas auf der hell erleuchteten Startbahn. Vor einer halben Stunde ist hier eine Eurowings-Maschine in Richtung Düsseldorf gestartet. So schnell  er auch fährt, er wird heute Nacht nicht abheben. Die grellen Orientierungslichter für  landende Flugzeuge hat der Tower nur angeschaltet, um den vier Gästen im Fond des Kleinbusses eine ordentliche Show zu bieten. Der 34-jährige Brillenträger mit dem Traum vom Fliegen ist Gästeführer auf Deutschlands flächenmäßig größtem Flughafen und gerade am Höhepunkt seiner „Flughafen-bei-Nacht-Tour“ angelangt. Seine Sehschwäche hat ihm eine  Piloten-Karriere verwehrt. Doch in Momenten wie diesen, wenn er mit über 100 km/h über die Startbahn rast, ist auch der Job am Boden atemberaubend schön.

Die Nacht-Tour beginnt wenig spektakulär mit einer Belehrung. Seinen vier Gästen, die die vierstündige Rundfahrt bei einer Verlosung der MZ gewonnen haben, erklärt er, was sie vor dem Gang durch die Sicherheitsschleuse besser abgeben sollten: Taschenmesser, Nagelscheren und Feuerzeuge. Auch Personen, die nicht fliegen, müssen sich durchchecken lassen, wenn sie auf das gesicherte Flughafengelände wollen. Einmal drin ist Tobias Halfpap voll in seinem Element: Während er über das große Vorfeld fährt, sprudeln die Zahlen und Fakten nur so aus ihm heraus. Zehn bis 15 Jahre diene ein Flugzeug als Passagiermaschine, danach noch einmal gut 20 Jahre als Frachter, erzählt er, während er auf ein solch umgebautes Fracht-Flugzeug deutet. Wer genau hinschaut, sieht, dass die früheren Fenster einfach   überklebt wurden. „Das ist für Flugzeuge ein zweites Leben“, sagt er.

13 Boeing 737 passen in den DHL-Hangar

Der Kleinbus kommt an einer Maschine vorbei, die im Schritttempo auf ihre Parkposition rollt. Auf einem schwarzen Kasten in Cockpit-Höhe erscheinen orangefarbene Zahlen: 2,4m, 1,4m, 0,6m, STOP. „Automatische Einparkhilfe. Die ist genau bis auf 20 Zentimeter“, sagt Halfpap, als handle es sich bei dem Gerät um einen handelsüblichen Kühlschrank, der nun wirklich nicht der Rede wert sei. Dass die Maschine, die da andockt,  aus Wien kommt - das weiß Halfpap  aus dem Kopf. Was seine Gäste ihn auch fragen, auf alles hat er eine Antwort. Der Zaun um das Flughafengelände ist 40 Kilometer lang, in den Hangar der DHL passen 13 Boeing 737 nebeneinander, Koffer fahren mit bis zu 25 Kilometer pro Stunde über das Gepäckband, wenn ein verdächtiger Gegenstand gefunden wird, kann ein Spreng-Roboter ihn mit einem 150 Bar starken Wasserstrahl pulverisieren, die grauen Tonnen da hinten sind Antonow-Triebwerke, die  ausgetauscht werden, falls mal eines kaputt geht.  Der Winterdienst ist mit 76 Fahrzeugen unterwegs, ins Tanklager passen 1,6 Millionen Liter Kerosin und die Gras-Sorte, die neben der Landebahn wächst, nennt sich „Flughafenrasen“, die besonders licht, langsam und nährstoffarm wächst, damit Tiere dort keine Nahrung finden.

