Albertina Albertina Leipzig: Älteste Bibel der Welt in der Bibliothek
Leipzig - Die älteste Bibel der Welt wird in Leipzig gehütet wie ein Schatz. Sie ist so wertvoll, dass die Pergamentblätter niemand sehen darf. Und anfassen? - Schon gar nicht.
„Unsere Aufgabe ist es, sie so zu bewahren, dass sie auch noch in 10.000 Jahren erhalten sind“, erklärt der Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek den enttäuschten Besuchern, die extra aus Baden-Württemberg wegen der Handschrift gekommen sind.
Die schwäbischen Bibelkundler reagieren mürrisch, sie wollten ganz nah ran, ganz nah an ein wichtiges Zeugnis ihres Glaubens, den Codex Sinaiticus. Im stillen Forschungslesesaal der altehrwürdigen Albertina-Bibliothek kommt es kurz zu einem geflüsterten Disput.
Doch Direktor Ulrich Johannes Schneider bleibt gelassen, aber unnachgiebig. Eine Nachbildung der Schrift, ein selbst schon sehr wertvolles Faksimile, muss den Bibelfans schließlich reichen.
In der Albertina Leipzig: die älteste Bibel, das wichtigste christliche Manuskript
Die älteste Bibel der Welt ist so wertvoll, dass der russische Diktator Josef Stalin einmal ihren Verkauf ans Ausland anordnete. Mit den Devisen sollte der zweite Fünfjahresplan des Sowjetimperiums finanziert werden.
Der Codex Sinaiticus wurde so auch zu einem Politikum und einem Werkzeug der Industrialisierung im größten Land der Erde. Heute gilt die Handschrift als unbezahlbar, für Wissenschaftler ist sie das wichtigste christliche Manuskript überhaupt, in der Bibelforschung wird sie schlicht als Quelle „Aleph“, dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets, oder auch „Nummer Eins“ bezeichnet.
Entdeckt hat die Bibel ein genialer Forscher aus Leipzig im ältesten noch bewohnten Kloster der Christenheit, einem Kloster in der Wüste Ägyptens. Es steht an dem Ort, wo Moses der Bibellegende nach Gott in einem brennenden Dornbusch erschienen sein soll, am Fuße des Berges Sinai auf der gleichnamigen Halbinsel.
Bibeljäger aus Leipzig suchte die älteste Bibel im 19. Jahrhundert
Auch der Prophet des Islam, Mohammed, war dort und stellte das Kloster unter seinen Schutz. Im Hof des Katharinenklosters wächst heute noch der Busch, oder zumindest ein jahrhundertealter Ableger des Brombeerstrauchs.
Als der Forscher Konstantin von Tischendorf im Jahr 1844 mit einem Reise-Stipendium aus Sachsen hierher kam, beschattete dieser Busch ebenfalls schon den Klosterhof.
Tischendorf war damals gerade 29 Jahre alt und auf der Suche nach alten Handschriften, seinem Spezialgebiet. „Tischendorf war einer der großen Theologen und Philologen des 19. Jahrhunderts. Er konnte die alten Handschriften fließend lesen wie vielleicht niemand nach ihm. Er war ein Bibeljäger“, sagt Schneider.
Ganz im Zeitgeist des 19. Jahrhunderts habe er versucht, möglichst nah an historische Quellen heranzukommen, ähnlich wie beispielsweise Heinrich Schliemann bei der Entdeckung der mystischen Stadt Troja, meint Schneider.
Die älteste Bibel der Welt: Besonderer Schatz aus dem Wüstenkloster
„Er war glücklich, als ihm in der Bibliothek des Klosters ein Packen edelstes Pergament in die Hände fiel“ , erzählt Ulrich Johannes Schneider. Seine Quelle sind die damaligen Tagebuchaufzeichnungen Tischendorfs und Briefe an dessen Frau, mit der er später acht Kinder haben wird.
Welcher Schatz sich in den Regalen der Bibliothek befand, war den Mönchen des griechisch-orthodoxen Klosters demnach gar nicht bewusst. „Es ist unglaublich wertvoll hergestelltes Pergament, wir wissen selbst heute noch nicht, aus welchen Tierhäuten es hergestellt ist, es ist ein Rätsel“, sagt Schneider.
