Lehrermangel Lehrermangel : Eltern schlagen Alarm wegen fehlender Pädagogen

Oranienbaum - Eine solche dramatische Situation ist an der Grundschule Oranienbaum neu: Die 152 Schüler erhalten nur noch einen Not-Unterricht. Die Ausfallstunden werden zwar penibel aufgelistet, sind jedoch für die Öffentlichkeit topsecret. Die Schwierigkeiten kommen aber nicht überraschend. Sie war bereits im Sommer absehbar.
Es fehlten zum Schuljahresstart nach MZ-Informationen statistisch 1,5 Lehrer. Hinzu kam schon zu diesem Zeitpunkt eine Langzeiterkrankte. Trotzdem versuchten die Lehrerinnen mit der kommissarischen Leiterin Kerstin Schubert alles, um einen reibungslosen Start zu gewährleisten. Das gelang, weil Pädagogische Mitarbeiterinnen mit großem Engagement in die Bresche sprangen.
Doch ein weiterer Krankheitsfall zwingt zu neuen Überlegungen. Acht Lehrerinnen stehen nur noch auf dem Papier, aber eben nicht mehr zur Verfügung.
Im Kreis Wittenberg gibt es 29 staatliche und zwei freie Grundschulen. „Die Unterrichtsversorgung liegt unter dem Landesdurchschnitt, welcher knapp 100 Prozent beträgt. Gemessen am Bedarf fehlen im Kreis neun Vollzeit-Lehrkräfte“, so Silke Stadör. Laut der Pressesprecherin des Landesschulamtes wurden im Juni zehn Stellen für Grundschul-Lehrkräfte im Kreis Wittenberg ausgeschrieben. „Davon konnten wir jedoch nur fünf besetzen. Fünf Stellen waren aufgrund fehlender geeigneter Bewerber unbesetzt geblieben. Darunter auch die Stelle in Oranienbaum“, so Stadör. In einer Nachausschreibung im September seien zwei Stellen für Grundschulen im Block A und eine im Block B ausgeschrieben worden. „Stellen im Block A haben oberste Priorität, darunter ist eine Stelle für Oranienbaum“, so Stadör, „wir haben auf alle drei Stellen geeignete Bewerber. Es wurden Angebote unterbreitet und Zusagen erteilt.“
Seit dem 17. Oktober gilt nun laut Thomas Fritze ein „neuer Stundenplan“. „Fünf Stunden pro Woche fallen aus“, so der Vater eines Viertklässlers. Nach seinen Angaben sind Musik, Ethik, Religion und die Computer-AG gestrichen. Und der Sport sei auf eine Stunde reduziert worden. Das sei „eine unhaltbare Situation“. „Der Unmut ist groß“, berichtet er.
In einem Fall haben die Eltern aber schon die Konsequenzen gezogen: Sie haben ihr Kind aus der Schule ab- und in einer anderen Bildungseinrichtung mit regulärem Unterricht angemeldet. Diese Entscheidung ist verständlich, schließlich brauchen gerade die Viertklässler das Wissen für die Vergleichsarbeiten und die Schullaufbahnempfehlung.
Der Verlust eines Schülers ist aber fast schon wieder ein Glücksfall. So wird bei der zusammengelegten vierten Klasse die maximale Stärke von 28 Schülern nicht überschritten. Doch das beruhigt die Eltern nicht. Sie schlagen Alarm mit einem Offenen Brief. Versehen mit einer Liste mit mehr als 600 Unterschriften ist das Schreiben Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) übermittelt worden.
Die Rede ist von einer für Schüler, Eltern und Lehrer „vollständig inakzeptablen“ Situation. Die Bildungseinrichtung hat das Problem - der Brief wurde unter Federführung des Elternrats-Chefs Steffen Schreiber verfasst -, dass ihr für 2016/2017 nicht genügend Lehrer zugewiesen wurden, um die nach den Lehrplänen anfallenden Stundenzahlen abzudecken.
Der Ausfall einer Lehrkraft aus gesundheitlichen Gründen sei bereits Monate vorher angekündigt worden. Und so denken die Eltern, dass für ein funktionierendes Bildungssystem genügend Zeit gewesen wäre, die vakanten Stellen zu besetzen.
Doch „statt langfristig zu planen, die Altersstruktur im Blick zu haben und Referendare, die an der Schule ihre Ausbildung durchliefen - und sogar aus der Region kamen -, auch hier als Lehrer einzusetzen, blieb man diesbezüglich nahezu untätig“, heißt es in dem Schreiben.
Unverständnis rief die Ausschreibung der Stelle für die geplante Krankheitsvertretung hervor. Diese orientiert auf 15 Wochenstunden - befristet bis Dezember. „Wir haben einen Lehrermangel und Sie schreiben Stellen in Teilzeit und kurzzeitbefristet aus?“ wird Tullner gefragt.
„Genau diese rein haushaltsrechtlich auf Kostenoptimierung ausgerichtete Sichtweise ist es, die zu dem Dilemma geführt hat“, fügten die Eltern hinzu. „Die Lehrer versuchen, wenigstens Deutsch und Mathe zu unterrichten, um die wichtigsten Fächer am Leben zu erhalten“, erklärt CDU-Stadtratsfraktionschefin Karin Tschernich-Weiske.
Am Freitagabend hat sich nun der Bildungsminister persönlich eingeschaltet und dankt „den Eltern für ihren Einsatz“. Tullner betont: „Gute Schule kann und wird nur funktionieren, wenn sich alle Schulpartner engagiert einbringen. Sachsen-Anhalt konnte mit Beginn der neuen Legislatur zusätzlich 270 Stellen ausschreiben, darüber hinaus gab es weitere Ausschreibungsrunden. Am Ende des Jahres werden wir voraussichtlich über 720 zusätzliche Lehrer eingestellt haben.“
Auf diesen Fakten werde man sich „selbstverständlich nicht ausruhen“. „Nach wie vor gibt es Stellen, auf die es keine Bewerber gibt. Wir werden daran arbeiten, diese Stellen attraktiver zu gestalten und werden dafür eine Servicestelle im Bildungsministerium schaffen. Darüber hinaus müssen wir das System der Einstellungen weiter verbessern und flexibler gestalten. Ich kann aber versichern, dass alle Beteiligten sowohl im Landesschulrat als auch im Bildungsministerium mit Hochdruck an guten Lösungen arbeiten“, so Tullner. Die Eltern erhalten auf ihren Brief laut Pressesprecher Stefan Thurmann noch eine ausführliche Antwort. (mz)