MZ-Telefonforum zur Herzwoche MZ-Telefonforum zur Herzwoche: Die goldene Stunde beim Herzinfarkt

Wittenberg - Sachsen-Anhalt hat es nicht leicht. Schlusslicht war es schon öfter in Punkto Wirtschaftswachstum. Aber auch um die Gesundheit der Menschen scheint es nicht zum Besten bestellt. Beispiel Herzinfarkt: Die Sterblichkeit ist, so der deutsche Herzbericht, in den ostdeutschen Bundesländern und ebenda in Sachsen-Anhalt mit am höchsten. 82 Herzinfarkt-Tote pro 100.000 Einwohner gab es demnach hier.
Offenbar hat die Politik Handlungsbedarf gesehen und, vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration, gemeinsam u. a. mit Teilen der Ärzteschaft, von Krankenkassen und aus der Deutschen Herzstiftung die Initiative „Herzgesundheit in Sachsen-Anhalt“ gegründet. Zum Auftakt wurde am 2. Juni die erste Herzwoche Sachsen-Anhalt eröffnet.
Und in Wittenberg haben sich am 5. Juni die Herzspezialisten Angelika Tamm und Franz X. Kleber eine Stunde Zeit genommen, um Fragen rund um das Thema Herzinfarkt zu beantworten. Hier eine Auswahl.
Woran erkennt jemand, ob er oder sie einen Herzinfarkt hat?
Infarktschmerzen sind in der Regel drückende oder brennende Schmerzen im Bereich des Brustbeins, die teilweise in die Schulterblätter ausstrahlen können.
Dr. med. Angelika Tamm ist Fachärztin für Innere Medizin, Kardiologie und Ernährungsmedizin. Die Dessauerin absolvierte ihr Medizinstudium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ausbildungsstationen zur Fachärztin waren u. a.: Carl-von-Basedow-Klinikum Merseburg, Medizinische Akademie Dresden, Klinikum St. Georg Leipzig. Tamm war am Städtischen Klinikum Dessau tätig, seit 17 Jahren ist sie in Wittenberg in der Niederlassung in einer Gemeinschaftspraxis mit Dr. med. Gerhard Hoh, dritter Arzt im Team ist Dr. Henning Herfurth. In verschiedenen Bereichen kooperiert die Praxis mit dem Herzzentrum Coswig und mit dem Paul Gerhardt Stift in Wittenberg.
Der Universitätsprofessor Dr. med. Franz X. Kleber leitet in der Klinik für Innere Medizin III am evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg das Herzkatheterlabor. Kleber stammt aus Süddeutschland, Medizin studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Es folgten Auslandsaufenthalte, zu seinen späteren beruflichen Stationen gehören beispielsweise die Charité Berlin oder das National Heart and Brompton Hospital in London, zudem war er Direktor der Klinik für Kardiologie am Unfallkrankenhaus in Berlin-Marzahn. In Wittenberg, sagt Kleber, der auf 35 Jahre Erfahrungen verweisen kann, sei er inzwischen beinahe täglich.
Was passiert bei einem Herzinfarkt?
Es kommt zum Verschluss eines Gefäßes, wodurch der dahinter liegende Teil des Herzens nicht mehr mit Blut versorgt wird.
Wie kann das behoben werden?
In einem Herzkatheterlabor kann der Verschluss wieder geöffnet werden. Dazu wird ein Katheter über die Schlagader zum Herzen geschoben und die verengte Stelle wird geweitet. Gegebenenfalls wird ein „Stent“ gesetzt, um das Gefäß offen zu halten.Was ist entscheidend für eine gute Prognose?
Entscheidend ist, dass ein Patient schnell in die Klinik kommt. Wir sprechen auch von der goldenen ersten Stunde, sie beginnt mit dem ersten medizinischen Kontakt, beispielsweise wenn der Notruf gewählt wird.
Das heißt, man sollte beim Verdacht auf einen Infarkt nicht schnell selbst in die Notaufnahme eines Krankenhauses fahren oder sich fahren lassen?
Nein. Entscheidend ist, bei der Rettungsstelle anzurufen und dort zu sagen, dass man einen Herzinfarkt haben könnte. Immer noch sterben 30 Prozent der Betroffenen, bevor sie überhaupt ins Krankenhaus kommen.
Also ist auch eine wohnortnahe Versorgung enorm wichtig.
Ja. Schon bis nach Coswig, zum Beispiel, fährt man von Wittenberg aus ja 20 Minuten.
Welche Risikofaktoren gibt es, um überhaupt einen Infarkt zu erleiden?
Eine ganze Reihe. Bluthochdruck zum Beispiel, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen. Es gibt auch eine genetische Belastung, wenn der Vater oder die Mutter vor dem 60. Lebensjahr einen Infarkt hatten. Und es gibt Vorboten wie Angina pectoris, die ein hohes Risiko darstellen.
Wie hoch ist der Anteil von Frauen und Männern bei Herzinfarkten?
Es sind mehr Männer betroffen, aber es sterben mehr Frauen.
Woran liegt das?
Bei Frauen werden die Beschwerden weniger typisch geschildert und daher nicht so leicht erkannt.
Wie kann einem Herzinfarkt vorgebeugt werden? Und täuscht eigentlich der Eindruck, oder trifft es heute auch jüngere Menschen?
Das durchschnittliche Infarkt-Alter liegt immer noch bei über 65. Aber es gibt ungünstige Veränderungen der Lebensweise, die das Risiko für frühzeitigen Herzinfarkt und andere Gefäßerkrankungen deutlich ansteigen lassen. Die Volkskrankheit Bluthochdruck betrifft heute schon junge Leute. Mangelnde Bewegung spielt ebenso eine Rolle wie auch Übergewicht. Es ist wichtig, dass die Menschen wieder in Bewegung kommen, dafür muss aber auch ein Bewusstsein entstehen.
Was geschieht nach einem Herzinfarkt?
Die Patienten erhalten Blutplättchenhemmer, also eine Art Gerinnungshemmer. Zur vorbeugenden Behandlung gehört unter anderem die Cholesterinsenkung. Wer raucht, sollte das aufgeben. Die Ernährung muss umgestellt werden hin zu viel mehr unverarbeiteten Lebensmitteln. Wichtig ist auch, dass der Patient therapietreu ist. Und Geduld, denn es geht nicht alles von heute auf morgen. Mit der Abschlussrehabilitation, medizinischer Nachbetreuung und Angeboten der Krankenkassen gibt es sehr gute Chancen, ein Fortschreiten der Erkrankung, zum Beispiel einen weiteren Herzinfarkt, zu verhindern und Lebensqualität zurückzugewinnen. (mz)

