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Litauer-Prozess  Litauer-Prozess : Das bedeutet das Urteil gegen die vier Männer

Von Thomas Steinberg 07.12.2017, 15:04
Der „Litauer-Prozess“ wird am Landgericht Dessau verhandelt.
Der „Litauer-Prozess“ wird am Landgericht Dessau verhandelt. Archiv/Lutz Sebastian

Dessau/Klieken - Der Tod des Münchners Ulf M. bleibt juristisch ungesühnt – jedenfalls dann, wenn das am Donnerstag im Litauerprozess gesprochene Urteil rechtskräftig werden sollte. Die Kammer unter Vorsitz von Stephan Caspari hat Vitautas L., dessen Bruder Mindaugas und Evaldas J. zu Strafen zwischen acht Jahren und neun Monaten und zehn Jahren und drei Monaten verurteilt.

Verurteilt wurden sie wegen versuchten Totschlags, erpresserischen Menschenraubes, Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Computerbetrug. Der dritte der L.-Brüder erhielt eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren, nach Ansicht der Kammer war er nicht am versuchten Totschlag beteiligt.

Das Gericht macht somit keinen der Angeklagten für den Tod von Ulf M. verantwortlich. Um diese befremdlich wirkende Entscheidung zu verstehen, muss man sich die Geschehnisse Anfang 2012 anschauen – und vor allem das, was auch beim zweiten Prozess innerhalb von 95 Verhandlungstagen nicht aufgeklärt werden konnte.

Transporter im Wald: Opfer bleibt zurück zum Sterben

Sicher ist: Die Angeklagten und weitere Personen waren aus Litauen eingereist und hatten sich nach wenigen Tagen im Wald zwischen Klieken und Roßlau niedergelassen. Fünf von ihnen – der fünfte ist bereits rechtskräftig verurteilt – waren am Abend zum A 9-Parkplatz Rosselquelle gefahren, wo ihnen zufällig der Münchner Ulf M. in die Arme lief, den sie daraufhin zu ihrem Lagerplatz in den Wald verschleppten.

Dort nahm man ihm die EC-Karten ab. Drei der Angeklagten blieben mit M. im Wald, einer – der jüngste – fuhr mit anderen Litauern zwei Stunden durch die Gegend und hob Geld ab. Nach deren Rückkehr wurde M.’s Transporter in ein anderes Waldstück gefahren, er selbst lag schwer verletzt und stramm gefesselt im Laderaum.

Mord, Raub oder Körperverletzung?

Anschließend machten sich die Litauer auf den Heimweg und kauften unterwegs Schuhe und Unmengen Kaffee mit den gestohlenen Karten ein.

Dass M. seinen schweren Verletzungen erlag, ist unstrittig. Unklar nach Ansicht der Kammer ist jedoch, wer, wann, wie und warum M. so übel zugerichtet hat. Juristisch ist das ein Problem: Wurde M. zum Beispiel malträtiert, um ihm die Karten abzunehmen, könnte man von einem Raub mit Todesfolge sprechen.

Ähnlich läge es beim erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge - es muss zwischen diesem und den tödlichen Verletzungen ein Zusammenhang bestehen. Und bei der ebenfalls denkbaren Körperverletzung mit Todesfolge müsste klar sein, wer den „entscheidenden“ Schlag gesetzt hat.

Nichts davon wisse man, so Caspari. Diese Frage beantwortet die Kammer damit also völlig anders als die, welche als erste mit dem Fall befasst war, deren Urteil vom Bundesgerichtshof weitestgehend kassiert wurde. Sie wertet aber auch das Zurücklassen M.’s im Wald anders.

Unterbringung in Entzugsklinik: Zwei der Männer gelten als "im Suff gefährlich"

Wurde ursprünglich das noch als ein Bemühen gesehen, die Rettung von M. zu befördern, heißt es nun: die Angeklagten hatten vielleicht gehofft, M. könne überleben, es sei ihnen jedoch letztlich egal gewesen. Eine Verurteilung wegen Totschlags wäre damit naheliegend. Eigentlich.

Juristisch herausgekommen ist ein versuchter Totschlag.

Was angesichts des Todes von M. zynisch klingt, ist – folgt man der Argumentation des Gerichts – logisch: M. war zu diesem Zeitpunkt bereits tödlich verletzt, er wäre auf jeden Falls gestorben, sein Aussetzen hat daran nichts verändert. Juristen sprechen in seinem solchen Fall vom „untauglichen Versuch“ und ziehen als drastisches Beispiel Schüsse auf einen Toten heran, den der Täter für einen Schlafenden hält.

Dass alle Beteiligten in den nächsten Tagen prophylaktisch Revision einlegen, dürfte beinahe als sicher gelten. Ob sie die am Ende durchziehen, bleibt abzuwarten. Am ehesten Anlass hätte die Nebenklage, die auf Mord plädiert hatte. Selbst wenn sie am Ende keinen Erfolg hätte, würde sie doch dafür sorgen, dass Mindaugas L. und Evaldas J. länger in U-Haft und damit im Knast bleiben.

Sobald das Urteil nämlich rechtskräftig wäre, würden beide wenig später in eine Entzugsklinik verlegt, da das Gericht sie für alkoholkrank und für gefährlich im Suff hält. (mz)