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Vergessene Orte im Landkreis Wittenberg Vergessene Orte im Landkreis Wittenberg: Waldhaus Niemitz, Hoffnung für Ruine?

Von Paul Damm 26.07.2019, 17:21
Kein schöner Anblick. Das einstige Ausflugslokal gammelt vor sich hin.
Kein schöner Anblick. Das einstige Ausflugslokal gammelt vor sich hin. Alexander Baumbach

Kemberg - Zwischen Kemberg und Bad Schmiedeberg - mitten im Wald - befand sich einst eine Idylle. Folgte man einer holprigen Straße aus Kopfsteinpflaster, gelangte man zu einem beschaulichen Häuschen, das von blühenden Büschen umgeben war. Mit aufgeklappten Fensterläden und einer Sitzecke schaffte das Waldhaus Niemitz eine besondere Atmosphäre, die zum Verweilen einlud.

Bis in die 1950er Jahre wurde das Haus im Wald, an das ein romantischer Teich grenzte, als Ausflugslokal genutzt.

Meterhohes Gras

Heutzutage ist von diesem Zauber überhaupt nichts mehr zu spüren. Meterhohes Gras und Berge von illegal entsorgtem Unrat versperren die Sicht auf das Gebäude, das an einer viel befahrenen Straße liegt. Im Laufe der Jahre wurde das Anwesen immer mehr verschandelt.

Herausgebrochene Fenster und Türen zeigen die Zerstörungswut der Vandalen - nichts sitzt mehr an seinem rechten Platz. Das war auch ein Grund für Hans-Albert Weinrich, das Objekt im Februar dieses Jahres zu verkaufen.

Der Kemberger hatte das Waldhaus bereits vor mehr als 15 Jahren erworben, seitdem mehrere Renovierungsversuche unternommen - jedoch erfolglos. „Ich habe mit Containern den gesamten Müll beseitigt. Eine Woche später sah es wieder genau so aus“, berichtet der Rentner aufgebracht.

Zudem erzählte er der MZ, dass er eines Tages Stahltore angebracht habe, die aber „nach kurzer Zeit nachts aus der Verankerung gerissen und mitgenommen wurden.“

Anfangs hatte Weinrich noch einen Plan verfolgt: Aus dem Waldhaus und einem angrenzenden Industriegelände wollte der Kemberger eine Einrichtung für betreutes Wohnen bauen. Keine leichte Entscheidung, die er da getroffen hatte - das war ihm bewusst.

Doch als seine Frau, die eine mobile Krankenpflege betrieb, dann den Beruf nicht mehr ausüben konnte, hat Weinrich von seinem Vorhaben Abstand genommen. Das Objekt war damit endgültig dem Verfall überlassen. Seitdem suchte der Kemberger nach einem Käufer für das große Grundstück im Wald.

Im Februar dieses Jahres hatte er dann Erfolg. Auf eine Annonce meldete sich ein junges Ehepaar aus Sachsen, das das Objekt erwerben wollte. „Jetzt bin ich endlich aus der Nummer raus und kann wieder entspannt schlafen“, sagt Weinrich und atmet hörbar durch.

Die MZ suchte den Kontakt zu den neuen Besitzern und wollte erfahren, was sie nun mit dem Grundstück vorhaben. Die reagierten mit einer schriftlichen Nachricht: „Wir haben kein Interesse an einem Gespräch und bitten von weiteren Anfragen abzusehen.“

Wie es mit dem heruntergekommenen Objekt nun weitergeht, wollten die Besitzer nicht verraten. Fest steht nur eins: „Es ist schon seit vielen Jahren ein Schandfleck, der beseitigt werden müsste.“ Diese Ansicht vertritt Günter Böhme, der das Stadtarchiv in Kemberg betreut. Er kennt die historischen Fakten zu dem Waldhaus Niemitz - war selbst als kleines Kind öfter dort.

Ferienlager von Stickstoff

Die Geschichte des Hauses reicht demnach bis ins Jahr 1863 zurück. Damals diente es nicht nur als städtisches Ausflugslokal, sondern auch als Forsthaus. Hinter dem Haus befand sich ein größerer Gebäudekomplex, der als Ziegelei genutzt wurde. In den 1950er Jahren wurde das gesamte Grundstück an den VEB Stickstoffwerke Piesteritz übergeben, der die alte Ziegelei und das Forsthaus zum Kinderferienlager umfunktionierte.

„Die Gaststätte gab es zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr“, erinnert sich der Historiker Günter Böhme. Während des Umbaus und der Erweiterung des Stickstoffwerkes in Wittenberg nutzte man das Waldhaus sogar als Bettenlager für die dort beschäftigten Arbeiter. Nachdem das Bauvorhaben abgeschlossen war, wurde es ruhig um das Objekt.

Später übernahm es die Stadt Kemberg, bis das Areal wieder in private Hände wechselte.

Rohre vor dem Haus

In der Region hoffen viele, dass die neuen Besitzer aus Sachsen das Gelände wieder auf Vordermann bringen. Moderne Rohre, die vor dem Waldhaus abgeladen wurden, deuten - so ist die Hoffnung vieler - möglicherweise darauf hin, dass schon jetzt etwas Bewegung in die Sache gekommen ist.

(mz)

So sah das Gebäude um 1939 aus.
So sah das Gebäude um 1939 aus.
Heimatgeschichtliche Sammlung G. Böhme