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Obdachlos in Annaburg Obdachlos in Annaburg: Mario Schindler jetzt glücklich in vier Wänden

Von Thomas Tominski 24.04.2018, 10:19
Mario Schindler ist in Annaburg endlich angekommen. Jetzt geht der 37-jährige Fahrzeuglackierer auf Arbeitssuche.
Mario Schindler ist in Annaburg endlich angekommen. Jetzt geht der 37-jährige Fahrzeuglackierer auf Arbeitssuche. Thomas Tominski

Annaburg - Mario Schindler fühlt sich wohl in Annaburg. Die Leute grüßen freundlich, er wird in den Geschäften auf seine in der MZ veröffentlichte Lebensgeschichte angesprochen, Kinder streicheln dessen Altdeutsche Schäferhündin „Angy“, am Imbiss bekommt der Vierbeiner Häppchen angeboten.

Seit ein paar Tagen schwebt der 37-Jährige sogar auf Wolke sieben. „Ich habe endlich eine eigene Wohnung“, verkündet er freudestrahlend. Das i-Tüpfelchen ist aus seiner Sicht der kleine Garten. Hier kann sich „Angy“ nach Herzenslust austoben.

Entscheidender Anruf

Für den ehemaligen Jessener, der viele Jahre in der Langen Straße zu Hause gewesen ist, hat sich die bis dahin unbefriedigende Situation auf einen Schlag verbessert. Der Stempel auf der Stirn sei weg. Kein fester Wohnsitz, keine Arbeit lautet die Formel, die ihm bis zum entscheidenden Anruf einer örtlichen Hausverwaltung Kopfzerbrechen bereitet.

Schindler betont, dass er Arbeitslosengeld bezieht und die Ein-Raum-Wohnung bezahlen kann. Jetzt besitzt er eine Meldeadresse und kann auf dem Arbeitsmarkt aktiv werden. „Ich bin optimistisch“, sagt der 37-Jährige und erzählt, dass er Anfang Mai „zusammen „mit einer Profilerin“ konsequent in die Jobsuche einsteigt. Als gelernter Fahrzeuglackierer sieht er gute Chancen, bald sein eigenes Geld zu verdienen. „Fachkräfte werden überall gesucht.“

Schindler ist seit Ostern vor allem seelisch mehr als einmal Achterbahn gefahren. Nach seiner Rückkehr aus Köln hat er kein Dach über dem Kopf gehabt, doch Menschen mit Herz haben ihn und seinen Hund mit Essen versorgt und nach den Feiertagen eine vorübergehende Bleibe angeboten.

Schindler hat sich nie als Obdachloser gesehen. „Ich bin auf Wohnungssuche gewesen“, stellt er klar. Der 37-Jährige ist der jungen Frau dankbar, die ihm am 3. April vorurteilsfrei ein Dach über dem Kopf in Annaburg zur Verfügung gestellt hat. Zusammen mit anderen Menschen am Abendbrottisch sitzen, bezeichnet der gebürtige Wittenberger als ganz besonderes Highlight.

Unter der Dusche stellt sich das nächste Wohlfühl-Erlebnis ein. Die erste Nacht in einem Bett - Schindler hat über Ostern im Freien geschlafen - wird er bis an sein Lebensende nicht vergessen. „Ich habe sehr tief geschlafen und mich total sicher gefühlt“, erinnert sich der Wahl-Annaburger, dem allein der Gedanke daran eine Gänsehaut verpasst.

Würstchen zur Belohnung

Der Ex-Kölner ist rückblickend froh, dass sich seine anfänglichen Sorgen - Begegnung zwischen Mensch und Tier - in Luft aufgelöst haben. Mit auf dem Grundstück wohnt auch der Sohn der jungen Frau. „Sie sind schnell Würstchenkumpels geworden“, sagt er scherzhaft und verrät, dass sich „Angy“ oft ihr Leckerli abgeholt hat. Selbst Pfötchen geben habe ohne Probleme funktioniert.

Der gelernte Fahrzeuglackierer erzählt, dass während dieser glücklichen Tage der Entschluss gereift sei, die Gastfreundschaft nicht überzustrapazieren. „Ich wollte mein Leben selber meistern.“ Die Annaburger sind extrem nette Menschen, einige haben ihm nach dem Artikel in der MZ sogar Möbel angeboten. Doch Schindler dreht sich zu diesem Zeitpunkt wie erwähnt im Kreis. Darin involviert ist auch seine Schäferhündin.

Die sehr kompetente Mitarbeiterin des Ordnungsamtes habe es zwar lobenswert gefunden, dass er für „Angy“ Steuern bezahlen möchte, doch der Antrag sei vor zwei Wochen an der noch fehlenden Meldeadresse gescheitert.

„Die nette Frau hat mein Anliegen sofort verstanden. Doch sie wusste nicht, wohin der Bescheid verschickt werden soll.“ Seinem Anwalt sei es ebenso gegangen. Die per Post versendete Geburtsurkunde ist mit dem Vermerk „nicht zustellbar“ wieder in der Domstadt gelandet.

Dieses Dilemma gehört der Vergangenheit an. „Nach dem Anruf der Hausverwaltung ging es mit der Wohnung ratzfatz“, sagt der 37-Jährige und wiederholt mehrfach, wie glücklich er ist.

Nach dem ganzen Tohuwabohu um seine Person will sich der Ex-Kölner Zeit nehmen, Ordnung in sein Leben zu bringen. Die Solidarität der Menschen auf der Straße und in den sozialen Medien habe ihn schlichtweg überwältigt. Er hat erfahren müssen, dass profane Dinge wie duschen, essen oder im Bett schlafen plötzlich der pure Luxus und unerreichbar sind.

„In Köln hätte sich keiner um mich gekümmert“, sagt Schindler voller Überzeugung. In Annaburg sprechen ihn die Leute an. „Du bist doch der aus der Zeitung“, ist der am häufigsten verwendete Satz. (mz)