Black Rebel Motorcycle Club in Leipzig Black Rebel Motorcycle Club in Leipzig: Der Rock'n'Roll lebt!

Leipzig - Schweißnasse Strähnen, entrückte Gesichter. Das proppenvolle Werk 2 in Leipzig schwelgt in kollektiver Hypnose. Gerade hat sich der Black Rebel Motorcycle Club (BRMC) furios mit „Whatever Happened To My Rock And Roll“ verabschiedet. Jenem Song, der so etwas wie das Mantra der Kalifornier ist. Eine Liebeserklärung an den Rock’n’Roll, zugleich auch eine Klage, was aus ihm geworden ist.
Nun, er lebt. Vielleicht nicht im Radio, vielleicht nicht in den glattgebügelten Produktionen, die heutzutage unter der Genrebezeichnung „Rock“ firmieren.
BRMC wissen, wie man den Rock'n'Roll entfesselt
Er lebt, dank Konzerten wie diesem. Weil Peter Hayes, Robert Levon Been (beide Gitarre, Gesang, Bass) und Leah Shapiro (Schlagzeug) wissen, dass man die brachiale Kraft des Rock’n’Roll noch immer am besten so entfesselt: Reduziert auf Gitarre, Bass und Schlagzeug, durch einen steten Wechsel zwischen Laut und Leise, dazu Verzerrung und der wichtigsten Zutat überhaupt: purer Verzweiflung.
Denn was da am Dienstag auf die Bühne schleicht, sind nicht die unnahbaren, düsteren Rocker, als die BRMC konsequent verklärt werden. Stattdessen schüchterne, in sich gekehrte, von Selbstzweifeln und Schicksalsschlägen gezeichnete Gestalten in schweren Lederjacken.
Schicksalsschläge gehören zur Geschichte des BRMC
BRMC sind leidgeprüft. 2010 stirbt ihr Soundingenieur Michael Been, enger Vertrauter der Band und Vater Robert Levon Beens, auf Tour. Gerade hatten sie sich davon erholt, da droht Schlagzeugerin Shapiro 2014 an einer ernsten Gehirnerkrankung zu sterben.
Sie genest jedoch und kehrt zurück. 2015 beginnen dann die Aufnahmen zu „Wrong Creatures“, ihrem aktuellen Album. Gefangen im eigenen Perfektionismus, verbringen sie geschlagene zwei Jahre im Studio, bevor das Album Anfang 2018 endlich erscheint.
Vor allem Sänger Peter Hayes wirkt zu Anfang des Konzerts im Werk 2 ausgebrannt. Er ist komplett ergraut und sieht derart mitgenommen aus, dass es schwer fällt, einen Anfang 40-jährigen in ihm zu erkennen. Als er sich zuvor unters Publikum mischt, um sich die Vorband anzusehen, nehmen ihn seine Fans nicht einmal wahr.
Peter Hayes flüchtet sich an den Bass
Während der ersten Songs, darunter „Little Thing Gone Wild“, ihrer aktuellen Single, wirkt er nervös. Mit sichtbarem Unbehagen tritt er ans Mikrofon. Seine Gedanken drehen sich offenbar vor allem um die nächste Zigarette, die ihm permanent vom Seitenaus gereicht wird.
Hayes flüchtet sich nach drei Songs, darunter eine großartige Version von „Beat The Devil‘s Tattoo“, an den Bass, tauscht die Rollen mit seinem Kumpel Robert Levon Been, mit dem er seit der Highschool Musik macht. Es folgen mit „Haunt“, „Question Of Faith“ und „Circus Bazooko“ langsame, traumwandlerische Nummern, allesamt Höhepunkte des neuen Albums.
Levon Been spielt jedoch längst nicht so druckvoll Gitarre wie Hayes, quält sich durch die Solo-Passagen. Hayes wiederum bearbeitet den Bass eher flapsig und lustlos. Der Schönheit des Materials ist das wenig abträglich, allein der Funke will nicht überspringen.
Schlagzeugerin Leah Shapiro kann den Bann brechen
Sie fangen sich. Hayes kehrt zur Gitarre zurück. „Berlin“ und „Conscience Killer“, Klassiker im Repertoire, peitschen mit hohem Tempo durch die Halle und plötzlich ist sie da, die rohe Energie, die BRMC ausmacht. Zu verdanken ist es Leah Shapiro. Überhaupt scheint es ihre Aufgabe zu sein, die Bandkollegen mit ihrem unerschütterlich vorwärts treibenden Rhythmus auf Temperatur zu bringen und dort auch zu halten. Als Zuschauer erscheint einem das unheimlich kräftezehrend. An dieser Stelle der Show hat sie sie jedenfalls soweit. Der Bann ist gebrochen.
Das Konzert nimmt jetzt an Fahrt auf. Gerade die ruhigen Stücke erzeugen dabei jene Spannung, die sich dann bei „Spook“ und dem frühen „Six Barrel Shotgun“ eruptiv entlädt. Vor den Klangwänden, die die Kalifornier zu dritt hochziehen, können Stadionrocker mit mehr als doppelter Besetzung nur zittern.
Metamorphose auf offener Bühne
Das eigentliche Wunder an diesem Abend aber ist die Verwandlung Peter Hayes‘. Die anfangs brüchige Stimme singt nun laut und voll. Seine Arbeit an der Gitarre ist sicher, punktgenau, filigran, kraftvoll. Auch Levon Been hat seine anfängliche Beklommenheit verloren. Den Bass hält er wie ein Geschoss gegen die Schulter gedrückt. Sein hämmerndes Bass-Intro zu „Spread Your Love“ lässt das Adrenalin aller Anwesenden von einer Sekunde auf die andere schier überschäumen.
Diese Verwandlung ist aber gerade die Essenz des Rock’n’Roll. Immerhin liegen seine Ursprünge in den Klageliedern der Schwarzen, die nur in der Musik, dem Blues, Befreiung finden konnten.
Und es ist genau das, was das Publikum an diesem Abend zu sehen bekommt: Als Häufchen Elend auf die Bühne geschlichene Außenseiter, die ihre Dämonen und Verletzungen besingen, um sich schließlich in wütenden Feedback-Schleifen davon zu befreien. Und das Publikum gleich mit – wenn auch nur für die kurze Zeit eines Konzerts. So muss es sich in den Anfangstagen des Rock’n’Roll angefühlt haben. (mz)