Kirche in Vockerode Kirche in Vockerode: Glocken brauchen Hilfe

Vockerode - Der Befund des Experten klingt klar. Für die mittlere der drei Glocken in der Kirche von Vockerode hat er nach der Inaugenscheinnahme notiert: „Hier ist die nördliche Winkelverstrebung innerhalb des gestelzten Joches abgerissen. Der Klöppel muss unbedingt ein neues Hängeleder erhalten.“
Bestiegen hatte Roland Hentzschel, Restaurator für Musikinstrumente, die beiden Türme des Gotteshauses Ende 2018. Seine Erkenntnisse - der Hallenser ist auch Glockensachverständiger im Auftrag der Evangelischen Kirche Anhalts - zwingen die Kirchengemeinde zum Handeln.
Zwar bestehe nicht die Gefahr, dass irgendwelche Teile abstürzen könnten, berichtete Gerd Norgel, Vorsitzender des Gemeindekirchenrats, doch eine Instandsetzung sei unumgänglich. Ein finanzieller Kraftakt für die Kirchengemeinde. Norgel spricht von Kosten, die sich um etwa 10000 Euro für das Glocken-Triumvirat bewegen.
Den Angaben der Evangelischen Landeskirche Anhalts zufolge ist die Glockenlandschaft der Region mit ihren 388 oft historischen Glocken überaus bedeutsam.
Die größte Glocke in Anhalt ist Teil des fünf Glocken umfassenden Geläuts der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Zerbster St. Nikolaikirche. Diese „Gloriosa“ stammt aus dem Jahr 1378 und gilt als die größte deutsche Glocke des 14. Jahrhunderts.
Vor ungefähr elfeinhalb Jahren - im Frühherbst 2007 - gehörte die Kirche in Vockerode zu den fast 20 Gotteshäusern im Land Sachsen-Anhalt, die wissenschaftliche Neugier weckten. Studenten der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg beschäftigten sich damals im Rahmen eines Forschungsprojektes mit dem Schwingungsverhalten von Doppelturmkirchen. In die Messungen flossen die übertragenen Frequenzen durch die mechanischen Schwingungen der Glocken und der Einfluss durch die Umwelt ein - in Vockerode sind das etwa die Schwerlaster, welche die Kirche an der Südseite passieren.
Denn obgleich nur die Aufhängung einer der bronzenen Glocken so defekt ist, dass eine Reaktion nicht länger aufschiebbar ist, sollen die Reparaturen doch als Komplettprogramm durchgezogen werden.
Signal für Feierabend fehlt
„Wir richten uns auf einen Zeitraum von mehreren Jahren ein. Was dringlich ist, hat Vorrang. Zumal es uns schwer fällt, den genannten Betrag ganz allein aufzubringen“, merkt Gerd Norgel an. In Vockerode ist allerdings die Hoffnung groß, dass nicht nur Gläubige bereit sind, die Instandsetzung mit Spenden zu unterstützen. „Auch kirchenferne Menschen kommen ins Grübeln, wenn der Glockenklang im Dorf plötzlich ausbleibt“, sagt der 74-Jährige.
„Einer meiner Nachbarn fragte mich schon, wieso denn am Samstag um 18 Uhr die Feierabendglocke nicht zu hören ist. Der hat sich Sorgen gemacht, dass er dann einfach weiterarbeiten muss, wenn dieses gewohnte Signal fehlt.“
Immerhin fällt das Fazit des Sachverständigen Roland Hentzschel nicht total ernüchternd aus. Denn der Glockenstuhl selbst - so die Erkenntnis nach der Inspektion - befindet sich in einem guten Zustand. Zwar seien alle Metallteile vom Glockentragwerk angerostet, doch helfe hier im Anschluss ans gründliche Entrosten ein Rostschutzanstrich.
„Diese Arbeiten sind über kurz oder lang erforderlich. Jedoch jetzt noch nicht dringend“, merkte der Fachmann an, der auf weitere Mängel aufmerksam machte. So müssen ihm zufolge an den Glocken I und III die Aufhängeeisen aus Rundstahl, die den heutigen Anforderungen nicht mehr genügen, durch geschmiedete Flachbänder ersetzt werden.
Darüber hinaus benötigen alle Antriebsketten der Glockenantriebe eine Abwurfsicherung. Die Glocken der Vockeroder Kirche, die von 1810 bis 1812 im Auftrag des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau durch Christoph Hesekiel unter Mitwirkung von Ignazio Pozzi aus roten Backsteinziegeln im neugotischen Stil erbaut wurde, hängen in sogenannten Bockstrebenstühlen aus Winkeleisen an gestelzten Jochen. Roland Hentzschel geht davon aus, dass das gesamte Glockentragwerk auch aus der Zeit des Glockengusses stammt. Das war im Jahr 1924.
Zu Waffen verarbeitet
Seither hängt im Süden die große Glocke I, im nördlichen Turm sind die Glocken II und III zu finden. Ihre Vorgängerinnen - Namen tragen die Glocken nicht - waren im 1. Weltkrieg eingeschmolzen und zu todbringenden Waffen verarbeitet worden. „Nur der mittleren Glocke, die mit der Inschrift ,Ich blieb allein in schwerer Zeit, zum Dienst des Herren bereit„ versehen ist, blieb dieses Schicksal erspart“, weiß Gerd Norgel, der von einem seltsamen historischen Zufall ausgeht, dass beim nächsten großen Weltenbrand die Glocken komplett verschont blieben. „Es ist ein großes Glück, dass sie im 2. Weltkrieg nicht abgehangen worden sind. Für zwei Panzerrohre hätte das Material bestimmt gereicht.“
››Wer für die Reparatur der Glocken in der Vockeroder Kirche spenden möchte, kann das unter der IBAN DE86 8055 0101 3300 0029 06 tun. Hierbei handelt es sich um das Konto der Evangelischen Kirchengemeinde bei der Sparkasse Wittenberg.
(mz)
