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Leserärger in Coswig Leserärger in Coswig: Lautstarke Rückmeldung vom Gullydeckel

Von Ilka Hillger 24.08.2019, 18:53
Karl-Heinz Hellige zeigt auf das Corpus Delicti. Sein Haus gegenüber hat schon einige Risse von den Erschütterungen durch den Verkehr.
Karl-Heinz Hellige zeigt auf das Corpus Delicti. Sein Haus gegenüber hat schon einige Risse von den Erschütterungen durch den Verkehr. Thomas Klitzsch

Coswig - Da klappert es wieder lautstark. „Hören Sie!“, sagt Karl-Heinz Hellige. Der 77-Jährige sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Coswig. Vor der Roßlauer Straße 38 rauscht der Verkehr. Mit nahezu jedem Lkw, der hier vorbeifährt, stellt sich das dumpfe Rumpeln ein. Reifen donnern über einen Gullydeckel, der sich nach dem Kontakt lautstark zurückmeldet.

Nur ein Bruchteil

Den Helliges ist das Geräusch vertraut. Man könnte sagen, sie haben sich daran gewöhnt und damit abgefunden. Seit 1982 wohnen sie in dem Haus. Als sie hier einzogen, war die Bundes- noch eine Fernverkehrsstraße. „Damals gab es nur einen Bruchteil des heutigen Verkehrs“, so der gebürtige Coswiger. Sicher war es hier lauter, als an der Waldmühle, in der er aufgewachsen ist. Das wussten er und seine Frau Edith.

Das Gullyklappern, so schätzt er, begann in den 1990er Jahren. Lange hat Hellige es hingenommen. Doch nun sei der Punkt gekommen, wo er seinen Unmut über die Lärmbelästigung öffentlich machen will, erklärt er sein Anliegen, mit dem er sich an die Lokalredaktion der MZ gewandt hat. „Ich habe einen Bericht über jemanden gelesen, der sich über ein permanentes Brummen beschwert hat“, sagt der Mann. „Da dachte ich, es geht mir ähnlich.“

Beim Ehepaar Hellige ist es indes nicht so, dass es nicht schon etwas unternommen hätte. Mehrfach richtete sich Karl-Heinz Hellige mit seiner Beschwerde an den zuständigen Abwasserverband. Sein Kontakt zum dortigen Geschäftsführer Peter Pfeifer sei gut. „Einmal im Jahr wird der Deckel neu gemacht, aber nach 14 Tagen klappert er wieder“, sagt Hellige.

Selbst da nun ein Flüsterdeckel aufliegt, besteht das Problem weiter. „Weil die Konstruktion nicht stimmt“, mutmaßt der Rentner und denkt, dass ein Ganzmetalldeckel die Lösung wäre. Oder aber eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Lkw in den Nachtstunden. „Ein paar hundert Meter weiter am hohen Elbufer geht das ja auch“, weiß Hellige.

Tatsächlich wird dort in der Nacht das Tempo auf 30 km/h reduziert. Im Bereich der Roßlauer Straße, in dem die Helliges wohnen, sei dies jedoch nicht umsetzbar, beantwortete man eine Nachfrage des 77-Jährigen. Verstehen mag er das nicht. Gerade hier, kurz hinter dem Supermarkt, seien die Häuser beidseitig dicht an die Straße gebaut.

„Wir würden auf jeden Fall ruhiger schlafen“, glaubt er, wenn es nicht mehr so schnell am Haus vorbei gehen würde. Bis dahin kann das Ehepaar nur mit Schlafräumen zum Hof Ruhe in der Nacht finden, aber auch dann sollten die Fenster lieber geschlossen bleiben.

Zur Straße hin halten es die beiden ohnehin nur so. Auch wenn alles zu ist, bleibt es laut und die Fernsehlautstärke ist höhergestellt als anderswo. „Manchmal klirrt auch das Glas in der Schrankwand“, sagt Ehefrau Edith. Das macht sich vor allem bemerkbar, wenn die Laster mit Sand oder Kies vorbeifahren.

Seitdem in Wittenberg auch noch die Großbäckerei den Betrieb aufgenommen hat, rollen deren Lieferfahrzeuge bevorzugt in der Nacht und am Wochenende vorbei. Mit Verdruss denkt Edith Hellige schon an den Schneematsch des Winters, der Hauswand und Fenster trifft. „Die könnte ich dann jeden Tag putzen“, meint die Rentnerin.

Womöglich werden sie und ihr Mann schon bald beobachten können, dass mal wieder der Gullydeckel überprüft wird. Das verspricht zumindest Gundel Schayka im Gespräch mit der MZ. Sie ist Mitarbeiterin des Abwasserverbandes und weiß um die Lärmbelästigung in der Roßlauer Straße. „Wir verstehen uns als Dienstleister und schauen bei solchen Meldungen generell nach, wo das Problem liegt“, sagt sie. Meist sei jedoch nicht der Deckel das Problem, sondern seine Passgenauigkeit oder der Absatz zur Straße. „Ist der zu groß, gibt es ein fieses Fahrgeräusch.“

Ungewisse Anzahl

Die Zahl der Coswiger Gullydeckel ist ungewiss. „Weit über 1000“, schätzt die Frau vom Abwasserverband. Allein um die 500 Schächte mit den entsprechenden Abdeckungen befinden sich im Altstadtring. Die ältesten Exemplare sind aus dem Jahr 1911 und noch immer im Einsatz.

Karl-Heinz Hellige wartet nun ab, ob es vor seinem Haus einen neuen Deckel gibt, der vielleicht weniger lautstark ist. Bis dahin nimmt er die Lärmbelästigung mit Humor. „Wir wohnen zwar nicht an einer Windmühle, aber bei uns klappert es trotzdem.“

Rätselfrage bei Einstellungsgesprächen

Gullydeckel sind rechteckige Gitter oder runde Abdeckungen auf einem Straßenablauf für Regenwasser oder als Verschluss eines Wartungsschachtes zu einem unterirdischen Kanal. Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert aus dem Englischen gully (Wasserrinne, Abzugskanal, Abflussschacht) entlehnt.

Die Rätselfrage, weshalb Schachtdeckel meist rund gefertigt werden, wurde bekannt, da sie unter anderem in Einstellungsgesprächen der Firma Microsoft verwendet wurde. Der wichtigste Grund ist, dass sie bei Wartungsarbeiten des Kanalsystems nicht in den darunter liegenden Schacht fallen können, wenn man sie schräg stellt. Dies liegt an der Kreisform des Deckels.

Vom Mittelpunkt aus gemessen sind alle Seiten gleich lang. Stellt man dagegen einen eckigen Gullydeckel diagonal auf den Schachteingang, fällt dieser leicht hinein. Außerdem liegen runde Deckel besser im Rahmen. Kanaldeckel aus Gusseisen sind häufig mit dem Stadtwappen verziert. In Deutschland wurden sie während und nach dem Zweiten Weltkrieg oft mit einem mit Beton gefüllten Kern versehen, um Metall zu sparen. Diese Bauart wird heute noch aus Kostengründen eingesetzt. (mz)