Junger Forscher an der Universität Leipzig Junger Informatiker aus Afrika forscht an der Uni Leipzig

Leipzig - Fragt man Jungen in Deutschland auf dem Spielplatz oder im Kindergarten nach ihren Traumberufen, dann gehen die Arme traditionell bei Lokführer, Fußballer oder Feuerwehrmann besonders schnell in die Höhe. Und so gesehen ist Axel Ngonga schon als Kind aus dem Rahmen gefallen. Er wollte Astrophysiker werden! Und das war nicht nur so daher gesagt. Bereits als Sechsjähriger verbrachte er in seiner Heimat Kamerun oft mehrere Stunden am Tag in der Bücherei, um Fachliteratur zu wälzen.
„Wissenschaft war für mich immer eine Häufung von Rätseln, und ich wollte sie alle verstehen“, erinnert er sich. Doch er verkroch sich nicht nur hinter dicken Büchern, er schraubte auch alle möglichen technischen Geräte auseinander, schaute sich alle Teile an und baute sie wieder zusammen. Seine große Neugierde brachte ihm bereits früh den Spitznamen „Mister Why“ („Herr Warum“) ein. „Dass ich einmal Wissenschaftler werde, stand für mich damals schon fest.“
Aufstrebende Generation
Heute ist Axel Ngonga 32 Jahre alt, leitet als Informatiker eine Forschungsgruppe an der Universität in Leipzig und gilt als einer der renommiertesten Nachwuchswissenschaftler Afrikas. Und als solcher ist er mit 14 anderen jungen afrikanischen Kollegen kürzlich zu einer Wissenschaftskonferenz nach Dakar in den Senegal eingeladen worden. „Das war natürlich eine große Ehre und Chance, gleichbedeutend mit einer Preisvergabe.“
Wichtigstes Ziel der Veranstalter war es dabei, die junge aufstrebende Generation afrikanischer Forscher deutlich stärker in den Fokus zu rücken, ihr eine Bühne und einen kräftigen Schub zu geben. Entwicklungshilfe der etwas anderen Art. „Bisher wird deren Potenzial international noch viel zu wenig beachtet“, bedauert Joachim Rogall, Geschäftsführer der Stuttgarter Robert-Bosch-Stiftung, die das Forum in Dakar mit dem African Institute for Mathematical Science (AIMS) auf die Beine gestellt hat. Dessen Gründer, der Physiker Neil Turok, gibt sich zuversichtlich und ambitioniert zugleich. „Der nächste Einstein wird aus Afrika kommen“, betont der Südafrikaner. Daher auch der Titel des Treffens im Senegal: „Next Einstein Forum“.
Einige Klassen übersprungen
Natürlich ist Axel Ngonga nicht Albert Einstein, beeindruckend ist aber auch sein Werdegang. Direkt nach dem Abitur in Kamerun zog es ihn 1999 nach Deutschland. Da war er 15 und hatte zuvor einige Klassen in der Schule übersprungen. Warum gerade Deutschland? „Das Land hat mit seinen vielen Nobelpreisträgern eine große Tradition, die Sprache hat mich gereizt und das Studium ist billiger als in anderen Staaten“, erklärt er seine Entscheidung.
Lange Zeit zur Eingewöhnung braucht er damals nicht - ganz im Gegenteil. Seinen Sprachkurs am Herder-Institut, das ihm eine Lehrerin in seiner Heimat empfohlen hat, kann er verkürzen und die Mathe-Vorlesungen im Informatik-Studium, das er mit 16 Jahren beginnt, sind ebenfalls keine Herausforderung. „Den Stoff kannte ich schon aus der zehnten und elften Klasse.“ 2003 wird der Kameruner als bester ausländischer Student der Uni in Leipzig ausgezeichnet, 2004 startet er nach dem Diplom gleich mit seiner Doktorarbeit - als jüngster Absolvent aller Zeiten an der Leipziger Universität. 2009 ist auch die fertig.
