Landwirtschaft Landwirtschaft: Die Last mit der Mast
GERBISBACH/MZ. - In Rage bringt sie eine Entscheidung des Landesverwaltungsamtes, die die ganze Region um Jessen in Aufregung versetzt hat: die Genehmigung für den Bau einer Schweinemastanlage mit 28 000 Tieren. Charlotte Gladis sieht schwarz für ihren Heimatort. Dass sich jemand findet, der ihr liebevoll restauriertes Fachwerkhaus einmal übernehmen wird, glaubt sie nach der niederschmetternden Botschaft aus dem Landesverwaltungsamt nicht.
Zwei Klagen bei Gericht
Gabriele Wolf,Sprecherindes "Initiativkreises gegen die geplante Schweinefabrik", ist dagegen weiterhin zuversichtlich. "Die Genehmigung ist nicht der Schlussstrich." Die nächste Phase des "harten Kampfes" sei mit zwei Klagen beim Verwaltungsgericht eingeleitet. Neben der Stadt Jessen ist auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) überzeugt, dass die Aufsichtsbehörde kein grünes Licht für das Projekt des Niederländers Harrie van Gennip hätte geben dürfen. Das Gelände des seit mehreren Jahren ungenutzten Jungrinderkomplexes - etwa 500 Meter von der Bebauung entfernt - sei nicht ausreichend erschlossen, argumentiert der Jessener Stadtrat. Der BUND sieht vor allem europäisches Naturschutzrecht verletzt.
Der Konflikt in Gerbisbach ist kein Einzelfall. An mehreren Stellen im Land sind Mastanlagen geplant - und oft regt sich Widerstand. Anfang des Jahres waren mehr als ein Dutzend Projekte in der Planung. Werden alle Anlagen genehmigt, würden Mastplätze für weit mehr als 250 000 Schweine geschaffen. Dass Investoren auf Großprojekte und auf Sachsen-Anhalt setzen, ist kein Zufall. Angesichts des Preisdrucks lässt sich mit Schweinefleisch oft nur noch Geld verdienen, wenn die Tiere in großen Mastanlagen gehalten werden. Ostdeutschland bietet sich mit seiner dünnen Besiedlung und der Tradition industrieller Mastbetriebe zu DDR-Zeiten an. Zudem haben die meisten Agrarminister bislang wohlwollend auf die Investitionen reagiert. Und es ist auch kein Zufall, dass meist Niederländer die Schweinemast in Ostdeutschland betreiben wollen. Im eigenen Land ist die Zucht im großen Stil längst an ihre Grenzen gestoßen.
Doch auch in Sachsen-Anhalt werden Grenzen sichtbar. In Allstedt (Kreis Mansfeld-Südharz) sind Mitglieder einer Bürgerinitiative erfolgreich gegen die Pläne Sturm gelaufen, auf einem ehemaligen Militärflugplatz Stallungen für 56 000 Schweine zu bauen. Und auch in Gerbisbach stehen die Zeichen auf Sturm. Nach der öffentlichen Auslegung der Projektunterlagen gingen beim Landesverwaltungsamt 329 Einwendungen ein. Darin warnten Anwohner vor Gestank, Schadstoffen und dem immens anwachsenden Lkw-Verkehr. An einer Protestkundgebung auf Jessens Markt nahmen vor kurzem 800 Menschen teil. "Wir werden eine gravierende Verschlechterung der Lebensbedingungen nicht ohne Widerstand hinnehmen", spricht Steffen Löwe aus, was die Einwohner bewegt.
Gabriele Wolf hofft, dass in der juristischen Auseinandersetzung auch Themen behandelt werden, die im Genehmigungsverfahren ungenügend oder gar nicht berücksichtigt worden seien. "Und dies sehr konkret und sehr ausführlich". Denn das Landesverwaltungsamt habe ziemlich investorenfreundlich agiert.
Einer, der die Aktivitäten der Schweinemastgegner genau beobachtet, ist Helmut Rehhahn. Der einstige SPD-Landtagsabgeordnete war von 1994 bis 1996 Agrarminister. Von seinem Wissen und seinen Kontakten aus dieser Zeit dürfte er noch heute profitieren. Seit Jahren ist er im Auftrag des Investors Harrie van Gennip als Projektmanager tätig. Dass der Bau der Schweinemastanlage noch gestoppt wird, glaubt Rehhahn nicht. Dem Rechtsstreit sehe er gelassen entgegen. In Gerbisbach werde eine moderne Schweinemastanlage entstehen, deren Umwelteinflüsse sogar geringer ausfallen, als theoretisch berechnet. Natürlich hat man auch im Landesverwaltungsamt den Protest aus Gerbisbach zur Kenntnis genommen. Man habe die Genehmigung aber aus rechtlichen Gründen nicht versagen können, sagte Pressesprecherin Denise Vopel. "Die Zustimmung ist mit umfangreichen Auflagen zum Immissions- und Lärmschutz verbunden."
Brief an Merkel
Über Schweinefabriken wird auch unter den Bauern kontrovers diskutiert. Der Bauernverband - der meist größere Betriebe vertritt - ist eher wohlwollend gestimmt. So sagte Hauptgeschäftsführer Fritz Schumann im Frühjahr in einem Zeitungsbericht, er könne keinen Unterschied darin erkennen, ob jemand fünf kleine oder einen großen Stall betreibe. Der Landvolkverband, in dem meist kleine Familienbetriebe organisiert sind, geht dagegen auf Distanz. Präsident Klaus-Henning Klamroth glaubt, dass die Riesenställe mehr Probleme als Nutzen bringen.
Die Schweinemastgegner von Gerbisbach werden auf keinen Fall klein beigeben. Sie haben sogar die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel in einem Brief um Hilfe gebeten. Die Antwort aus der Berliner Parteizentrale fiel allerdings unterkühlt aus. Es stehe jedem frei, den Rechtsweg zu beschreiten. "In diesem Falle wäre das Verwaltungsgericht Halle das zuständige Gericht." Das war dem Initiativkreis gegen die Schweinemast indes bereits bekannt.