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Leihgebühren für Schulbücher Leihgebühren für Schulbücher: «Diese Regelung ist ein Skandal»

Von Ernst Krziwanie 22.06.2003, 16:16

Halle/MZ. - "Das ist der Hammer". Hans-Jochen Krüger kann kaum fassen, was ihm die künftige Schule seiner Jüngsten mitgeteilt hat. "Fibel und Mathematikbuch im ersten Schuljahr werden nicht mehr übereignet" heißt es in einem Elternbrief. Was bedeutet, dass der Vater dreier schulpflichtiger Kinder jetzt noch tiefer in die Tasche greifen muss. Begründet wird die vom Schuljahr 2003/2004 landesweit geltende Bestimmung damit, dass sich die Landesregierung "auf Grund der schwierigen und sicherlich auch Ihnen nicht unbekannten Haushaltslage" entschlossen habe, "das System der Lernmittelversorgung neu zu ordnen".

Hinter "neu ordnen" steht, was Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) im Januar als "kostenpflichtiges Ausleihsystem für Schulbücher" angekündigt hat, da sich das Land die Lernmittelfreiheit nicht mehr leisten könne Bisher konnte die Mehrzahl der benötigten Schulbücher kostenfrei ausgeliehen werden. 8,4 Millionen Euro wurden dafür seit 1999 im Landeshaushalt bereit gestellt. Diese Summe ist im Landesetat 2003 um 3,8 Millionen zusammengestrichen worden. Sachsen-Anhalt bildet da keine Ausnahme. "Die öffentliche Hand", kritisiert der Verband für Bildungsmedien, "zieht sich seit 1991 kontinuierlich aus der Lernmittelfinanzierung zurück".

Wer lernen will, muss zahlen. Drei Euro je Lehrbuch. Eine Staffelung gibt es für Familien ab drei Kinder (zwei Euro je Schulbuch), ab fünf Kindern ein Euro je Buch. Generell ein Euro für ein Buch ihrer Kinder sollen Sozialhilfempfänger bezahlen. Sie müssen für die Teilbefreiung allerdings ihre Bedürftigkeit nachweisen. Dass damit Datenschutzfragen berührt werden, darauf geht die im Schulverwaltungsblatt 13/2003 veröffentlichte Regelung nicht ein. Dass sie als "Regelungen zur Lernmittelentlastung" betitelt sind, nennt Vater Krüger "unfassbar". Entlasten tue sich doch nur das Land. Und nicht nur von den Kosten für Fibel und Mathematikbuch. "Da mein Ältester ins Gymnasium geht und 18 Jahre geworden ist, darf er als Volljähriger die Buchausleihe gar nicht nutzen. Wir müssen alles bezahlen. Diese Regelung ist ein Skandal".

Nach Ansicht von Kurt Neumann, Vorsitzender des Landeselternrates gibt das Land auch hier die falschen Signale an die Eltern. "Warum müssen Familien mit Kindern die Schulden des Landes schultern?", fragt er. Den Hinweis, Ausleihgebühren würden auch zum pfleglichen Umgang mit Büchern anregen, hält er für vorgeschoben. Hinzu käme, dass viele Eltern weitere Ausgaben finanzieren, um Finanzlücken auszugleichen. "Sie renovieren Räume, helfen bei Schulfesten, nehmen auf ihre Kosten an Klassenfahrten teil. Als Dank wird dieses Engagement nun mit einer Zwangsausleihgebühr bestraft."

Soziale Schieflagen werden sich mit der Buchausleihe verstärken, befürchtet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). 53 Euro kosten Fibel, Mathe-, Sach- und Heimatkunde-Buch und Arbeitshefte für einen Abc-Schützen. "Da ist noch kein Cent für Tuschkasten, Schulranzen, Sportzeug und Schreibutensilien dabei", betont Gabi Brünner, Sprecherin der GEW-Fachgruppe Grundschulen. Noch höher sind die Kosten an Sekundarschulen und Gymnasien. Benötige ein Schüler etwa zwölf Bücher, seien neben der Ausleihe noch 109 Euro für Arbeitshefte, Atlas, Tabellen und sonstige Lernmaterialien aufzubringen.

Angesichts solcher Summen, befürchtet Volker Hirche, Leiter der halleschen Liebknecht-Schule im August einen brisanten Schulanfang. "Etwa die Hälfte unserer Schüler kommt aus bedürftigen Familien. Vielen ist selbst die Ausleihgebühr zu hoch." Im Unterricht könne die Schule zwar mit kostenlosen Exemplaren aushelfen, doch nach Hause dürften die Bücher nicht mitgenommen werden.