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Leipzig Leipzig: Wende-Pfarrer geht in Rente

26.02.2008, 07:18
Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche Christian Führer mit seinem legendären schwarzen Aktenkoffer. Am 5. März wird Pfarrer Führer 65 Jahre und erreicht dann das Rentenalter. Sein Abschiedsgottesdienst ist für den 30. März geplant. (Foto: dpa)
Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche Christian Führer mit seinem legendären schwarzen Aktenkoffer. Am 5. März wird Pfarrer Führer 65 Jahre und erreicht dann das Rentenalter. Sein Abschiedsgottesdienst ist für den 30. März geplant. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Leipzig/dpa. - Etwa alle zwei Jahre ist der Koffer verschlissen und ein Neuer wirdangeschafft und mit den gleichen Stickern versehen. «Ich habe mireinen Vorrat angelegt, aber jetzt ist die letzte Ausstattung weg»,schildert der Theologe. Weitsicht oder Fügung: am 5. März wird er 65und erreicht das Rentenalter.

Sein Abschiedsgottesdienst ist für den 30. März geplant. DieLeipziger Nikolaikirche - weltweit ein Symbol des Wendeherbstes 1989- verliert dann den Mann, der ihr ein Gesicht gab. Die friedlicheRevolution in der DDR '89, die wesentlich zum Zusammenbruch der DDRbeitrug, wäre ohne die Friedensgebete in der Kirche im Herzen derStadt undenkbar. Pfarrer Führer steht für diesen Protest wie keinanderer. Über den kleinen, weißhaarigen Mann mit Bürstenhaarschnittund Jeansweste haben die Medien in London und New York berichtet. UndJahre später - im Zusammenhang mit dem Geiseldrama um zwei LeipzigerTechniker im Irak - auch arabische Medien wie Al-Dschasira.

Mehrfach wurde der gebürtige Leipziger ausgezeichnet. Zu denbedeutendsten Ehrungen gehörte 2005 der Augsburger Friedenspreis, denauch berühmte Persönlichkeiten wie der frühere sowjetische PräsidentMichail Gorbatschow erhielten. «Passe ich als Gemeindepfarrer an derBasis in dieses Ensemble?», fragte Führer zweifelnd. Und erinnertezudem an die Zehntausenden, die 1989 aufbegehrten: «So stehe ich alsEinzelner ausdrücklich hier für das Volk der Demonstranten, die nieeinen Preis oder eine Ehrung erfahren.» Ein Jahr zuvor hatte er schonden Medienpreis «Goldene Henne» symbolisch dem Volk überreicht unddem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig übergeben.

Salbungsvolles Auftreten ist dem Pfarrerssohn fremd. Außerhalb desGottesdienstes kennt man den vierfachen Vater nur in Jeans. Dabeihält er es mit Maxim Gorki: «Meine Universität ist die Straße.»Während Schulzeit und Studium wurde in den Ferien geschuftet - mal imAutowerk, dann in der Chemie. Besonders gefiel im der Job alsTelegrammfahrer. «Ich bin doch so gerne Motorrad gefahren - und dahatte ich eine schöne MZ. Das hätte ich mir nicht leisten können.»Später folgte der Job als Kellner bei der Mitropa im D-Zug nachRostock. «Wenn die Menschen hörten, dass ich Pfarrer werde, ging dasVisier hoch. Die haben erzählt ohne Netz und doppelten Boden.»

Diese Zeit hat Führer geprägt und seinem Ideal näher gebracht:«Jesus hat sie Sprache der Straße gesprochen und einfache Bilderbenutzt. Das haben die Leute verstanden.» Besonderen Wert haben dabeifür Führer die Aussagen der Bergpredigt mit Sätzen wie «Du bist dasLicht der Welt und das Salz der Erde.» Vor allen Dingen das Salz willer sein - sich einmischen, sich bringen. «Das Bild kann manverschieden meditieren. Klar ist: Das Salz nutzt nichts auf einemHaufen: Das muss rein in die große Suppe.»

So hat es Führer auch in der DDR gehalten - allen Widerständen undGefahren durch die Staatssicherheit zum Trotz. «Damals war für michein Wort aus dem Hebräerbrief ganz wichtig: "Wir gehören nicht zudenen, die zurückweichen und verloren gehen, sondern zu denen, dieglauben und das Leben gewinnen"», schildert er. Mit der Bibel istFührer groß geworden, das Lesen hat er mit Hilfe der Gesangstextegelernt - da war kein Platz zum Stottern. «Meine Mutter schilderteimmer, dass ich auch das Laufen in der Kirche gelernt habe. Und zwarin der richtigen Reihenfolge: vom Taufstein zum Lesepult.»

Bereits mit zwölf Jahren habe er gewusst, dass er seinem Vater imBeruf folgen wird. «Dieser hat sich sehr gefreut - aber niegedrängt.» Brauchte er auch nicht: Christian Führer hatte seineAufgabe gefunden. «Das ist eine ungeheure Gnade Gottes: Durch alleKrankheiten hindurch 40 Jahre Pfarrer zu sein. In zweiunterschiedlichen System noch dazu», sagt er demütig. Bis zur letztenMinute will der Theologe seiner Gemeinde dienen bis zum Schluss am31. März - mit einem letzten traditionellen Friedensgebet amMontagnachmittag. Für den letzten Abend hat er sich eine gute FlascheRotwein zurückgelegt. Die trinkt er dann mit Ehefrau Monika, ohne diedas Pfarrer-Dasein in all den Jahren nicht möglich gewesen wäre. «Siehat meinen Beruf mitgelebt», sagt er. «Ohne sie hätte ich das allesnicht geschafft.»