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Personennahverkehr unter der Lupe Personennahverkehr unter der Lupe: Busfahren im Ehrenamt?

Von Rainer Schultz 24.04.2019, 11:05
Stefan Busch, 1. Bürgermeister von Selbitz in Oberfranken, stellt im befreundeten Dorf Selbitz den Bürgerbus vor.
Stefan Busch, 1. Bürgermeister von Selbitz in Oberfranken, stellt im befreundeten Dorf Selbitz den Bürgerbus vor. Thomas Klitzsch

Selbitz - „Grüß Gott“ - in der Elbaue klingt das eher ungewöhnlich, doch mit diesen Worten begrüßt Stefan Busch, 1. Bürgermeister von Selbitz in Oberfranken, das Publikum im Bürgergemeinschaftshaus von Selbitz des Landkreises Wittenberg. Das Vortragsthema „Mobilität auf dem Land - Erfolgsmodell Bürgerbus“ ruft offenbar Interesse hervor. Alle Plätze sind besetzt.

Der alte DDR-Slogan „Erfahrungsaustausch ist die billigste Investition“ trifft bei dem hochbrisanten Thema den Kern. Seit 2013 gibt es in Selbitz das Projekt Bürgerbus, das ausschließlich von ehrenamtlichen Fahrern bedient wird.

„Nach anfänglichen Startschwierigkeiten - wir mussten die Bürger erst einmal überzeugen und viel Werbung betreiben“, beschreibt das Selbitzer Stadtoberhaupt die Gründungsphase. Jetzt aber „hat sich mit rund 2500 Fahrgästen im Jahr der Erfolg eingestellt“.

Zum Einkauf und zum Arzt

Und das ist das Erfolgsprinzip: Der Bürgerbus bedient jene Ortsteile, die keinen Anschluss zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) haben. Die elf Fahrer und Beifahrer sind fitte Rentner, die sich nach festen Dienstplänen die Beförderung der Fahrgäste aufteilen.

Neun Sitzplätze stehen zur Verfügung. Im Dreiviertelstundentakt werden Dienstag und Freitag diese Angebote von nicht mehr so mobilen Senioren gern genutzt. Der Einzelfahrschein kostet einen Euro und hat mehr symbolischen Charakter. Der Landkreis Hof sponserte bei der Anschaffung 5000 Euro.

Örtliche Unternehmen unterstützen ebenfalls das Projekt. Einkaufszentrum, Ärztehaus und Friedhof sind die am meisten frequentierten Haltepunkte. Nach fünf Jahren Leasing geht das Fahrzeug in Besitz der Stadt über.

Aufmerksam lauscht an diesem Abend in Selbitz Holger Zubke, Fachdienstleiter Ordnung und Straßenverkehr beim Landkreis, den Ausführungen. Ist dieses Modell aus Oberfranken übertragbar auf die Wittenberger Region? „Wir haben ein gutes ÖPNV-Netz, dennoch stecken im Selbitzer Projekt einige gute Anregungen, die aber nicht eins zu eins übertragbar sind“, denkt Zubke.

Auch der Selbitzer Ulrich Petzold, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und als solcher auch mit dem Thema Verkehr sehr vertraut, stimmt dem zu. „Der heutige Abend kann nur Denkanstöße geben. Die Ideen aus Oberfranken sind durchaus anhörenswert“, lobt er diese Lösung. Doris Ludley und Lore Reckziegel, beide ehemalige Bürgermeisterinnen von Selbitz, zeigen sich interessiert. Auch aus der Nachbarstadt Coswig bekundet Bürgermeister Axel Claus Interesse.

Die Probleme sind in Bayern und Sachsen-Anhalt oft die gleichen, wirft man einen Blick auf die Alterspyramide, bei der die Zahl der alten Menschen zunimmt und gleichzeitig deren Mobilität abnimmt. „Warum wird der Bushaltepunkt Selbitz nicht mehr angefahren?“, will ein älterer Herr wissen. Ernüchternd die Antwort von Holger Zubke: „Die Nebenachsen werden nicht mehr bedient, so sieht es leider der ÖPNV vor.“

Man ist sich einig. Es muss nach Alternativen gesucht werden. Ein Beispiel wäre eine kurze Busverbindung zum Bahnhof Bergwitz. „Nicht alles ist bei uns erreicht. In Sachen ÖPNV gibt es echten Nachholbedarf“, resümiert Norman Langer kritisch. Auch deshalb hat der angehende Lehrer und Ortsbürgermeister von Selbitz , der sich sehr für seinen Ort engagiert, zu dem Abend eingeladen.

Das Projekt Bürgerbus indes wird keineswegs als Konkurrenz zum bestehenden ÖPNV betrachtet. „Es ist an der Zeit, das Personenbeförderungsgesetz zu nivellieren. Echte politische Rahmenbedingungen sind zu schaffen“, fordert Zubke und erntet dafür Zustimmung auch von Kembergs Verwaltungschef Torsten Seelig.

Mehr auf Vereinsebene

Eines wird an diesem Abend auch deutlich: Partnerschaften wie jene von Selbitz leben von Initiativen an der Basis. Man kann auf beiden Seiten voneinander profitieren, aber auch auf Vereinsebene kooperieren. Letzteres soll künftig noch verbessert werden. Norman Langer überreicht zum Dank an seinen fränkischen Kollegen Stefan Busch eine WelterbeCard für die Region mit den Worten: „Ich hoffe, das ist ein Grund, dass Du bald mal wieder kommst.“ Der passionierte Radler nimmt das Geschenk gern entgegen und verspricht die schöne Gegend um Wittenberg bald auf zwei Rädern zu erkunden.

(mz)

Dieser Bürgerbus fährt im oberfränkischen Selbitz.
Dieser Bürgerbus fährt im oberfränkischen Selbitz.
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