Mit diesen Themen beschäftigen sich Axel Ngonga und seine Kollegen
Doch fragt man den 32-Jährigen, wie es ist, als afrikanischer Vorzeigewissenschaftler gehandelt zu werden, verfinstert sich das sonst fröhliche und offene Gesicht recht schnell. „Ich mag es grundsätzlich nicht, wenn Leuten Etiketten angeheftet werden. Das ist zwar leider Teil der Realität, sollte es aber nicht sein.“ Und gerade die Wissenschaft sei international und kenne keine Grenzen - und das sei gut so. „Ich bin daher hier in Leipzig auch kein Exot, sondern ich sehe mich vor allem als Leiter meiner Forschungsgruppe an der Universität.“
Mit seinen Kollegen beschäftigt sich der 32-Jährige mit Big Data und Semantic Web. Im Kern geht es um die Frage: Wie können Maschinen die Inhalte des World Wide Web verstehen? „Menschen wissen viel und möchten viel wissen, dazu stellen sie Fragen. Damit Computer diese Fragen beantworten können, brauchen wir eine formale Sprache“, sagt der Informatiker. „Hinter dem Begriff Semantic Web steckt die Idee, das Wissen im Web maschinenlesbar zu machen, indem Informationen mit dem passenden Kontext verbunden werden.“
Die Menge der Daten sei natürlich unüberschaubar. Um so mehr komme es darauf an, einen effizienten Zugang zu ermöglichen. „Wir haben das Ziel, es den Menschen zu ermöglichen, mit den Daten sozusagen zu reden - und damit der Datenflut Herr zu werden.“ Das bietet dann praktische Anwendungsmöglichkeiten in vielen Bereichen - von der Biomedizin über die Landwirtschaft bis hin zur Bildung.
Die Möglichkeiten, die der Kameruner in Deutschland hat, sind mit denen vieler Kollegen in Afrika jedoch nicht vergleichbar. Das fängt bei einfachen, aber für Wissenschaftler wichtigen Dingen wie Publikationen für Fachkonferenzen an. Für internationale Kongresse müssen oft Beiträge bezahlt werden, hinzu kommen Kosten für die Übernachtung und Flüge. „Das sind für einige Wissenschaftler mehrere Monatsgehälter.“
Jung und wissenshungrig
Doch es geht nicht nur um Geld, es geht immer auch um die richtige Einstellung - und da sieht auch der 32-Jährige große Chancen. „Es gibt in Afrika sehr viele wissenshungrige junge Leute, die Wissenschaft mitgestalten wollen und dafür bereit sind, ins Ausland zu gehen.“ Die oft fehlenden finanziellen Möglichkeiten seien dabei nicht nur als Nachteil zu sehen. „Viele Forscher haben gelernt, auch mit einfachen Mitteln komplexe Probleme zu lösen.“
Allerdings warnt Axel Ngonga auch beim Blick nach Afrika vor zu schematischen Betrachtungen. „Der Kontinent besteht aus 54 Ländern, da sollte man sich davor hüten, zu stark zu generalisieren.“ Es könne immer nur darum gehen, Trends aufzuzeigen.
Das aber macht der Informatiker auch in seiner neuen Heimat - und spart auch nicht mit Kritik. So gebe es in Europa eine „wissenschaftliche Massenproduktion“, die Forschern oft nicht mehr die Zeit lasse, große Fragestellungen in Ruhe anzugehen. Das aber sollte grundsätzlich das Ziel bleiben. „Natürlich gibt es Zwischenergebnisse, als Wissenschaftler sollte ich aber immer nach großen Lösungen streben.“
Stattdessen werde hierzulande oft nur „scheibchenweise vorgegangen“, bedauert der 32-Jährige und führt das Bild fort. „Ich möchte nicht nur ein paar Scheibchen Salami anbieten, sondern immer zumindest eine Packung.“
Aus Dakar mitgebracht hat er derweil die Kontakte von zwei Studenten aus seiner Heimat Kamerun und aus Ghana, die sich für seine Arbeit interessieren. Beide lädt er möglicherweise bald nach Leipzig ein. Und vielleicht sind es ja bereits zwei Kandidaten für das zweite „Next Einstein Forum“, das 2018 in Ruanda stattfinden soll.