Tischendorf ist jedenfalls sofort klar, dass es sich bei der griechischen Schrift um christliche Aufzeichnungen aus dem 4. Jahrhundert handeln muss. Sie sind also alt, sehr alt. Ein paar der wertvollen Blätter bekommt er geschenkt.
„Er nimmt sie mit zur Leipziger Bibliothek, damals die wissenschaftliche Bibliothek schlechthin“, sagt Schneider. Dort untersucht sie Tischendorf und ahnt wohl: Da muss noch mehr sein, im Wüstenkloster.
Mönch zeigt dem Forscher aus Leipzig die älteste Bibel der Welt
Neun Jahre später fährt er noch einmal ins Kloster, doch da ist der Rest der später Codex Sinaiticus (dt.: Das Buch vom Sinai) genannten Schrift verschwunden.
1859 versucht er es erneut, dieses Mal hat der russische Zar Alexander II. die Reise gesponsert. Auch nun sagen die Mönche, die wertvollen Blätter seien nicht da.
Die Bibliotheca Albertina ist die zentrale Einrichtung der Leipziger Universitätsbibliothek. Das imposante Neorenaissance-Gebäude feierte vergangene Woche sein 125. Jubiläum. Ihren Ursprung hat die Bibliotheca Albertina als eine der ältesten deutschen Bibliotheken allerdings schon im 15. Jahrhundert.
„Am letzten Abend seines Aufenthaltes, die Kamele nach Kairo waren schon bestellt, zeigte ihm ein junger Mönch doch noch ein Manuskript“, berichtet Schneider. Tischendorf überflog die Seiten und erkannte sofort: Es ist das neue Testament. Aus dem 4. Jahrhundert! Eine absolute Sensation! Ihm ist klar: Hier habe ich die älteste Bibel der Welt vor mir.
Originaldokumente der ältesten Bibel gehen um die Welt
Tischendorf nimmt die knapp 400 Blätter mit, vielleicht als Geschenk der Mönche, vielleicht als Leihgabe, vielleicht auch ungefragt. In den folgenden Jahrzehnten entwickelt sich daraus ein Streit zwischen dem Katharinenkloster und den neuen Besitzern, der bis heute andauert.
1862 veröffentlicht er ein aufwendiges Faksimile, das er dem russischen Zaren schenkt, auch ein Großteil der Original-Blätter kommt nach St. Petersburg. 43 Seiten bleiben in Leipzig, bis heute.
1933 wurde der Codex Sinaiticus Teil der Geopolitik und der Propaganda. In Großbritannien wurde bekannt, dass die Sowjets unter Stalin dringend Geld brauchten und der Codex über einen Buchmacher zu erwerben war.
Der Premierminister, ein Erzbischof, und der Direktor des British Museum starteten eine Geldsammelaktion. Es wurde ein Medienereignis. Pfennige und größere Beträge ergaben schließlich tausende Pfund, die Regierung gab noch etwas dazu, so dass der Codex für die damals unglaublich hohe Summe von 100.000 Pfund gekauft und im British Museum ausgestellt wurde.
Älteste Bibel der Welt ist im Internet zugänglich
Das Interesse war riesig, wähnten sich die Briten doch darin, diese Urbibel vor der Zerstörung durch die ungläubigen Russen gerettet zu haben. In St. Petersburg blieben jedoch einige wenige Seiten zurück.
Doch es wäre nicht die Geschichte des Codex Sinaiticus, wenn sie an dieser Stelle schon vorbei wäre. 1975 kommt es im Katharinenkloster zu einem Brand, bei den Aufräumarbeiten entdeckt ein Mönch 18 weitere Blätter des Buches. Die vorerst letzte Seite entdeckt ein Forscher durch Zufall im Jahr 2009. Das Pergament war als Einband für eine andere Schrift benutzt worden.
An vier Orten der Welt ist der Codex also verstreut: in Leipzig, London, St. Petersburg und dem Kloster. An einem Ort ist er aber wieder vereint: im Internet. In einem bisher weltweit einmaligen Editionsprojekt sind alle Seiten des Buches genauestens untersucht, übersetzt und virtuell zusammengefügt worden.
Auf diese Weise ist der Codex Sinaiticus für jedermann zugänglich. „Das ist die Zukunft. Wir können die Fragmentierung derartiger Texte nicht rückgängig machen“, sagt Schneider. (mz)