Tobias Halfpap führt Gäste über „seinen“ Flughafen Leipzig/Halle

„Die Begeisterung für Flugzeuge war schon immer da“, erzählt Halfpap. „Eigentlich wollte ich ja Pilot werden, aber wegen meiner Augen ging das nicht.“ Also begann er schon als Student damit, Gäste über „seinen“ Flughafen zu führen. Erst begleitete er andere Gästeführer und lernte von ihnen. Nach und nach übernahm er selbst immer mehr Aufgaben. Eine echte Gästeführer-Ausbildung gibt es nicht, zumal der Job auf dem Flughafen nicht Halfpaps Hauptberuf ist. Tagsüber arbeitet er als Produktmanager in einer Maschinenbau-Firma. Drei bis vier Mal im Monat fährt er Besucher über den Flughafen - mal tagsüber und mal nachts. „Ich mag die Nachttour am meisten, weil sie länger ist und man noch mehr zeigen kann“, sagt er. 29 Euro kostet die nächtliche Rundfahrt pro Person.

Hightech-Ausstattung bei der Flughafenfeuerwehr

Firmen, Kindergärten, Schulklassen, sogar ganze Feuerwehren haben sich von Tobias Halfpap schon den Flughafen zeigen lassen. Für die Brandretter verzichtet der Gästeführer auch schon einmal auf ein, zwei Flugzeuge und fährt direkt in die Flughafenfeuerwehr.

Warum, wird spätestens dann klar, wenn die Gäste vorm „Panther“ stehen. Ein Ungetüm von Feuerwehrauto, groß wie ein Linienbus und ausgestattet mit der fortschrittlichsten Technik, die es auf dem Markt gibt. Eberhard Schmors, einer der vier Besucher und selbst in der Freiwilligen Feuerwehr, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. 12.500 Liter Wassertank, 48 Tonnen Gesamtgewicht, ein Alarmknopf bei dessen Betätigung Strom- und Druckluftleitungen automatisch getrennt und die Fahrertür selbsttätig geschlossen wird. Ein Motor, der für den Schnellstart stets auf 60 Grad geheizt wird - „Ja. Den würde ich direkt mitnehmen“, gesteht Schmors und blickt sehnsüchtig auf den „Panther“. All die Hightech-Ausstattung hat einen Grund. „Tagsüber beträgt die Ausrückzeit 21 Sekunden“, sagt Gästeführer Halfpap. Das bedeutet, vom Küchentisch in der Feuerwache, das Rohr hinab, in die Schutzkleidung ins Auto raus aus der Wache dürfen die Männer nicht länger als 21 Sekunden brauchen. „In zweieinhalb Minuten müssen die an jedem erdenklichen Ort auf dem Flughafengelände sein“, sagt Halfpap. Und wenn das bei einer Überprüfung durch die Flugbehörde nicht klappen sollte, dann wird der gesamte Flughafen für sieben Tage dichtgemacht.

Strenge Sicherheitskontrollen am DHL-Gelände

Mindestens so streng wie die Flugbehörde sind die Herren von DHL, dem größten Kunden am Flughafen. Im sogenannten „überlassenen Bereich“, hat der gelbe Riese das Sagen. Tobias Halfpap steuert den Besucherbus durch eine zweite Sicherheitskontrolle und warnt die Passagiere auf dem Rücksitz schon einmal vor: Fotografieren nach links gerne - Fotos von den DHL-Containern oder gar aus der riesigen Paket-Halle auf gar keinen Fall! Einmal, erzählt der Gästeführer, habe ein Sicherheitsmann beim Verlassen des DHL-Geländes verbotene Fotos auf einer Kamera gefunden und dessen Besitzer zur Löschung aufgefordert. Heute geht alles gut. Als sich die Schranke öffnet und Halfpap wieder auf das normale Flughafengelände fährt, atmet er kaum merklich einmal tief durch.

Um 22.30 Uhr müssen alle Betriebsfremden das Flughafengelände verlassen. Die Nacht-Tour ist vorbei. Tobias Halfpap wird den VW-Bus noch auf den Parkplatz stellen und dann wieder zurück nach Halle fahren. Der Eurowings-Abendflug könnte mittlerweile in Düsseldorf angekommen sein. (mz)