Legenden Legenden: Halle - die schräge Stadt
Halle/MZ. - Das hat gesessen. "Vergessen Sie den Unfug. Der Stadtname Halle hat mit Salz nichts zu tun." Beiläufig, aber mit einer ordentlichen Freude am deutlichen Wort, zertrümmert Professor Jürgen Udolph eherne Schulweisheiten und gepflegtes Halbwissen.
Deutschlands einziger Professor für Namensforschung lehrt an der Leipziger Uni und ist bekannt wie ein bunter Hund. Auf Radio Eins hat der 63-Jährige seine eigene Sendung "Numen Nomen Namen", in der ZDF-Show "Deutschland - Deine Namen" war er der Experte, bei ARD und SAT 1 ist er ein begehrter Interviewpartner. Udolph lehnt sich entspannt zurück in seinen Bürostuhl. "Dann erzählen sie mal", schmunzelt er, als er hört, dass der Ortsname Halle auf ein Salzvorkommen zurückgehe und das germanische Wort - Hal - für Salz Namenspate gewesen sei. "Ja, so steht es in den Büchern. Eine super Legende." Udolph schiebt sich in Position, rückt die Brille gerade.
Was dann kommt, ist ein Sturmlauf durch die Geschichte. Alles hätte die Geschichtswissenschaft schon versucht, um den Ortsnamen Halle zu erkunden. So mutmaßte man, dass er vom Keltischen oder dem Thrakischen abgeleitet sei. Dann entdeckte man eine illyrische Herkunft. "Selbst ein unbekanntes Volk hat man schon für den Ortsnamen verantwortlich gemacht." Allerdings hätten alle Varianten einen Schönheitsfehler: Sie alle haben in ihrer Wortwurzel für -Salz- den Buchstaben -S-. Udolph wirkt angriffslustig. "Erklären Sie mal, wo das -H- herkommt, wenn wir in allen in Frage kommenden indogermanischen oder slawischen Sprachen für Salz ein -S- haben." Der Professor klärt auf.
"Das Wort für -Salz- müsste im Deutschen hall oder ähnlich geheißen haben. Alle Lexika behaupten, -hal- oder -halle- deute stets auf Salzvorkommen hin." Das Problem sei nur, dass vom hochdeutschen Salz oder dem niederdeutschen Salt, Solt kein Weg zu einer Form -Hall- führe. Auch der Rückgriff auf keltisch-slawische Halloren helfe nicht. Udolph empfiehlt, sich die Verteilung des Ortsnamens Halle anzuschauen. Da sähe man zwei Ballungsräume. Einen nördlichen in Niedersachsen, Westfalen und Belgien, einen im Alpenbereich.
"Der Witz ist, dass man im Süden ein germanisches Wort -hal- mit Saline oder Salzbergwerk in Verbindung bringen kann. Nur reicht dieses -hal- nicht in die voralthochdeutsche Zeit. Es ist zu jung für die Halle-Ortsnamen im Norden." Der Wissenschaftler und Medienstar weiß, dass der maximale Spannungsbogen erreicht ist. "Ich glaube, dass die meisten germanischen Namen mit Hal(l) auf eine ältere, indogermanische Wortwurzel mit der Bedeutung -neigen-, -Schräge- oder -Abhang- zurückzuführen sind." Man könne das sehen im deutschen Wort -Halde-, im mitteldeutschen -helden- für neigen und im norddeutschen -Helling-, was "geneigte Holzfläche beim Schiffbau" bedeute.
Eine Schräge als Erklärung für die gerade 1 200 Jahre alt gewordene Salinestadt? Klar, man könne sogar sehen, was konkret gemeint war. "Die Schräge ist das beständige Gefälle vom Markt herunter zum Saaleufer." Der Schädel brummt, das will alles erst verarbeitet werden. Und sonst? Womit beschäftigt sich ein Onomastiker, so der Fachbegriff für Namensforscher, denn noch? "Sachsen-Anhalt ist hochinteressant", Udolph zieht einen dicken Ordner aus der Bücherwand.
Die Toponymie, die Ortsnamensforschung, stünde erst ganz am Anfang. Aktuell ist man im Gebiet um Stendal dabei, die Ortsnamen zu klären. Kann man denn schon etwas Allgemeines zu Sachsen-Anhalt sagen? Klar, meint der Namensexperte und stürzt an seinen PC. Bei den Familiennamen gebe es Auffälligkeiten. Er startet ein Computerprogramm. "Im Mansfeldischen sind zwei Familiennamen besonders häufig - Kolditz und Stedtler." Warum? Das sei noch nicht klar. Die Deutungen, dass Kolditz den Kohlendietz meint, der Holzkohle für den Kupferbergbau brannte oder Stedtler die dörfliche Bezeichnung für städtische Pestflüchtlinge ist, sind eher Heimatlegenden. Udolph lacht: "Immer schön an Halle denken. Was naheliegt, muss nicht wahr sein."