Traditionelle Küche Traditionelle Küche: Essig macht Silvester-Karpfen blau

Thiessen - Ein dumpfer Schlag, ein kräftiges Knacken. Das war’s für den Spiegelkarpfen. Cornell Lock greift zum scharfen Messer und macht den Fisch, der eben noch im Becken schwamm, küchenfertig. Der Karpfen ist bereit, nun „blau“ zu werden. Denn so isst man ihn in Mitteldeutschland am liebsten am Silvesterabend.
Wie viele Karpfen in diesen Tagen durch Locks Hände und die seiner Kollegen gehen, hat der Fischwirtschaftsmeister nicht gezählt. Auch die Forellen arbeitet er routiniert ab. Hochsaison herrscht im Forellenhof Thießen. Weihnachten und Silvester sind gute Tage für das Geschäft von Inhaber Frank Ehrmann. „Wobei ich den Eindruck habe, dass Weihnachten mehr Karpfen gegessen wird“, sagt der Fachmann.
Am Mittwoch erwartet er noch einmal eine frische Lieferung von 1,5 Tonnen. Das dürfte also bis zum Silvestertag reichen, an dem der Forellenhof in Thießen sein Geschäft bis 12 Uhr geöffnet hat. Die meisten Leute kämen freilich schon am Freitag, um sich den Fisch für den Folgetag zu kaufen.
Manche, so Ehrmann, reisen dafür sogar von weiter her an, denn im Forellenhof gibt es auch die richtig schweren Tiere für die Großfamilie. Von einem Drei-Kilo-Spiegelkarpfen würden sechs Leute satt.
Den berüchtigten Modder-Geschmack muss man dabei nicht fürchten. Im Forellenhof gönnt man den Fischen vor dem Verkauf ein Bad im frischen Rosselwasser.
Besonders in Tschechien und Polen ist der Karpfen das traditionelle Gericht zu Weihnachten und Silvester. Konsumiert wird heute meist der Spiegelkarpfen aus der Zucht, der verhältnismäßig wenige Schuppen hat. Der Urkarpfen stammt aus Asien, die Römer brachten ihn nach Mitteleuropa, wo er im Mittelalter zum Fisch für die Fastenzeit avancierte. Kein Wunder, denn es gab damals für die Christen 150 Fastentage im Jahr, an denen der Verzehr von Fleisch verboten war. Karpfen war leicht zu züchten und bot gesunde Abwechslung auf dem Speiseplan.
Die Rolle des Karpfens als Glücksbringer und Reichtumsbote ist übrigens noch älter: In der Steinzeit trugen die Männer eine Schuppe unterm Lendenschurz, im Mittelalter die Mönche unter der Kutte. Auch in China gilt der Karpfen als Symbol für Wohlhabenheit, denn die beiden Wörter Fisch und Überschuss klingen auf chinesisch fast gleich. Es kann also nicht schaden, sicherheitshalber eine Schuppe in den Geldbeutel zu stecken.
„Die Fische, die ich kaufe, sind auch vorher schon in klarem Wasser gehältert“, erklärt Frank Ehrmann, der sich freilich noch daran erinnern kann, dass man früher das Tier meist lebend kaufte und es in der heimischen Badewanne noch ein paar Tage in klarem Wasser schwimmen ließ.
Für Ehrmann ist der Karpfen ein typischer Winterfisch. „Er wächst im Sommer und wird im Herbst abgefischt“, so der Fachmann. „Bei uns gibt es ihn aber auch das ganze Jahr über.“ Immer Saison habe im Forellenhof hingegen der namengebende Fisch. „Forelle geht immer, außer im Sommer, wenn es sehr heiß ist“, sagt der Geschäftsinhaber.
Am Silvesterabend wird er wohl erst am Nachmittag aus der Firma kommen und dann den Abend bei Freunden verbringen. „Natürlich bringe ich Fisch mit, wenn ich eingeladen bin.“ Das übliche Mitbringsel bei ihm. Den Karpfen gibt es dieser Tage aber auch bei Ehrmanns, bevorzugt „blau“.
Durch die Zugabe von Essig färbe sich die Haut in diesem Ton. „Ich mag aber auch schon beim Garen den sauren Sud“, verrät Ehrmann, und weil es viele Liebhaber dieser Geschmacksrichtung gibt, bietet er derart fertiges Karpfenfilet auch praktisch portioniert im Glas an.
Derart haltbar gemacht kommt aus dem Forellenhof auch der Brathering. Der war mit Erbsbrei serviert immerhin auch Martin Luthers Lieblingsgericht. Dass der Reformator aber auch den Karpfen nicht schmähte, weiß Elke Strauchenbruch.
Die Kulturhistorikern schrieb über „Luthers Küchengeheimnisse“ und hält es für wahrscheinlich, dass im Schwarzen Kloster Katharina Silvester - einem Fastentag - auch Karpfen servierte, ein damals beliebter Speisefisch bei den reichen Leuten. Auf den Tisch kam er nachweisbar auch schon bei Luthers Eltern in Mansfeld.
Bei archäologischen Grabungen fanden sich dort vor einigen Jahren Wirbelknochen von Karpfen in einer Abfallgrube.
Die Gräten aus Thießen oder auch von Fischer Klaus Pinkert in Horstdorf dürften bei späteren Generationen freilich kaum für derartiges Aufsehen sorgen.
„Der Verkauf läuft gut“, sagt Pinkert über den Start der Silvesterkarpfensaison. Er wird am Silvestertag von 9 bis 12 Uhr die Fische an die Kundschaft bringen.
Wer es bis dahin partout nicht zu seinem Fischlieferanten schafft, der muss auf die später schließenden Supermärkte ausweichen, kann aber auch dort auf Karpfen aus der Region hoffen. „Wir beliefern alle E-Center in der Gegend“, sagt der Chef des Forellenhofes. Gut möglich also, dass Forelle oder Karpfen keine weite Anreise bis hinter den Tresen hatten. (mz)